Bayern-Krise "Wir brauchen Kerle und keine Jungs"

Uli Hoeneß eilte mit rotem Kopf wortlos davon - Oliver Kahn dagegen platzte nach der dritten Auswärtspleite in der Bundesliga-Rückrunde der Kragen. Nach dem Debakel in Aachen nahm sich King Kahn seine Mitspieler vor.

Beim 0:1 in Aachen schüttelte der Kapitän des FC Bayern München nach einer Weltklasse-Parade gegen seinen künftigen Teamkollegen Jan Schlaudraff Abwehrhüne Daniel van Buyten ordentlich durch, sondern auch noch am Morgen danach nahm sich der Torhüter seine Mitspieler vor. Kahn reicht’s mit der Bayern-Krise - schon am Dienstag im Champions-League-Achtelfinale bei Real Madrid erwartete er eine Reaktion seiner leblos wirkenden Mannschaft. "Ich muss anfangen, mich ab einem gewissen Punkt zu wehren. Ich fahre doch nicht nach Dortmund und Nürnberg und lass’ mir jedes Mal den Hintern versohlen. Es braucht jetzt Kerle und Jungs, die sich gegen diese Situation stellen", schimpfte der 37-Jährige am Sonntag in München.

Nach nur vier von 15 möglichen Punkten nach der Winterpause und schon fünf Zählern Rückstand auf Rang drei droht dem Meister auf Abruf erstmals nach 10 Jahren UEFA-Cup statt Champions League. "Das ist jetzt eine Charakterfrage. Man muss jedem Spieler anmerken, dass es um alles geht für den Verein. Ich hoffe nicht, dass das dem einen oder anderen am Arsch vorbei geht", sagte Kahn, der trotzdem an einen möglichen großen Wendepunkt in Madrid glaubt: "Das Spiel gegen Real ist ’einfacher’." Kahn träumt sogar davon, dass eine verkorkste Saison noch ein Happy-End haben kann: "Natürlich ist es möglich, die Champions League zu gewinnen, aber dann muss man das erzwingen."

Schwindende Möglichkeiten

Auch Hitzfeld hält die Wiederholung des Triumphes von 2001 für möglich - "wenn wir unsere Mittel zu hundert Prozent ausschöpfen". Nach dem neuerlichen Desaster in Aachen, das ausgerechnet Ex-Bayer Alexander Klitzpera (10.) mit seinem Treffer besiegelte, nahm sich der Interimscoach seine Spieler aber erst einmal zur Brust. "Man kann nicht nur immer Streicheleinheiten verteilen, man muss intern auch mal eine andere Wortwahl wählen", berichtete Hitzfeld am Sonntag nach der Mannschaftssitzung. Er fordert von allen jenen Einsatz, den Kahn zeige: "Zehn Prozent Willensstärke und Leidenschaft fehlen."

Nach der Rückkehr aus Aachen ließ Hitzfeld seine Spieler noch am Samstagabend zu "Nacht"-Training und Regeneration antreten. Die vorher beschlossene Maßnahme für das Real-Spiel wirkte im Nachhinein wie eine Strafaktion. "Wir leben bei Bayern im Paradies. Aber unsere ungewöhnliche Situation erfordert ungewöhnliche Maßnahmen", meinte Hitzfeld und schlug Alarm: "Uns steht das Wasser bis zum Hals."

Hitzfeld sieht die Akteure, die Millionen-Gehälter kassieren, in einer Bringschuld gegenüber ihrem Arbeitgeber - und Kahn stimmt zu: "Ich denke, jeder weiß, was er diesem Verein schuldig ist. Wir müssen spielen, als wären wir im Abstiegskampf." Kahn war in Aachen dermaßen aufgebracht, dass er nach dem Abpfiff auch noch ein Handgemenge mit Gegenspieler Sascha Rösler provozierte. "Man hat gemerkt, der Kahn steht unter Strom. Er will in seiner letzten Saison nicht im UEFA-Cup spielen", kommentierte Rösler.

Champions League ohne Bayern

Als Bundesliga-Vierter fünf Punkte hinter Werder Bremen droht bei einem Achtelfinal-K.o. gegen Real eine Saison ohne Champions League. "Wir dürfen nicht denken: Wenn wir nicht Meister werden, gewinnen wir halt die Champions League. Den Zahn müssen wir jeden ziehen", sagte Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge zur Möglichkeit, durch den Gewinn der europäischen Spitzenliga die Qualifikation erneut zu schaffen.

"Ich bin überzeugt, dass wir Dritter werden", sagte Hitzfeld, der die teils leblose Darbietung in Aachen nicht beschönigte: "Unser Nervenkostüm passt zurzeit nicht, die Körpersprache war vielsagend." Die Abwehr patzt, die Offensive versagt - und bis auf Kahn wehrt sich keiner mit Vehemenz. "Ein überragender Kreativspieler würde uns gut tun", sprach Hitzfeld am Sonntag einen entscheidenden Mangel an.

In Aachen heizte der dritte, hart erkämpfte Fußball-Geniestreich gegen die Übermacht aus München nach den beiden Pokal-Triumphen 2004 und im Dezember 2006 unterdessen die Karnevals-Stimmung an. "Ich denke, es ist ungewöhnlich, die Bayern innerhalb von acht Wochen zwei Mal zu schlagen. Wir sind wieder über unsere Grenzen gegangen", sagte Chefcoach Michael Frontzeck nach dem ersten Heimsieg seit dem 30. September 2006, betonte aber: "Es waren drei Punkte mehr nicht." Der Aufsteiger steckt weiter mitten im Abstiegskampf. "Wir lassen die Kirche im Dorf, flippen nicht aus. Jetzt kommen wichtige Partien gegen Bochum, Mainz und Cottbus", betonte Frontzeck.

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