Es ist eine Horrorvorstellung für jeden Passagier und jede Passagierin: Dort, wo eigentlich eine Nottür sein soll, klafft plötzlich nur noch ein Loch. Genau das ist kürzlich bei einem Flug von Alaska Airlines auf dem Weg von Portland nach Ontario passiert. Das Flugzeug musste notlanden, schwer oder gar tödlich verletzt wurde bei dem Unglück niemand.
Haben Passagier:innen in einem solchen Fall Anspruch auf Entschädigung? Und wie sieht es ganz allgemein aus, wenn ein Flieger notlanden muss?
Wer die Passagier-Videos an Bord des Alaska-Airlines-Flugs 1282 gesehen hat, bekommt ein vages Gefühl dafür, wie es den Insassen bei dem Unglück ergangen sein muss. Auch wenn den 171 Passagier:innen der Schock noch tief in den Knochen stecken und einige Zeit nachwirken dürfte – automatisch Schmerzensgeld oder eine Entschädigung bekommen sie nicht, dafür müssen sie den Rechtsweg gehen. Der Berliner Rechtsanwalt Roosbeh Karimi erklärt, dass Passagiere in den USA höchstwahrscheinlich hohe Schmerzensgeldklagen einreichen könnten.
In Deutschland hingegen sei die Rechtsprechung deutlich zurückhaltender. Ein Beispiel: Ein Ehepaar hatte seinen Reiseveranstalter auf Schmerzensgeld und eine Minderung des Preises verklagt, wegen "erlittenener Todesangst". Auf ihrem Flug musste der Pilot eine Zwischenlandung durchführen, die Windschutzscheibe des Fliegers war gerissen und sollte ausgetauscht werden. Das Landgericht Hannover erkannte hier keinen Anspruch auf Schmerzensgeld (Az. 8 O 147/18).

Aber: Verletzt sich ein Passagier oder eine Passagierin, kann durch das Montrealer Übereinkommen ein Anspruch auf Schadensersatz bestehen. Die entsprechende Klausel bietet für Körperverletzungen Reisender, die an Bord des Flugzeuges entstehen, einen Schadensersatzanspruch nach Art. 17 Abs. 1 des Montrealer Übereinkommens. "In dem Flugzeug von Alaska Airlines hatte der Jugendliche, der in der Nähe der Tür saß, Verletzungen von dem plötzlichen Druckabfall davongetragen. Für diese Art von Verletzungen ist die Fluggesellschaft schadensersatzpflichtig. Begrenzt ist der Schadensersatzanspruch auf 100.000 Sonderziehungsrechte, das entspricht einem aktuellen Wert von ca. 122.676,36 Euro", erklärt die Fluggastrechtsexpertin von Flightright Claudia Brosche. Eine Übersicht über den Geltungsbereich des Montrealer Übereinkommens finden Reisende hier.
Entschädigung bei Notlandung nicht sicher
Passagier:innen steht bei einer Notlandung nicht per se eine Entschädigung zu. "Erreicht ein Flugzeug mit einer Ankunftsverspätung von mindestens drei Stunden das Endziel oder wird der Flug gänzlich annulliert, kommt die europäische Fluggastrechteverordnung zur Geltung." Sie gilt allerdings nur für europäische Fluggesellschaften oder von Europa ausgehende Flüge, so Roosbeh Karimi. Je nach Streckenentfernung löse eine Verspätung von mindestens drei Stunden dann individuelle, pauschale Ansprüche zwischen 200 bis 600 Euro pro Fluggast aus. Das trifft auch auf Verspätungen zu, die durch Notlandungen entstehen. Entscheidend ist hier allerdings der Grund, warum das Flugzeug notlanden musste: Die Fluggesellschaften sind bei Verspätungen und Flugannullierungen zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet – außer die Fluggesellschaft kann sich auf außergewöhnliche Umstände als Ursache berufen und dadurch von der Zahlung befreien, so Claudia Brosche.
