VG-Wort Pixel

Follow Me Ortstermin in Finkenwerder: Wie Airbus aus der Krise fliegen will

Warten auf die Endmontage: Geparkte Rumpfsegmente im Airbus-Werk in Hamburg-Finkenwerder.
Warten auf die Endmontage: Geparkte Rumpfsegmente im Airbus-Werk in Hamburg-Finkenwerder.
© Till Bartels
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie und die Notlage vieler Fluggesellschaften auf die Produktion von Airbus aus? In der Krise ist Kreativität gefragt. Ein Besuch in den Werkshallen und im Auslieferungszentrum in Hamburg.

In Zeiten von Corona ist alles anders: Vor dem Airbus-Haupttor in Hamburg-Finkenwerder gibt es keinen Stau mehr von Lastwagen und keine Warteschlangen von Besuchern bei der Anmeldung, wie bei früheren Terminen.

Auch auf dem Werksgelände sieht es in diesen Monaten ungewohnt aus. Neben vielen fabrikneuen Maschinen der Typen A320 und A321 der Neo-Baureihe mit den sparsameren Triebwerken stehen unter freiem Himmel auffallend viele Rumpfsektionen nebeneinander aufgereiht. Die tunnelförmigen Röhren sind teilweise von roten Planen abgedeckt und warten auf die Endmontage.

Das Airbus-Werk am Südufer der Elbe ist einer von vier Standorten, in denen die Jets der A320-Familie produziert werden. Neben zwei Fertigungsstraßen in Toulouse werden die kleineren Airbus-Jets auch in Tianjin in China und in Mobile im US-Bundesstaat Alabama gebaut. Aber gleich vier Endmontagelinien gibt es inzwischen im Hamburger Werk. Noch Anfang des Jahres war die Gesamtfertigung sogenannter Schmalrumpfflugzeuge auf 60 Stück pro Monat hochgefahren worden, die Hälfte davon entfiel auf den Standort Hamburg. Dann kam Corona.

Angst um Arbeitsplätze

Aus Angst vor dem Virus werden auf das Gelände seit Frühjahr kaum Besucher und Journalisten gelassen. Die Abriegelung scheint erfolgreich zu sein: "Wir sind froh, dass wir durch Corona keine Ausfälle hatten und keinen Produktionsstopp einlegen mussten", sagt Gerd Weber, der für die Endmontage der A320er zuständig ist. Doch statt rund 60 Flugzeuge im Monat verlassen nur noch 40 der A320-Familie die Endmontagelinien in Deutschland, Frankreich, China und den USA. Die Rate musste reduziert werden, weil wegen des globalen Einbruchs im Flugverkehr viele Airlines um Aufschub gebeten haben und sich Abnahme und Auslieferung verzögern.

Gleichzeitig fürchten die Mitarbeiter in den Hallen den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Der Flugzeugbauer hat sich ein strenges Sparprogramm diktiert: Airbus will weltweit 15.000 Stellen streichen, rund 3000 davon in Hamburg, Buxtehude und Bremen. Durch Kurzarbeit kann bis Ende März 2021 auf Kündigungen verzichtet werden. Danach sind aber betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr auszuschließen. Laut Arbeitsdirektor Marco Wagner soll es für Mitarbeiter ab 58 Jahren eine Abfindung geben. Doch wie hoch wird sie für den Einzelnen ausfallen?

Bald der meistverkaufte Jet der Welt

Im Kontrast zu den Hiobsbotschfaten gibt es diese Tage jedoch auch einen Grund zum Feiern. Im Oktober wurde ein Meilenstein erreicht: Gerade wurde der erste Jet mit einer fünfstelligen Baunummer an Middle East Airlines (MEA) übergeben. Damit hat sich die seit Ende der 80er Jahre produzierte A320-Baureihe als eine der meistverkauften entwickelt.

Schon bald dürfte Airbus mit diesem Passagierjet die Produktionszahlen der Konkurrenz überflügelt haben. Denn von allen Modellen der Boeing 737 wurden 10.583 Exemplare ausgeliefert. Dabei hatte die 737 ihren Erstflug schon 1967. Die aktuelle Variante, die Boeing 737 Max, ist nach zwei Abstürzen mit einem weltweiten Flugverbot belegt.

