Und wenn er irgendwann gestorben ist, mit hundertzwei oder hundertsechs, dann werden ihn die Pompfüneberer in einem weißen Sarg ums Burgtheater tragen, und alle Wiener werden sich verneigen. Acht Lipizzaner aus der Hofreitschule samt Reiter und Oberbereiter ziehen ihn sanft auf einem Katafalk zum Stephansdom, wo ein Jesuitenchor Verzeihenslieder hauchen wird. Zwerge werden Rad schlagen, Messerwerfer werden Messer werfen, Artisten lassen Ballone in den Himmel steigen. Seine Verflossenen werden Kristalle weinen, und die Geister von Andy Warhol, Joseph Roth und Franz Beckenbauer singen "Für immer jung" – in seiner Version von 1983. Dann werden sie einen Teil seiner Asche auf dem Friedhof von Hietzing im Schönbrunner Park ausstreuen und einen anderen in seinem Garten am Gardasee. Den Rest aber, den verstreuen sie hier, in Marokko.
Denn hier lebt André Heller heute. Weise geworden, in bunten Röcken. Wie ein griechischer Dichter sieht er aus, ein Aischylos auf Prada-Schuhen. Silbrig-weiß kringeln sich die Haar-Schneckerln auf seinem Kopf. Alles, was früher schwarz und düster war am Schmerzpoeten Heller, ist verschwunden. Das Manierierte, Arrogante und Verschmockte, für das sie ihn und er sich selbst manchmal hasste. Vor Marokko sei er 45 Jahre lang in einem Feind eingeschlafen und in einem Feind aufgewacht, sagt er. Doch die Dämonen sind weitgehend niedergerungen, auch weil er seit 15 Jahren schon mit Albina Bauer zusammen ist, seiner Schönen, seiner Seelenvertrauten.
Seit er zum Frühstück ayurvedischen Brei aus Dinkel und Grieß isst. Seit er sich einen "Ort der Heilung und Sinnlichkeit" gebaut hat, aus elfenbeinfarbenen Häusern und einer paradiesischen Oase. André Heller hat nämlich jetzt einen Garten in Afrika. Am Fuße der Atlasberge. Er liegt auf der Höhe Kitzbühels südlich von Marrakesch und in einer Ortschaft, die Ourika heißt. Mit unverbaubarem Blick auf die weißen Gipfel, die grünen Zedernhügel und die braunen Berberdörfer des Hohen Atlas. "Anima", so hat der Wiener Tausendkünstler seinen in fünfjähriger Pflanzarbeit entstandenen Park genannt, "Seele".
Das architektonische und botanische Selbstporträt
Er habe einmal "etwas ohne Ausreden" machen wollen. Nicht wie bei den Hunderten von Auftraggebern bezahlten Projekten. Das habe er "ums Oarschlecken gerade noch so geschafft", sagt er. Vor Tagen ist der Jesuitenzögling und Schokoladenfabrikantensohn aus dem 13. Wiener Bezirk 69 Jahre alt geworden. Auf dem sieben Hektar großen Gelände einer ehemaligen Rosenplantage hat er ein "architektonisches und botanisches Selbstporträt" schaffen wollen, mit allem, was er sich im Leben erwarb – dem Wissen über Inszenierungen, Düfte und Pflanzen, Licht und Schatten. Und mit dem Geld natürlich, das er verdiente. Zum Beispiel als Kulturbeauftragter des Fußball-Sommermärchens.
Er hat jetzt Räume, "in denen er auszittern kann". Er hat vieles hinter sich gelassen. Die Neugier jedoch, die hat ihn bis hierher ins Ourika-Tal verfolgt, wo die Berber ihre Ziegen verkaufen – sowie die Kleider aus den Caritas-Containern Europas. Das Fieber, die Geschichten, der Wunsch, sich "weiter lernend zu verwandeln", sind Heller auch hier nicht von der Pelle gewichen.
Kürzlich hat er neue Lieder aufgenommen, um zu sehen, ob er's noch kann. Eines heißt "Vom Glück verfolgt". Und er hat seinen ersten großen Roman geschrieben. Kritiker loben "Das Buch vom Süden" bereits vor dem Erscheinen als "Weltliteratur". Was er anfasst, gelingt ihm wie früher. Nur, er geniert sich nicht mehr dafür. Das Gefühl von "Scheitern, scheitern, besser scheitern" war gestern. Der Großmeister unter den Illusionskünstlern und Schutzheilige der Romantiker ist jetzt mit sich selbst befreundet, wie Therapeuten wohl sagen würden. Er nimmt sich seine Gold- und Platinschallplatten aus der Popstar-Phase nicht mehr übel; auch nicht, dass er den Zirkus "Roncalli" erfand und kurz darauf zerstörte, weil er den Erfolg mit Bernhard Paul nicht teilen mochte. Er hat sich seine Fehler verziehen. Heller Wahnsinn eigentlich. Aber darum geht es nicht.
