"Liebe Gäste, das Coronavirus hat auch vor dem Alten Land nicht Halt gemacht. Wir bedauern, dass wir nicht für euch geöffnet haben. Gerne könnt ihr uns durch den Kauf eines Gutscheins unterstützen. Wir freuen uns, euch nach dem Lockdown willkommen zu heißen."
Die Stimmen auf den Anrufbeantwortern von Restaurants und Cafés im Alten Land klingen optimistisch - Durchhalteparolen aus einer Region, die derzeit wie viele andere Touristengebiete in einer langen Winterpause verweilt. Die berühmte Blüte der Apfelbäume im April und Mai jeden Jahres zieht normalerweise Scharen von Übernachtungsgästen und Tagestouristen an. Über 18 Millionen Obstbäume gibt es im Alten Land, das sich auf etwa 35 Kilometern von Hamburg bis nach Stade erstreckt: das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Nord-Europas.
Schon im letzten Jahr standen die Obstbauern ausgerechnet während der wichtigsten Saison des Jahres allein zwischen ihren weiß bis zartrosa blühenden Bäumen. In diesem Jahr muss es wieder rundlaufen, wünschen sich viele Altländer, die von dem regen Touristengeschäft profitieren. Dem Osterurlaub hat die Bundesregierung erstmal einen Riegel vorgeschobe. Wann Reisen wieder erlaubt seien wird, ist unklar.
Halteverbotsschilder am Straßenrand
Wenn Monika Rulle auf ihrem Weg zur Arbeit entlang der Elbe ins Alte Land fährt, sieht sie, wie sich Obstbäume dicht an dicht kilometerlang aneinanderreihen. Auf der anderen Seite liegt der Elbdeich, auf dem sich Spaziergänger und Jogger den Elbwind um die Nase wehen lassen. Im Frühjahr 2020 sah das anders aus: "Die Deiche mussten von der Polizei abgesperrt werden und am Straßenrand standen Halteverbotsschilder", erinnert sich die Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Stade an der Elbe. Anreiseverbote für Touristen und Schließungen von Restaurants brachten den Tourismus im Alten Land zum Erliegen.

Touristenmagnete wie Blütenfeste und Kirschmärkte wurden abgesagt und der beliebte Elbe-Radwanderbus parkte das gesamte Jahr in der Garage. In den Sommermonaten Juli und August ging es zwar bergauf und Übernachtungszahlen lagen nur leicht unter Vorjahresniveau. Doch einige, die mit dem Tourismus einen Großteil der Einnahmen erwirtschaften, müssen bis heute einen langen Atem beweisen, wie etwa Café- und Hotelbetreiber.
Mittelnkirchen am Lühedeich
Wenn man den Blick schweifen lässt, sieht man Apfelbäume, einen Hofladen mit regionalen Angeboten und normalerweise Kerstin Hintz, die ihre Gäste mit hausgemachtem Apfelkuchen und Blaubeerschnitten in Bioqualität bewirtet. Doch Corona hat die Gelassenheit und Leichtigkeit in Hintz' Hofcafé Ottilie zunichtegemacht hat. Statt kulinarische Abende und große Hochzeitsfeste zu organisieren, war Hintz in dieser Saison mit der Umsetzung von Pandemieauflagen beschäftigt. Sogar eine Hygienekraft hatte sie zusätzlich eingestellt, um den Auflagen gerecht zu werden, erzählt die 56-Jährige, die in der Saison rund 16 Stunden am Tag arbeitet.
Kerstin Hintz: "Nur große Betreibe haben eine Überlebenschance"
Hintz' Traum ist es, Menschen inmitten der Natur zusammenzubringen. Die Leidenschaft, mit der sie ihr Bioland-Café seit 2012 betreibt, ist ihr anzumerken - doch ihre Euphorie trübt sich ein, wenn sie über die Eindrücke des vergangenen Jahres spricht. Das Café schrieb schwarze Zahlen, Gäste kamen sogar aus Hamburg und Niedersachsen, doch Schließungen und Zusatzausgaben haben nun ein Loch in der Kasse hinterlassen. Hintz fühlt sich durch Auflagen und politische Entscheidungen mittlerweile fremdgesteuert und sieht sich gezwungen, neue Wege zu gehen. Mit Gemüsekisten, Lieferdienst und einem Online-Shop plant sie nun weitere Standbeine aufzubauen - denn eine Wiederholung des letzten Jahres wäre für sie katastrophal.
Statt 100 Hochzeitsfeiern im Jahr - alles abgesagt
Sieben Kilometer entfernt, im historischen Stadtkern der Gemeinde Jork, ist Hotelier Wilhelm Wehrt ähnlich besorgt. Das Hotel Altes Land ist eine der traditionsreichsten Unterkünfte der Region und während der Apfelblüte meist komplett ausgebucht. Rund 100 Hochzeitsfeiern richten Inhaber Wilhelm Wehrt und sein Team in einem normalen Jahr aus – doch nicht in einer Pandemie. Montagearbeiter und Geschäftsreisende füllen die 62 Hotelbetten seit Oktober gerade einmal zu fünf Prozent.
Auch Messen und Tagungen bei Airbus in Finkenwerder oder die Norddeutschen Obstbautage, die im Februar jeden Jahres stattfinden, wurden für 2021 abgesagt. Wehrt ist dort aufgewachsen, wo heute das Hotel steht. Was einst eine Dorfgaststätte mit Saalbetrieb und eine Landwirtschaft mit Obstanbau und Viehwirtschaft war, hat er zu einem Hotelbetrieb umgebaut und 1985 die ersten Zimmer vermietet.

