Turnier in London Willkommen in der "Corona-Bombe": Die Darts-WM wird zur Glückslotterie

Danny Noppert auf dem Weg zu seinem Drittrundenmatch am Dienstagabend. Die Fans stehen beim Einlauf der Spieler in Reichweite, an die Corona-egeln halten sich die wenigsten.
Danny Noppert auf dem Weg zu seinem Drittrundenmatch am Dienstagabend. Die Fans stehen beim Einlauf der Spieler in Reichweite, an die Corona-egeln halten sich die wenigsten.
© Bradley Collyer / Picture Alliance
Die Darts-WM versinkt im Chaos: Während sich immer mehr Spieler mit dem Coronavirus infizieren, feiern die Fans auf den Tribünen weiter ungehindert ihre Party. Der Verband ist überfordert und versucht, das Problem zu ignorieren.

Irgendwo im Hilton Islington unweit des Londoner Stadtzentrums ist die Stimmung gerade am Tiefpunkt. In einem dieser Zimmer sitzt Michael van Gerwen und darf es nicht verlassen: Der dreimalige Darts-Weltmeister wurde am Dienstag positiv auf das Coronavirus getestet und von der aktuell stattfindenden Weltmeisterschaft ausgeschlossen. Van Gerwen ist nach Vincent van der Voort und Raymond van Barneveld bereits der dritte Corona-Fall bei der Darts-WM – seit Weihnachten wohlgemerkt. Am Mittwochmittag kam mit Dave Chisnall ein weiterer Mitfavorit hinzu, der nach einem positiven Test ausschied. Während in der Premier League reihenweise Spiele abgesagt werden, wird die WM jedoch unbeirrt fortgesetzt. The Show must go on.

Dass es sich bei drei der vier positiv Getesteten um Niederländer handelt, mag Zufall sein, dass Corona-Fälle bei der Darts-WM auftreten, eher nicht. Denn während überall in Europa wieder strenge Regeln für die Zuschauer gelten und Hallensportarten in Deutschland größtenteils ohne Fans auskommen müssen, findet die Darts-WM in der Heimat der laschen Corona-Regeln, sprich Großbritannien, statt. Die Omikron-Variante sorgt dort schon seit zwei Wochen für immer neue Rekordwerte bei den Neuinfektionen, am Dienstag waren es 117.093 neue Fälle und damit fast drei Mal so viele wie in Deutschland. Einschränkungen wird es vor Neujahr nicht geben, betonte Großbritanniens Gesundheitsminister Sajid Javid unlängst – wenn es denn überhaupt welche geben wird. 

Party hard: Die Fans im Alexandra Palace sind bekannt für ihre Partystimmung – egal ob mit oder ohne Coronavirus im Umlauf.
Party hard: Die Fans im Alexandra Palace sind bekannt für ihre Partystimmung – egal ob mit oder ohne Coronavirus im Umlauf.
© Bradley Collyer / Picture Alliance

Spiele vor ausverkauftem Haus

Bereits seit Beginn der Darts-WM Mitte Dezember gibt es immer wieder Kritik an den Regeln, die im britischen Darts-Tempel "Ally Pally" gelten. 3000 Zuschauer dürfen täglich in den Alexandra Palace kommen, der damit ausverkauft ist. Zwar gilt eine 3G-Regelung und eine Maskenpflicht, letztere bezieht sich aber nur darauf, wenn sich die Besucher fernab ihres Platzes bewegen – und auch die wird eher überschaubar eingehalten. Videos und Bilder der Veranstaltung zeigen die Sportler umgeben von Fans, die die Corona-Regeln eher sporadisch befolgen. Dass man es auch am Eingang nicht so genau nimmt, darüber hatte unter anderem auch schon die "Welt" berichtet. Demnach schauen die Ordner meist gar nicht auf den Test- oder Impfnachweis und prüfen auch kaum die Identität anhand eines Ausweispapiers.

Die Nähe zu den Profis ist es, die neben der alkoholreichen und kunterbunten Party im "Ally Pally" den Dartssport ausmacht. Während die Spieler sich am Board duellieren, sitzen und stehen die Fans nur wenige Meter hinter der Bühne. Beim traditionellen Einmarsch der Spieler müssen diese sich sogar durch ein Spalier an Fans wühlen. So viel Nähe zum Sport gibt es sonst selten. Auch die WM-Teilnehmer genießen das Spektakel durchaus und heizen das Publikum immer wieder durch herausfordernde Gesten an. 