Mit dem Kaktus übern Berg
Es geht um den Garten. Hochhaushohe Palmen sind auf Tiefladern mit verkehrsgefährdendem Überhang über Schleichwege von der Küste angereist und nach gutem Zureden hier wieder angewachsen. Einen gigantischen Kaktus hat er vor Abrissbaggern im Innenhof eines Riads gerettet. In einem Käfig wurde der transportiert, damit ihm nicht die Arme brechen, auf der Fahrt. "Der Kaktus war meine Fitzcarraldo-Tat", sagte Heller. Fitzcarraldo, im Herzog-Film der Mann (Klaus Kinski), der ein Opernhaus in den Dschungel bauen wollte und dafür ein Schiff über den Berg hob.
Gut, man kann, wenn man Gärten mag, auch auf die Insel Mainau fahren oder nach "Sissinghurst", dem Anwesen der Dichterin Vita Sackville-West in Kent. Aber es gibt dort keine Olivenhainbögen mit tibetischen Gebetsflaggen und sanftem Glenn Gould, der vom Band die Goldberg-Variationen spielt. Es gibt dort keinen türkisfarbenen, islamischen Garten, tiefergelegt, damit der Orangenblütenduft horizontal in die Nase strömen kann, keinen Rodin-Denker vor einem rostigen Kahn, der die Flüchtlingskatastrophe des afrikanischen Kontinents symbolisieren soll. Oder wie Heller das Bild deutet: "Es sagt, wir kommen mit dem Schiff zu euch. Mit unserer Kultur, mit unserer Schönheit, mit unserem Wissen. Ich habe ein Schiff aus Papier gefaltet und zu den Schlossern gesagt: ‚Macht's mir das auf groß.' Ich find' es schön, dass direkt davor der Rodin sitzt. In der großen Pose des Fin de Siècle. Er denkt nach, während sich in seinem Rücken ein Exodus anbahnt."
André Heller ist vielleicht der einzige Mensch auf Erden, der gleichzeitig einen Flüchtlingskongress organisieren und in der Katastrophe noch einen Hauch Poesie erkennen kann.
Es gibt auf der Bodenseeinsel Mainau übrigens auch keine geringelten Pyramiden, die aussehen wie die Gewürzkegel auf den Märkten, keine Berberzelte in den Fängen von Agaven, keine Rosengärten im Sprühnebel afrikanischer Masken. Am 11. April wird er seinen Park für das Publikum öffnen. "REVE" steht in mannshohen Lettern zwischen Bougainvillea- Ranken und der Insel der gehandicapten Bäume, "Traum". Deutsche Besucher lasen bei einer Vorbesichtigung "REUE" daraus. Typisch.
Babylonisches Bauen, heute
Oft während der Bauzeit haben die 20 marokkanischen Gärtner gedacht, dass sie es bei Sayid Heller und seinem kongenialen wienerischen Geschäftsführer Gregor Weiss, 40, mit Wahnsinnigen zu tun hätten. Wenn er zum Beispiel in Entzücken geriet beim Anblick einer völlig verbogenen ("schiachen") Palme, die jeder vernünftige marokkanische Bauer sofort umgenietet hätte, weil sie nicht einmal ihre eigenen Wedel allein tragen konnte. Heller dagegen ließ sie vorsichtig ausbuddeln, verpflanzen, mit geschnitzten Holzleitern, die er sich im Souk von Marrakesch eingehandelt hatte, abstützen und freute sich. "Verrückt geworden", tuschelten sich die Gärtner in ihren Secondhandjacken zu, auf deren Rücken "FBI" oder "UCLA" stand. Ein Gartenarchitekt suchte nach kurzer Zeit das Weite.
Als Heller anfangs zu weit entlegenen Olivenbaumbesitzern ausschwärmte, wollte er für seinen Garten perfekte Kronen finden, die imposantesten Bäume des Landes. Die kaufte er. Wenn sie dann Tage später geliefert wurden, waren ihre perfekten Olivenhäupter kurzhaarmäßig verschnitten, alles Schöne dahin, wie amputiert. Weil die Baumschulbesitzer es eben immer so machen, um zehn oder zwölf Stämme auf einen Lkw zu bekommen! Es hat eine Weile gedauert, bis es sich herumgesprochen hatte, dass dieser immer lächelnde Europäer in den seltsamen Gewändern, bei dem sich die Menge teilte, wenn er über die Plätze schritt, dass der für jeden Baum einen eigenen Lkw zahlte.