Wird eine Verspätung oder ein Flugausfall durch einen technischen Defekt ausgelöst, könne eine Fluggesellschaft sich nicht auf außergewöhnliche Umstände berufen. Diese können typischerweise bei dem Betrieb eines Flugzeuges auftreten. "Das bedeutet, dass ein Luftfahrtunternehmen für die Wartung, Reparatur und Inspektion seiner Flugzeuge selbst verantwortlich ist und sich nicht regelmäßig von der Ausgleichszahlung befreien kann", führt Claudia Brosche aus.
Im Fall des Alaska-Airlines-Flugs 1282 deuten die Anhaltspunkte allerdings nicht darauf hin, dass es sich um einen technischen Defekt an einem einzelnen Flugzeug handele, so die Fluggastrechtsexpertin. Die bisherigen Indizien des Vorfalls sprechen eher dafür, dass möglicherweise ein versteckter Fabrikationsfehler die Ursache für den Türverlust des Flugzeugs gewesen sein könnte. Bei der Maschine, die auf dem inneramerikanischen Flug notlanden musste, handelt es sich um eine Boeing 737 Max 9. Als Folge des Zwischenfalls hat die US-Luftfahrtbehörde angeordnet, dass insgesamt 171 Maschinen dieses Typs vor dem Weiterflug überprüft werden müssen. Bis alle Flugzeuge inspiziert sind, bleiben die Flieger aus Sicherheitsgründen am Boden.
Würde für den Flug von Alaska-Airlines die europäische Fluggastverordnung gelten, dürfte ein Anspruch auf Entschädigung also nicht bestehen, da sich die Fluggesellschaft wegen eines potenziellen Fabrikationsfehlers auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen könnte, sagt Claudia Brosche.
Der Vorfall bei Alaska-Airlines sei mit einem europäischen Fall vergleichbar. "Die Fluggesellschaft Swiss International hatte 28 ihrer Flugzeuge umgehend inspizieren lassen, nachdem das Triebwerk an einem Flugzeug des Typs Airbus A220 ausgefallen war. Sämtliche annullierten Flüge unterlagen diesem außergewöhnlichen Umstand und die Passagiere und Passagierinnen waren nicht entschädigungsberechtigt", fasst Claudia Brosche zusammen. Der Bundesgerichtshof (BGH) urteilte in dem Fall (Az. X ZR 117/21), dass ein unvorhergesehenes Ereignis, welches einen wesentlichen Teil der Flugflotte und nicht nur ein Flugzeug betrifft, einen außergewöhnlichen Umstand darstellt und eben nicht zu den normalen Aufgaben einer Fluggesellschaft gehört.
Flug verspätet? Wie Reisende zu ihrem Recht kommen
Wenn ein Flugzeug durch eine Notlandung mehr als drei Stunden verspätet am Zielort ankommt oder ein Flug annulliert wird, sollten Reisende versuchen, ihren Entschädigungsanspruch durchzusetzen. Denn: Nur wenn außergewöhnliche Umstände der Grund für die Verspätung sind, müssen Fluggesellschaften nicht zahlen.
"Fluggesellschaften setzen darauf, dass man Ansprüche nicht geltend macht oder auch schnell wieder aufgibt. Daher ist es ratsam, die Fluggesellschaft unter Fristsetzung von 14 Tagen zur Zahlung der Entschädigung selbst aufzufordern", rät Rechtsanwalt Roosbeh Karimi. Zahlt die Fluggesellschaft die Entschädigung nicht, haben Reisende mehrere Möglichkeiten. "Mit einer Rechtsschutzversicherung sucht man eine:n spezialisierten Anwält:in zur Rechtsdurchsetzung, notfalls auch gerichtlich, auf. Der Aufwand ist heutzutage minimal." Wer das Prozesskostenrisiko nicht eingehen will, kann sich an die Verbraucherzentralen, Flugärger-Apps oder die Schlichtungsstelle SÖP (öffentlicher Personenverkehr) wenden. "Während die Verbraucherzentralen nur einen kleinen Obolus berechnen, ist die Flugärger-App und die Schlichtungsstelle für Verbraucher:innen komplett kostenfrei. Alles ist besser, als den Anspruch liegen zu lassen", sagt Roosbeh Karimi.