Gerade im trüben deutschen Winter kommt sie immer wieder: die Sehnsucht nach blauem Himmel und weitem Meer. Aber wer hat schon stets Zeit und Geld für eine Fernreise. Und dann sind da noch die Kinder...Wer wenigstens eine warme Jacke hat, kann auch nach Rügen fahren. Zwar kann man da derzeit nicht baden, zumindest nicht in der offenen See. Und das Meer ist in strengen Wintern nicht blau, sondern weiß und manchmal sogar gefroren. Aber wenn ganz Deutschland im Nebel versinkt, dann ist auf den Inseln im Norden nicht selten Sonnenschein.
Rügen im Winter. Einsam ist man nicht, doch ziemlich allein, im Vergleich zu den sirrenden Sommern, wenn sich der Urlauberstrom schon ab Stralsund auf dem Rügendamm staut. Das Land ist weit, die Luft ist klar und salzig, und die Dämmerung mit Himmeln wie Apfelsinenberge dehnt sich schon ab nachmittags in den Tag. Und wer Glück hat und Temperaturen unter null, der kann schon aus weiter Ferne die Schlittschuhläufer entdecken, kleine bunte Punkte, die über die Boddengewässer schwirren wie die Libellen im Sommer.Und endlich, endlich einmal kann man all das ansehen, was Rügen außer Strand und Meer noch zu bieten hat, was man aber im Sommer nie zu sehen bekam, weil man ständig baden, auf Seebrücken flanieren, in der Sonne liegen und mit den Füßen im Sand bohren musste.
Die Kreidefelsen, na gut, die hat man sich schon im Sommer angeguckt, weil einen jeder danach fragt und weil sie auch die kennen, die Rügen nicht kennen; aus dem Museum nämlich, von den Bildern des Caspar David Friedrich. Wie so oft auf Rügen ist aber auch hier der Weg das Ziel: die Wanderung von Hagen durch den winterlichen Wald des Nationalparks Jasmund und das Torfmoor zum Königsstuhl. Der Abstieg über eine glitschige Holztreppe, 120 Meter tief an die Kreideküste, lohnt sich auch dann, wenn man unten keinen Bernstein findet. Wieder hochgekraxelt, vom Wind ordentlich durchgepfiffen und erfreut darüber, dass die Felsen diesmal fast für einen allein da waren, sieht man die Glühweinbude.
Dass sie dem Wind trotzt und für die wenigen Besucher noch geöffnet hat, das ist auch nicht schlecht. Weil das satte Grün ebenso weit weg ist wie die wilden Blumen und das ganze Pflanzengewirr, fällt jetzt der Blick auf die nackte Erde. Auf die Findlingsblöcke, die auf dem Rücken von eiszeitlichen Endmoränen von Schweden und Norwegen aus nach Rügen reisten. Die Rüganer gaben ihnen Namen, weil sie sicher waren, dass die über hundert Tonnen schweren Steine nicht ohne Grund bei ihnen eingekehrt sind: Schwanenstein, Opferstein, der Siebenschneiderstein, der Waschstein - bis auf den nur per Boot erreichbaren Buhskam kann man sie alle erwandern. Wie die Steinfelder bei Mukran, ein Areal von 40 Hektar mit Millionen von Feuersteinen, die eine Sturmflut vor ungefähr 3500 Jahren hier vergessen haben soll. Auch die Hünengräber entfalten im Winter eine eigene Magie, wenn man sich vorstellt, wie die Steinzeitmenschen die bis zu 300 Zentner schweren Steine mit untergeschobenen Holzrollen an ihre heiligen Stätten geschafft haben.Und vielleicht, wenn man sehr viel Glück hat, trifft man ja auch einen jener Unterirdischen, die in den Bergen von Rügen wohnen sollen, mit Schatzkammern voller Gold. Das ist nur eine Sage, zugegeben, doch im Winter klingt sie irgendwie wahrscheinlicher als in den lauten Sommern voller Lagunas und Nissans mit Kennzeichen DD und HH und OPR.
Das mit den Märchen ist lange her, und vielleicht gibt es ja auch keine Unterirdischen mehr auf Rügen. Was es aber immer noch gibt, ist das "Monster von Rügen" - fast vier Kilometer lang und sechs Stockwerke hoch. Es liegt am Strand von Prora oberhalb von Mukran. Adolf Hitler hat die acht jeweils 500 Meter langen identischen Gebäude errichten lassen als "Kraft durch Freude Bad" für 20 000 Menschen.
Bevor es allerdings in Betrieb gehen konnte, zettelten die Deutschen den Weltkrieg an, und zurück blieb nur dieses steinerne Mahnmal des Größenwahns. Lange Zeit diente es der Nationalen Volksarmee der DDR als Kaserne und Militärschule.Um diese Jahreszeit laufen vor allem Männer durch die gesichtslosen Giganten, mal begleitet von kleinen Söhnen, die mit aufgerissenen Augen in die leeren Fensterhöhlen dieser Ruinen starren. Die Väter stehen auf dem ehemaligen Exerzierplatz, genießen einen der seltenen Momente, in denen sie froh sind, nicht mehr 18 zu sein, und fragen sich, wie sie all diese Lügen haben glauben können über das Abenteuer, ein Fallschirmjäger zu sein. Dann erzählen sie ihren Söhnen, wie sie sich in der eiskalten Ostsee in Kompanieformation waschen mussten, wie sie gezwungen wurden, am Strand ihre Stuben aufzubauen, mit Spind und Bett und allem - auf dem Rückweg durfte kein Sandkorn kleben bleiben. Und wie die Russen versucht haben, mit einer Waggonladung Sprengstoff eine der Trutzburgen in die Luft zu jagen. Aber die blieb einfach stehen. Später übten sie in der Ruine Auf- und Abseilen und Häuserkampf.
Man kann sich auf Rügen auch die Gutshäuser anschauen, die Kirchen, die Jagdschlösser. Man kann eine Fischtour machen und sich von Süden nach Norden durch die besten Räucherfischbuden essen. Man kann mit Schiffen aus Sassnitz die Insel umrunden, in der Enklave Mönchgut Rindfleisch mit Pflaumen essen oder den Geburtsort des Dichters und Freiheitskämpfers Ernst Moritz Arndt besuchen, dessen Eltern noch Leibeigene des Grafen von Putbus waren.Man kann natürlich auch nichts von alledem machen. Sich einfach nur in eines dieser schicken Hotels einquartieren, die im Winter mit sensationell günstigen Preisen locken. Die schöne Landschaft aus den riesigen Fenstern genießen, sich in der angeschlossenen Therme die Haut verschrumpeln lassen, über die Rutsche quietschen, die Kinder im Kinderland abgeben - und dann endlich mal ohne die kleinen Plappertaschen in Ruhe in die Sauna gehen.Rügen im Netz:Tourismusverband MecklenburgVorpommern, Tel.: 0381/40 30 50-0, Internet: www.auf-nach-mv.de. Tourismusverband Rügen, Tel.: 03838/80 77-0. Internet: www.ruegen.im-web.de und www.ruegen.com