Da standen sie nun am Donnerstag direkt einander gegenüber. Angesicht zu Angesicht. Box-Legende Wladimir Klitschko und sein Gegner, der amtierende IBF-Champion Anthony Joshua. Es war die Pressekonferenz in der Zentrale von Sky vor dem Kampf am Samstagabend. Fast alle der 3000 Angestellten des Pay-TV-Senders waren gekommen.
Sie wollten es selbst sehen – das letzte Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten vor dem ersten Gong. 90.000 Zuschauer werden den Kampf im legendären Wembley-Stadion live sehen. Zig Millionen werden es vor dem Fernseher verfolgen. Ein Showdown, auf den die Box-Fans weltweit schon lange gewartet haben. Alle rechnen mit einem Spektakel. Auf der Pressekonferenz war davon allerdings nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil: Beim obligatorischen tiefen Blick in die Augen mussten die beiden Kontrahenten lachen.
Doch das wird am Samstagabend ganz anders sein. Denn, um es mit typischen Sport-Floskeln zu sagen, es geht nicht nur um die Wurst, sondern um den ganzen Grill. Noch nie waren sich die Experten vor einem Klitschko-Kampf so unsicher, wer als Sieger aus dem Ring steigen wird. Der Grund dafür heißt Anthony Joshua.
Wer ist Anthony Joshua?
Der Sohn nigerianischer Eltern begann erst im Alter von 18 Jahren seine Amateurkarriere. Nach 43 Kämpfen mit WM-Silber und Olympia-Gold stieg er 2013 zu den Profis auf und drohte der gesamten Szene erst einmal: "Gebt mir drei Jahre, dann werde ich Champ." Er hielt Wort. Im April letzten Jahres knockte er den US-Amerikaner Charles Martin nach nur zwei Runden aus und krönte sich zum IBF-Champion.
Auch sonst ist seine Bilanz als Profi bisher makellos. 18 Kämpfe bestritt Joshua in seiner Karriere. Alle 18 gewann er durch K.o.. Nicht umsonst sagte Klitschko über den 27-jährigen Engländer, dass er einmal sein Nachfolger werden könne. Dafür bringt Joshua alles mit: Er ist mit 1,98 Metern relativ groß, hat eine gute Beinarbeit, kann aus der Defensive heraus attackieren, ist schnell und hat vor allem eine gefährliche Rechte. Dazu gilt Joshua als ein Gentleman.
Statt Profikarriere hätte es fast Knast geheißen
"Es ist unglaublich, dass wir die Promotion für diesen Kampf durchgezogen haben, ohne uns gegenseitig zu beleidigen oder uns zu hauen. Ich habe das oft anders erlebt. Ich liebe das", sagte Joshua auf der Pressekonferenz. Der freundliche und charmante Boxer, wie er sich in der Öffentlichkeit gibt, war er nicht immer.
Als Jugendlicher ist Joshua schon öfter mit dem Gesetz in Konflikt gekommen – unter anderem wegen Körperverletzung. "Ohne Boxen würde ich wahrscheinlich im Knast sitzen. Der Sport hat mein Leben gerettet", erzählte er im Interview mit der britischen Zeitung "The Sun".
2009 durfte Joshua sein Haus nicht verlassen, bekam wegen Körperverletzung eine elektronische Fußfessel angelegt. Zwei Jahre später stand seine Karriere fast vor dem Ende, weil die Polizei Cannabis bei ihm fand. Doch er entging einer Freiheitsstrafe. Der Engländer musste stattdessen 100 Stunden gemeinnützige Arbeit verrichten. Jetzt steht sein erster großer Kampf an. Gegen eines seiner Vorbilder: Wladimir Klitschko.
Ist Klitschko überhaupt noch gut genug?
Klitschko wiederum sieht in Joshua mehr als nur irgendeinen Gegner: "Ich bin sein Fan, seit ich ihn das erste Mal gesehen habe", sagt er über den amtierenden Weltmeister. Genauso wie Joshua ist auch der Ukrainer Olympiasieger. Nur liegt sein Titel mittlerweile fast 21 Jahre zurück. 1996 gewann der 41-Jährige Gold in Atlanta. Da war der Engländer gerade einmal sechs Jahre alt.
Es ist also auch ein Kampf der Generationen. Auch deshalb fragen sich viele: Hat Klitschko überhaupt eine Chance? Selbst bei den Wettanbietern ist Joshua der Favorit – wenn auch nur leicht. Zudem liegt der letzte Kampf des Altmeisters mittlerweile 17 Monate zurück. Aber diese Niederlage gegen Tyson Fury sitzt noch immer tief, wie er im Interview mit der AZ verriet: "Es geht mir um das eigene Ego. Das ist angekratzt."
Das Feuer, das ihm vielleicht auch beim Kampf gegen Fury fehlte, brennt wieder. Er will es allen noch einmal beweisen: "Ich fühle mich jung, hungrig und besessen und will diesen Titel zurückhaben", sagte "Dr. Steelhammer" am Donnerstag auf der Pressekonferenz.
"Die Routine wird der entscheidende Faktor sein"
Joshua ist zwar der athletischere Kämpfer, aber die Erfahrung hat Klitschko und die ist laut Trainer-Legende Ulli Wegner der entscheidende Faktor: "So etwas wie beim letzten Mal gegen Tyson Fury wird Klitschko nicht noch mal passieren, dazu ist er zu schlau. Aber der Kampf wird über die volle Distanz gehen."
Und da kann es von Bedeutung sein, dass der 41-Jährige schon bei 68 Profi-Kämpfen im Ring stand, zumal er 64 davon gewann. Joshuas längster Kampf ging hingegen "nur" über sieben Runden.