Der Altländer hofft auf eine Öffnung, spätestens pünktlich zur Apfelblüte: "Ein Hotel lässt sich unter diesen Bedingungen nicht wirtschaftlich führen, wir brauchen ab dem Frühjahr dringend wieder internationale Gäste." Gastwirten und Hotelbesitzern in ganz Deutschland geht es so: Laut einer Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes aus dem November 2020 sehen sich über 70 Prozent der gastgewerblichen Betriebe in ihrer Existenz gefährdet.
Denn Instandhaltungskosten und Wartungsarbeiten müssen weiterhin bezahlt werden, während Einnahmen ausbleiben, so auch bei Wehrt. Derweil nutzt der Hotelier die touristenfreie Zeit, um dem Marketingkonzept einen neuen Schliff zu verpassen und den Social-Media-Auftritt des Hotels auszubauen. Ein Ersatz für ausgebuchte Hotelbetten sei dies jedoch nicht.
Krisen- statt Tourismusmanagement
Hintz und Wehrt sind nicht allein mit ihren Sorgen. Als Geschäftsführerin des Tourismusverbandes Stade an der Elbe koordiniert Monika Rulle die Umsetzung der Corona-Auflagen und kennt die Zukunftsängste vieler Altländer nur zu gut. Die wechselnden Auflagen während der Pandemie lösten bei vielen Betrieben einen enormen Informationsbedarf aus: statt ein bis zwei Informationsmails pro Quartal sendete Rulle im zweiten Quartal 2020 ganze 35 Mails an die touristischen Betriebe: "Statt Tourismusmanagerin war ich eher eine Krisenmanagerin", sagt Rulle, die dabei auch viele rechtliche Fragestellungen beantworten musste: "Vermieter von Ferienwohnungen riefen bei mir an und wussten am Donnerstag nicht, welche Belegungsquoten für das Wochenende gelten werden", schildert sie.

Gemessen an den Buchungszahlen hätten Besitzer von Ferienwohnungen und die Betreiber der 27 Camping- und Wohnmobilstellplätzen in der Saison profitiert. Zusätzlich wurde eine ganze Reihe von sogenannten Pop-up-Stellplätze auf freien Flächen im Alten Land errichtet, denn altbekannte waren fast durchgehend ausgebucht. Seit Juli 2020 können etwa im Seitenhof der historischen Festung Grauerort 25 Wohnmobile stehen; nur 400 Meter vom Elbstrand entfernt. Auch in diesem Jahr sollen einige der neuen Stellplätze wieder zur Verfügung gestellt werden.
Den Geschäftsführer des Touristenvereins Altes Land, Stephan Bergmann, sorgen vor allem die gestrichenen Bustouren. Besonders beliebt bei älteren Touristen seien Pauschalreisen, bei denen der Besuch auf einem Obsthof, Kaffee und Kuchen, Übernachtungen und ein Guide für den Tag als Gesamtpaket verkauft werden. 107 solcher Pauschalreisen verkaufte der Touristenverein im Jahr 2019. 2020 waren es 17. Nicht nur der Verein verdient an solchen Reisen, auch Hoteliers, Obstbauern und Restaurantbesitzer rechnen fest mit Einnahmen aus Busgruppen.

Während in Deutschland die Übernachtungszahlen um 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgingen, ist Bergmann erstaunt über die stabilen Buchungen im vergangenen Jahr. Trotz der Beherbergungsverbote im Frühjahr 2020 erreichten die Jahresbuchungen im Landkreis Stade etwa 90 Prozent des Vorjahresniveaus. "Wir sind positiv überrascht und konnten neue Zielgruppen erschließen", resümiert Bergmann, der den Touristenverein von 2017 bis Anfang 2021 geleitet hat. Besonders junge Familien und Gäste, die es normalerweise in den Süden zöge, hätten 2020 das Alte Land für sich entdeckt und gerne in Ferienwohnungen übernachtet.
Stephan Bergmann: "Der Deutschlandtourismus wird profitieren"
Diesen Trend können auch andere Feriengebiete bestätigen. Am Ratzeburger See in Schleswig-Holstein waren Ferienwohnungen und Hotels von Frühjahr bis Herbst fast zu 90 Prozent ausgelastet, wie das Tourismus- und Stadtmarketing berichtet. Ratzeburg sei seit jeher ein beliebtes Urlaubsziel für Deutsche und Nordeuropäer, doch gerade während der Corona-Krise war und ist die Stadt eine begehrte Alternative zu den deutschen Küstenregionen, die teilweise Anreisestopps für Tagestouristen verhängen mussten.
"Corona ist wie ein Schädling am Obstbaum"
Trotz Übernachtungsverboten und Hygiene-Auflagen schauen schon jetzt einige Betriebe positiv auf das Jahr 2020 zurück und haben aus der Krisenzeit gelernt. "Ein stabiler Betrieb muss mehrere Standbeine haben, um auch Krisen wie diese zu meistern", meint Hein Lühs, der den Herzapfelhof in Jork mit seinen Kindern in fünfter Generation bewirtschaftet. Kurz vor Beginn der Pandemie hatte er die Arbeiten an einem Neubau abgeschlossen: ein 360 Quadratmeter großer Hofladen samt Café. Diese Investitionen müssen nun wiedererwirtschaftet werden.