Interessant ist auch, wie sehr Airbus aufgeholt und Boeing unter Druck gesetzt hat: Das 5000. Exemplar eines A320 ging erst 2012 an einen Kunden – das macht eine Steigerung vom 5000 ausgelieferten Flugzeugen innerhalb von nur acht Jahren.

Automatisierte Strukturmontage

In den Werkshallen geht es leise zu. Kein Hämmern, kein Nieten. Nur wenige Mitarbeiter sind zu sehen. Schon vor Corona gab es in der Produktion eine strukturelle Änderung in Hamburg: Weil die Fertigung mangels neuer Aufträge für den Airbus A380 ausläuft, wurden die Hallen 213 und 214, die eigens für das größte Passagierflugzeug der Welt errichtet waren, in eine weitere Final Assembly Line (FAL) für die A320er Bauerreihe umgewidmet.

Doch die Hangars wirken höher als breit. So musste vor zwei Jahren ein völlig neues Montageverfahren her: Statt einer Produktionsstraße gibt es hier voll bewegliche Arbeitsstationen auf mobilen Werkzeugplattformen. Im ersten Arbeitsschritt werden Vorder- und Hecksektionen durch Roboter mit automatischem Bohren und Vernieten zusammengefügt. Die Genauigkeit beträgt dank Laserausmessung 0,2 Millimeter.

Neues Montageverfahren in den Hallen 213 und 214: Die Rümpfe werden auf voll beweglichen Arbeitsstationen mit mobilen Werkzeugplattformen zur nächsten Arbeitsstation bewegt.
Neues Montageverfahren in den Hallen 213 und 214: Die Rümpfe werden auf voll beweglichen Arbeitsstationen mit mobilen Werkzeugplattformen zur nächsten Arbeitsstation bewegt.
© Airbus

Vollautomatisch wird der Rumpf anschließend zur nächsten Station gefahren, zum Beispiel zum Einbau des Hauptfahrwerks, der Montage des Höhenleitwerks und der Tragflächen. "Wir takten hier alle vier Tage", sagt Gerd Weber. Er beschreibt damit das Ballett, wenn sich in einer Halle die halbfertigen Flugzeuge auf ihren Bühnen wie zuvor einprogrammiert zum nächsten Bauplatz bewegen. Vor Corona wurde hier alle drei Tage getanzt.

Corona hat nicht nur den Ausstoß neuer Maschinen verlangsamt, sondern auch die Produktionsbedingungen geändert. Die 150 Mitarbeiter pro Früh- und Spätschicht begegnen sich nicht mehr. Übergaben finden digital statt. "Arbeitsinhalte wurden entzerrt, zur Risikominimierung", heißt es. Auf Fußböden und Tischen gibt es jetzt Markierungen, damit sich keiner zu nahe kommt. Am Arbeitsplatz wie im Pausenraum gilt die AHA-Regeln - Abstand, Hygiene, Alltagsmasken.

Gibt es Änderungen in der Taktung, müssen die Ketten der Zulieferer mit eingebunden werden. Das erfordert eine Vorlaufzeit von mindestens sechs Monaten. Eigentlich. "Doch wegen Corona haben wir im Frühjahr die Produktionskürzung innerhalb von nur sechs Wochen umgesetzt", so Weber.

"Ein Flugzeug ist wie eine verderbliche Ware"

Ortswechsel in den südlichen Teil des 370 Hektar großen Airbus-Geländes: Mit einem der drei werksinternen Buslinien geht es durch einen Tunnel unter der Start- und Landebahn hindurch zu den Auslieferungshallen. Davor glänzen zehn nebeneinander aufgereihte A321neo in der Nachmittagssonne, die auf die Kunden warten.

Verlässt ein fertiges Flugzeug die Produktion, steht die Flugerprobung vor der Übergabe an den Kunden an. Zum ersten Mal laufen die Triebwerke und beschleunigt das Flugzeug auf der Piste bis zum Startabbruch. In der Regel begleitet ein Airline-Vertreter die Abnahme, bis hin zum "Customer Acceptance Flight". Meist wird eine Schleife über der Nord- oder Ostsee geflogen, die zwischen 60 bis 90 Minuten dauert.