Seltsame Gewänder? Es ist schon so, dass er auch hier immer noch Yohji Yamamoto, Issey Miyake und das trägt, was es bei Thomas-i-Punkt in Hamburg gibt. Aber manchmal kommt eben auch ein Mantel dazu, den ihm ein Souk-Schneider aus einem Kelim genäht hat. Das sieht dann besonders malerisch aus, wenn er durch den Garten schlendert und dem Oud-Spieler, den Vögeln und Fröschen lauscht. Oder wenn er die Vorhänge auf der Terrasse mit der Geste eines Shakespeare- Königs aufzieht.
Bauernjungs werden Facharbeiter
Oft sind Heller & Weiss aber auch umgekehrt ins Staunen geraten, etwa beim Hausbau. Als sie 2008 begannen, waren 200 Maurer, Schlosser, Mosaikleger ausschließlich marokkanischer Firmen im Einsatz. Etwa 85 Prozent von ihnen waren Analphabeten. Die Kommunikation verlief auf Deutsch, Französisch, Arabisch und Taschelhit, einer Berbersprache. Niemals jedoch über Baupläne und schriftliche Anweisungen. Die Geradlinigkeit von Wänden und Mauern haben die Arbeiter mit Schlauch und Senkblei überprüft. Es gab weder Wasserwaage noch Kran. Für das Schwere stand ein Flaschenzug bereit.
Es war irgendwie gut, dass Gregor Weiss damals keine Ahnung davon hatte, was "schwimmender Estrich" ist oder eine "Traufhöhe". Er hatte Politologie studiert, dann bei der österreichischen Botschaft in Damaskus gearbeitet, dann beim Film. Er hatte rein bautechnisch keinerlei Vergleichsmöglichkeiten. Trotz des babylonischen Sprachgewirrs stehen nun 13 Gebäude mit Fußbodenheizung, Museumsanmutung und Dachterrassen, von denen man auf Abendstern und Kleiner Bär schauen kann. Die wahren Abenteuer sind eben doch im Kopf.
Manche der Gärtner und Schlosser von damals sind noch da. Sie waren Bauernjungs, als sie anfingen, und fragen Weiss heute um Erlaubnis, wenn sie heiraten wollen. Einige haben lesen gelernt. Und ihre Mütter lernen es ebenfalls in einem nahe gelegenen Frauenhaus, das Anima unterstützt. 40 Angestellte beschäftigt Heller. Bezahlt über dem gesetzlichen Mindestlohn von etwa 200 Euro, sozial und krankenversichert. Neuerdings tragen die Gartenarbeiter einheitliche Dienstkleidung mit Firmenlogo. Man könnte auch "Uniform" sagen, aber Heller mag das Wort nicht. "Der Anzug gibt dem Mann Würde", heißt ein lateinisches Sprichwort. Wer den Chefgärtner Simohamed, 35, in seiner grünen Chefjacke sieht, weiß, dass der Satz stimmt.
Aufwertung einer Region
Ourikas Bürgermeister Abdelaziz Aït Addi, 45, ist Mitglied der Berberpartei Mouvement Populaire und seit einem halben Jahr im Amt der 38.000-Einwohner-Gemeinde. Addi erzählt: "Es gibt bei uns den vererbten Mythos, dass Europa das Paradies ist." Für ein Interview ist der Bürgermeister in Hellers Salon gekommen. Er sitzt vor einem fünf mal acht Meter großen Bild des amerikanischen Malers Basquiat, er trinkt Tee und lobt den abwesenden Hausherrn: "Monsieur Heller hat uns jetzt aus Europa das Paradies nach Ourika gebracht. Möge es ein Erfolg werden. Inschallah."
Addi glaubt, wenn es in Marokko mehr solcher Verdienstmöglichkeiten gäbe, blieben viele junge Männer zu Hause, die auch jetzt noch nach Europa wollten. Hellers Projekt sei ihm deshalb nicht nur sehr willkommen, es stelle vor allem eine Aufwertung der gesamten Region dar. Anima sei so etwas wie der "Majorelle-Garten" in Marrakesch, der einst dem Modeschöpfer Yves Saint-Laurent gehörte und der bis heute Tausende von Touristen anzieht.
"Wahrscheinlich ist André Heller im Grunde ein Flüchtling", schrieb Hans Magnus Enzensberger einmal über den Verwandlungskünstler, "auf die Vertreibung aus dem Garten Eden reagiert er dadurch, dass er sich seine eigenen Paradiese erfindet." Die Formen, die Gerüche: lauter Gottesbeweise. Wenn Heller im letzten Sonnenlicht durch sein Eden spaziert, sei er dankbar, wenn Albina neben ihm gehe. Weil, "wenn man vor etwas Schönem steht und niemanden hat, den man anstupsen kann und sagen: Schau! Dann ist es doch gar nichts wert."
Ja, das stimmt. Wenn man etwas teilt, verdoppelt sich das Glück.