Die blaue BMW-Kappe hat er bis auf die Höhe der Nase gezogen, den Kopf hält er leicht gesenkt, die Mundwinkel sind eine umgekehrte Mondsichel. Es wirkt beinahe so, als würde Robert Kubica oben auf dem Podium meditieren, als er auf die Geschehnisse vor Jahresfrist auf dem Circuit Gilles Villeneuve angesprochen wird, die nicht nur BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen heute noch als "fürchterlich" bezeichnet.
Kurze Rückblende: In der 27. Runde des letzten kanadischen Grand Prix wird Kubicas BMW zur weiß-blauen Billard-Kugel, nachdem sein Rennwagen bei Tempo 280 den Toyota von Jarno Trulli berührt hatte, in die seitliche Betonbegrenzung prallte, anschließend auf dem Grünstreifen fast abhob, um sich dann mehrfach überschlagend ungebremst in den nächsten Mauervorsprung zu bohren und quer über die Piste so heftig in den Leitplanken einzuschlagen, dass die Sicherheitszelle zerstört wurde und die Füße des Fahrers rausguckten. Der Pole blieb wie durch ein Wunder unverletzt, prellte sich lediglich den Knöchel und wollte schon die Woche drauf wieder Rennen fahren, was die Ärzte aus Sicherheitsgründen untersagten. Das ist das einzige, worauf Kubica wohl heute noch sauer ist. Zur Rückkehr an die Schicksalsstelle, die inzwischen von zusätzlichen Sicherheitszäunen gesäumt wird, bemerkt er eher fröhlich: "Ich bin sehr glücklich, wieder hier zu sein."
Ein Gemüt wie aus Kohlephaser
Ein Gemüt aus Kohlefaser und eine schon weltmeisterliche mentale Stärke helfen dem Mann der Stunde in der Formel 1, der als Zweiter von Monte Carlo in die Phalanx von McLaren-Mercedes und BMW eindringen konnte, alles zu verdrängen, was seinem unbändigen Ehrgeiz im Weg steht. Die Fragestunde in Montreal bleibt deshalb eher unergiebig, der Mann mit eingebautem Vorwärtsdrang will gar nicht verstehen, wie man sich an einem Unfall so aufhalten kann. BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen glaubt gar: "Robert ist schneller geworden seither. Sein Vertrauen in das Auto ist gestiegen."
"Ich muss mit gar nichts fertig werden", sagt Robert Kubica trotzig, als er vor dem Rennen am Sonntag auf sein Erinnerungsvermögen angesprochen wird. Die Nachfrage "Hat der Unfall etwas in Ihrem Leben verändert?" muss er beinahe als Unverschämtheit empfinden, mit aller Höflichkeit und Bestimmtheit bescheidet er: "Nein." Vom Kommunikationsverhalten wirkt er ohnehin eher finnisch als polnisch. So, wie für ihn selten andere Meinungen von Interesse sind, hält er auch alle eigenen Aussagen, die nicht rein auf den Rennsport gemünzt sind, für reine Wortverschwendung. "Das Auffälligste an Robert ist seine Fokussiertheit. Er ordnet dem Rennsport alles unter", weiß sein Chef Mario Theissen.
Kubica: Jeder ist selbst sein bester Mentaltrainer
"Ich glaube, dass jeder selbst sein bester Mentaltrainer ist, indem er seine Fehler und seine Herangehensweise analysiert und versteht", beurteilt Kubica seine Vorgehensweise, die ihn derzeit zum WM-Vierten macht: "Die jetzigen Resultate zeigen eigentlich nur, welch' große Probleme ich im letzten Jahr hatte."
In seiner ersten kompletten Formel-1-Saison wurde er mit 77 Punkten als Sechster der Endabrechnung geführt, nach dem ersten Drittel in diesem Jahr ist er Vierter mit 32 Zählern. Ihm kommt die Abschaffung der elektronischen Fahrhilfen, die er nie gemocht hat, zugute; dazu ein neuer Renningenieur, der auf seine Wünsche eingeht und in der Summe ein noch mal gesteigertes Selbstvertrauen, das derzeit sogar den erfahrenen Teamkollegen Nick Heidfeld zum Opfer macht. "Im letzten Jahr war es für mich wie in einer Lotterie, was dass Auto vor der Kurve macht, es war deshalb nicht leicht, dass Maximum herauszuholen", sagt Kubica über den Neuanfang mit dem aktuellen BMW F1.08.
Kubica ist der ideale Angestellte
Für die BMW-Chefetage ist er damit der ideale Angestellte: "Robert ist schnell - im Qualifying und im Rennen. Er macht kaum Fehler, setzt seine Möglichkeiten perfekt um und verlangt sich nichts Unmögliches ab." Und auch in Sachen Unfallverarbeitung ist Mario Theissen d'accord mit seinem Piloten: "Für uns ist das Thema aufgearbeitet."
Das einzige, was einem gelegentlich Angst einjagen kann, ist die für einen 23-Jährigen unheimliche Konsequenz, mit der Robert Kubica in der Formel 1 zu Werke geht. Aber das ist der eigentliche Treibstoff seiner ewigen Flucht nach vorn.