Doch seit dem Lockdown in März läuft alles anders: Der Auslieferungsrhythmus kam komplett durcheinander. Airline-Vertreter und Piloten konnten nicht mehr nach Hamburg kommen, während die Produktion noch auf Hochtouren weiterlief. Schnell waren alle Standplätze in Finkenwerder zugeparkt.

Ausweichplätze an den Flughäfen Rostock, Dresden und Erfurt mussten her. Selbst am BER und in Braunschweig wurden Stellplätze reserviert. Rund 135 Jets, die nicht abgeholt wurden, galt es zu managen.

Das Problem: Ein Flugzeug, das an die Flugerprobung übergeben wird, unterliegt anderen Bestimmungen als im regulären Luftfahrtbetrieb. Die Wartungsintervalle sind kürzer. "Ein Flugzeug ist wie eine verderbliche Ware. Ich muss mich darum kümmern", sagt Carlos Alcántara, der Verantwortliche der A320 Family Customer Line. "Wir dürfen nicht einfach die komplette Infrastruktur eines anderen Flughafens mitbenutzen, sondern müssen für bestimmte Aufgaben eigenes Werkzeug und Gerät mitbringen. Für die Außenstellen gelten die gleichen Standards wie bei uns in Finkenwerder."

14 statt 70 Auslieferungen im Monat

Alcántara arbeitet seit 34 Jahren für Airbus. Er steht neben einer A321neo, dessen Hilfstriebwerk im Heck läuft. Der Jet, der in den Farben von China Southern Airlines lackiert wurde, ist eine der Maschinen, die hier den Airline-Kunden übergeben werden. "Statt bis zu 70 Flugzeuge aller Baureihen pro Monat konnten wir im April weltweit nur 14 ausliefern", sagt Alcántara.

Carlos Alcántara steht auf dem Dach des Auslieferungszentrums in Hamburg-Finkenwerder, wo die neuen Jets an Kunden übergeben werden
Carlos Alcántara steht auf dem Dach des Auslieferungszentrums in Hamburg-Finkenwerder, wo die neuen Jets an Kunden übergeben werden
© Till Bartels

Seit März wird viel Improvisationstalent gefordert, "alles unter Einhaltung der Vorschriften." So finden die mehrtägigen Übergaben teilweise per Videokonferenz statt, Mitarbeiter laufen mit dem Handy filmend um das Flugzeug und durch die Kabine.

Ob Finkenwerder oder auf dem Ausweichstellplatz in Rostock, die neuen Flugzeuge werden nicht langfristig geparkt, sondern bleiben in "flight-ready condition", werden von Airbus-Technikern regelmäßig gewartet, bewegt und auch geflogen. In regelmäigen Abständen müssen die Triebwerke gestartet werden.

Durch die momentanen Reisebeschränkungen und Quarantänebestimmungen können Airline-Piloten die neuen Flugzeuge in Finkenwerder oder Toulouse nicht abholen. So hat sich Airbus entschlossen, die Maschinen beim Kunden abzuliefern. "Nächste Woche bringen wir an einem Tag drei Exemplare nach Indien und fliegen mit einem Business Jet hinterher, der die Piloten gleich nach der Landung zurück nach Hause bringen wird", erklärt Alcántara. So werden gesundheitliche Risiken für die Crews minimiert, und Airbus erhält die letzte Ratenzahlung für die neuen Jets.

Schon im September konnte Airbus die Zahl der weltweiten Auslieferungen auf 57 Flugzeuge erhöhen. Bis zum nächsten Sommer bleibt es bei den Produktionskürzungen, insbesondere für die Großraumjets für den Langstreckenverkehr, die in Toulouse hergestellt werden. Bei den Mittelstreckenjets der A320-Familie gibt es ein dickes Auftragspolster von 6048 Bestellungen. Hier könnte sich die Nachfrage eher erholen. Den Zulieferern gibt sich Airbus vorsichtig optimistisch. Sie wurden diese Tage informiert, dass in den vier Werken ab Mitte 2021 die derzeitige Produktion von 40 auf 47 Exemplare im Monat hochgefahren werden könnte.  

Lesen Sie auch:

A321LR: or diesem kleinen Airbus hat Boeing Angst

Letzter Konvoi nach Toulouse: Wenn ein Airbus A380 durch Dörfer rollt

Warum der Airbus A380 nur 15 Jahre nach dem ersten Rollout verschrottet wird

Mehr zum Thema

Newsticker