Als der FC Bayern kürzlich die Meisterschale überreicht bekam, sprach Liga-Boss Christian Seifert mahnende Worte: "Mindestens zu Beginn wird die Bundesliga noch anders sein, als wir sie kennen!" In Berlin-Köpenick scheinen sie schon vor der Rede den Fernseher abgeschaltet zu haben. Der FC Union verkündete nämlich am Wochenende, er strebe spätestens zum Bundesligastart am 18. September wieder die Vollauslastung seines Stadions an. 22.000 Menschen sollen dann dicht an dicht singen, brüllen, jubeln und sich umarmen dürfen, weil sie allesamt kurz zuvor negativ auf Corona getestet worden sind. Die Testkapazitäten zur Verfügung stellen und finanzieren will der Klub, die Anhänger sollen lediglich die Zeit zum Testen aufbringen.
Warum soll man ihnen das verübeln?
Auf den ersten Blick wirkt der Berliner Vorstoß leidlich innovativ. Während anderswo nur zögerliche Vorstöße unternommen wurden, womöglich ein paar tausend Anhänger mit genügend Sicherheitsabstand, Gesichtsmasken und striktem Singverbot ins Stadion zu lassen, will der FC Union direkt zurück zur Normalität. Der Klub will ein prall gefülltes Stadion und ausgelassene Stimmung, also all das, wonach sich die Klubs und Millionen Fans sehnlichst sehnen - warum sollte das den Köpenickern verübelt werden?
Darum: Die Vorstellung, man könne dafür garantieren, dass nur gesunde Menschen ins Stadion kommen, ist eine gefährliche Illusion. Selbst, wenn man sehr optimistisch davon ausgeht, dass sich in den 24 Stunden, die höchstens seit einem negativen Testergebnis vergangen sein dürfen, niemand ansteckt, gibt es sogar bei langjährig erprobten Testverfahren immer falsch-negative Ergebnisse. Union will jedoch offenbar durch ein neu entwickeltes und in der Praxis bislang nur kurzfristig erprobtes Schnellverfahren Infektionen ausschließen, um dann die Fans in eine besonders gefährliche Situation zu bringen, nämlich eng beieinander zu stehen und laut zu singen. Man muss kein Mediziner, kein Virologe oder Epidemiologe sein, um zu erahnen, dass das ein völlig unverantwortliches Risiko für die Zuschauer ist. Und da sind praktische Fragen noch nicht einmal thematisiert: Wie das wohl wird, wenn Union am Freitagabend spielt und sich Anhänger aus Wriezen oder Finsterwalde einen Urlaubstag nehmen müssen, um sich rechtzeitig testen zu lassen? Und müssen die Fans dann unterschreiben, dass sie sich auf eigene Gefahr ins Stadion begeben, oder übernimmt der Klub auch das Risiko, falls es im Stadion zu Infektionen kommt?
Und darum: Es wäre den Unionern gut zu Gesicht gestanden, diesen besonderen Weg in eine offene Diskussion über den richtigen Weg zurück zu vollen Stadien einzubringen. Inmitten dieser Pandemie kennt niemand ein ideales Verfahren, auch nicht der FC Union. Stattdessen wurde der Plan in einem sehr unangenehmen "Basta!" Wir machen das jetzt so!"-Ton verkündet. Völlig egal, dass in Berlin bis in den Oktober hinein Großveranstaltungen über 1000 Zuschauer verboten sind. Völlig egal, dass nach wie vor in weiten Bevölkerungsteilen große Besorgnis herrscht, im Herbst könne durch mangelnde Vorsicht eine zweite Infektionswelle über Deutschland hereinbrechen. Und schließlich auch völlig egal, dass dem Fußballgeschäft ohnehin der Ruf vorauseilt, sich im Bewusstsein der eigenen Großartigkeit wenig um die Befindlichkeiten der Bevölkerung zu scheren. Es ist deshalb ein Treppenwitz, dass ausgerechnet der FC Union, der sich ja immer rühmt, besonders volksnah daherzukommen, so hervorprescht.
Union Berlin kündigt Konsens auf
Und schließlich darum: Sollte es bislang unter den Bundesligisten einen Konsens gegeben haben, die Coronakrise gemeinsam zu bewältigen, so hat Union Berlin ihn jetzt aufgekündigt. Dieser Konsens bestand unter anderem darin, die Verzerrungen des Wettbewerbs möglichst gering zu halten. Dass bislang alle Klubs in leeren Stadien spielten, war unschön, aber immerhin waren die Bedingungen für alle gleich. Schon jetzt ist klar, dass die spezielle Berliner Lösung, so sie überhaupt umgesetzt werden kann, an anderen Standorten erst recht nicht praktikabel ist. Für ein gefülltes Stadion müssten etwa in Dortmund rund 80.000 Menschen getestet werden, ein völlig unrealistisches Szenario. Dem FC Union scheint das egal zu sein.
Vielleicht ist der Vorstoß des Klubs auch nur taktischer Natur, um in eine bislang nicht sonderlich kreative Diskussion über die Rückkehr der Zuschauer etwas Schwung hinein zu bringen. Dass der Klub dafür aber wie schon einmal zu Beginn der Coronakrise den Eindruck erweckt, er riskiere leichtsinnig die Gesundheit seiner Fans und die Solidarität unter den Klubs, hinterlässt einen fatalen Eindruck.