Fast 500 Führungen finden normalerweise im Jahr auf dem Demeter-Hof statt, während des Corona-Jahres waren es gerade einmal 75. Corona sei wie ein Schädling am Obstbaum, er sei ärgerlich, raube einem Nerven, und doch müsse man lernen damit umzugehen, findet Lühs, der seit dem Beginn der Pandemie den Absatz im Online-Shop des Hofes enorm steigern konnte. Um seinen Betrieb wirtschaftlich zu betreiben, orientiert er sich an einer alten Bauernregel: eine Ernte auf dem Baum, eine im Lager und eine im Verkauf.
Auch der Apfelpatenhof Schuback hat innovativ auf die besondere Situation reagiert. Gäste, die ihre Äpfel im letzten Herbst selbst pflücken wollten, konnten während der Erntezeit ein Online-Ticket für ein Zeitfenster von zwei Stunden ziehen. Statt vier gab es im Pandemiejahr zwanzig Erntetage, um den Besucherandrang zu entzerren; die beiden Erntefeste mussten aber ausfallen. Für das Online-Meldesystem richteten die Schubacks extra eine Richtfunkstrecke ein, damit das Meldesystem per W-Lan auf dem gesamten Gelände funktionierte.
Auch andere Altländer konnten die Winterpause einigermaßen erleichtert verbringen, wie die Fischereheleute Rita und Lothar Buckow. In der Saison 2020 hatten sie fast doppelt so viele Fischbrötchen wie in den Jahren zuvor verkauft: "Trotz der vielen Auflagen war 2020 ein gutes, wenn auch anstrengendes Jahr für uns", sagt Rita Buckow dankbar. Sie ist sich bewusst, dass nicht jeder Gastronom so gut durch das Jahr gekommen ist.

Hinter dem Elbdeich bei Jork betreibt das Ehepaar ein Restaurant und einen Fischverkauf mit großem Außenbereich. Zusätzlich vermieten sie eine Ferienwohnung, die im Sommer 2020 durchgehend ausgebucht war. Von Frühling bis Herbst müssen die Buckows ihren Jahresdienst erwirtschaften, um in den touristenarmen Wintermonaten schließen zu können. Auch 2020 sei dies gelungen, trotz Unsicherheiten und Reiseverboten; und gerade wegen des Fischbrötchen-Ansturms.
Urlaub 2021: Altländer warten auf Gäste
Langfristig gesehen scheint das Alte Land als attraktive Tourismusregion im Norden zu profitieren. Jene, die Hygieneregeln dank großer Außenflächen umsetzen konnten, hatten Glück. Und wie geht es 2021 weiter? Dass Feste in der Region stattfinden können, ist unwahrscheinlich. Wenn überhaupt, dann "planen wir, die Feste über mehrere Wochenenden zu strecken und Besucherströme zu steuern", berichtet Stephan Bergmann vom Touristenverein und rechnet damit, dass das Alte Land auch im zweiten Corona-Jahr ein beliebtes Urlaubsziel sein wird. Buchungen für Ferienwohnungen- und Häuser gebe es schon jetzt.

Auch Monika Rulle hat in den vergangenen Wochen schon zahlreiche Prospekte mit Informationsmaterial an interessierte Urlauber versendet. Langfristig gesehen macht sie sich jedoch Sorgen um Hotels, von denen es ohnehin schon zu wenig in der Region gäbe. Auch der Fachkräftemangel müsse im Auge behalten werden, er könnte sich durch Corona verstärken. Während des Lockdowns seien manche Arbeitskräfte im Hotel- und Gastronomiesektor in die umliegenden Großstädte abgewandert, um dort im Einzelhandel zu arbeiten, der 2020 weniger stark von den Schließungen betroffen war.
Auch Hochzeiten mit 150 Gästen werde es im Frühjahr noch nicht geben, prognostiziert Rulle und hofft dennoch auf eine gute Saison. Viele hätten dazugelernt und wüssten, sich Corona-konform zu verhalten: "Wir sind ein weites Land und möchten unseren Gästen Naturerfahrung ermöglichen, auch während Corona."
Bis im Alten Land der Urlaub wieder sorglos verbracht werden kann, müssen noch einige Äpfel geerntet werden. Und bis dahin? "Jeden Tag einen Apfel essen, dann bleiben sie gesund", wie Obstbauer Hein Lühs immer schon empfohlen hat.