Van Gerwen der prominenteste Corona-Fall bei der Darts-WM

Das hat aber auch bittere Konsequenzen: Zwei Wochen nach Start der WM sind mit van Gerwen und Chisnall zwei der Top-Favoriten ungewollt ausgeschieden. Positiver Test, Aus die Maus, die WM ist vorbei. Dass diese Regelung vollkommen in Ordnung ist, daran lässt van Gerwen – übrigens wie alle anderen WM-Teilnehmer geimpft – keinen Zweifel. Wohl aber an den Organisatoren der WM, die aus seiner Sicht mehr hätten tun können, um die jetzige Situation zu vermeiden. Da sind zum einen die Spieler, die ihren Selbsttest dem Verband melden müssen und somit auch leicht tricksen können. "Natürlich hätte ich den Test tauschen können, aber ich möchte mich noch im Spiegel ansehen können. Es sterben Menschen an Corona, da tut man so etwas nicht", betonte der 32-Jährige im Gespräch mit der niederländischen Zeitung "AD". Erst nach einem positiven Selbsttest müssen die Sportler sich beim Ausrichter melden, und ein PCR-Test bringt Gewissheit.

Das Hauptaugenmerk van Gerwens richtet sich aber auf die PDC, den Ausrichter der Darts-WM. Zwar müsse man laut Vorschriften nicht jeden Tag ausführlich am Einlass kontrollieren, aber um die WM zu schützen, wäre das sinnvoll gewesen, sagte der ehemalige Darts-Weltmeister. "Die PDC wird sagen, dass sie sich immer an die offiziellen Regeln gehalten haben, aber man hätte mehr machen können. Die Kontrollen waren nicht stark genug. Jetzt ist es einfach eine große Corona-Bombe", erklärte van Gerwen.

Inzwischen plädiert Titelverteidiger Gerwyn Price sogar für einen vorzeitigen Abbruch der WM. "Das Turnier sollte verschoben werden", schrieb der 36 Jahre alte Waliser via Instagram. "Ich war selbst in dieser Position, deswegen fühle ich mit den ausgeschiedenen Spielern. Vor der WM gibt es so viel Arbeit zu erledigen", erklärte Price. Der ehemalige Rugby-Profi wurde in diesem Jahr aus der Premier League gestrichen, weil er vor dem Start positiv auf das Virus getestet worden war. Eine Verschiebung der WM sei wahrscheinlich nicht die beste Option, "aber eine Option, mit der ich einverstanden wäre". Der Weltverband PDC hat bislang nichts in diese Richtung verlauten lassen.

Michael van Gerwen auf dem Weg zu seinem Erstrundenmatch bei der Darts-WM in London
Michael van Gerwen auf dem Weg zu seinem Erstrundenmatch bei der Darts-WM in London. Nach einem positiven Corona-Test ist die WM für den Niederländer gelaufen.
© Andrew Redington / Getty Images

Der Verband hält das Corona-Thema klein

Dass man bei der PDC das Corona-Thema möglichst klein halten will, zeigt auch ein Blick auf die einsilbige Kommunikation der positiven Tests: Spieler A hat Corona, Spieler B kommt somit weiter. Kein Wort zu weitergehenden oder zusätzlichen Schutzmaßnahmen. Keine Genesungswünsche für die Spieler. Stattdessen werden die übrigen Spiele extra laut gefeiert: Vieles ist "historisch" oder "episch" oder "fantastisch". Corona soll dagegen inmitten der schwachen Krisenkommunikation ein Randaspekt bleiben. Dabei wird es immer skurriler.

PDC-Boss Barry Hearn schrieb am 18. Dezember mit Bezug auf Omikron via Twitter: "Und denken wir ernsthaft darüber nach, die Wirtschaft zu schließen und Millionen Menschen endlose Not zu bereiten?" Der 73-Jährige stellt fest, dass es Zeit sei, "mit dem Virus zu leben". Derweil hatte Londons Bürgermeister Sadiq Khan schon vor knapp zwei Wochen den Katastrophenfall ausgerufen und das so begründet: "Der Anstieg der Omikron-Fälle in unserer Hauptstadt ist sehr besorgniserregend."

Am 3. Januar endet die Darts-WM mit dem großen Finale im "Ally Pally". Bis dahin werden sich täglich 3000 Fans auf den Weg in den Norden Londons begeben, um dort verkleidet, alkoholisiert und ohne Einhalten der Regeln eine große Party zu machen – und die bunten Bilder zu produzieren, die die PDC in die Welt schicken will. Ob dann noch Spieler auf der Bühne stehen, ist allerdings ungewiss.

mit dpa

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