In der 84. Minute hätte es gegen Augsburg fast wieder gemüllert – zumindest indirekt. Die Bayern kombinieren sich im Strafraum an die Grundlinie und Thomas Müller legt für Ribery auf, der nur noch einschieben muss. Die Freude ist groß und Thomas Müller hätte im fünften Spiel seinen fünften Scorer-Punkt eingeheimst. Hätte. Schiedsrichter Sören Storks entscheidet auf Abseits. Das Leben ist kein Konjunktiv.
Trotz des nicht gegebenen Tores und des unnötigen1:1 läuft es für das bayerische Urgestein unter Neu-Coach Kovac im 4:3:3 überraschend gut. Der Trainer findet oft Mittel und Wege, Müllers Stärken in den Zwischenräumen und in Tornähe zum Strahlen zu bringen. Müller selbst ordnet sich dem Mannschaftserfolg unter - egal, ob er mal auf der ungeliebten Außenbahn, als 8er im Mittelfeld oder als Stoßstürmer spielt. Selbst andere Zahlen sprechen für den Nationalspieler. Er gewinnt mehr Zweikämpfe (56%) und spielt genauere Pässe (77%). Alles wäre okay, es würde kein André Hahn danach krähen, wenn der FC Bayern auf jeder seiner Positionen nicht mehrere bessere oder jüngere Spieler aufbieten könnten.
Ausgemüllert? Die Konkurrenz ist groß und wächst
Alle drei Zugänge – Goretzka, Sanches und Gnabry – wildern im Revier von Thomas Müller und sind dem 29-Jährigen in wichtigen Kernbereichen (auf der 8, der 10 oder gar als Back-Up-Stürmer) überlegen.
- Leon Goretzka: Der 23-Jährige ist die dynamische Version des Schnittstellen-Schleichers mit sechs Jahren weniger Vierfach-Belastung. Ähnlich torgefährlich und kopfballstark, fängt und erobert Goretzka im Gegenpressing viel mehr Bälle als Müller. Ein klassischer Box-to-Box-Spieler eben.
- Corentin Tolisso: Der Mann, der alles kann. Als Weltmeister von Mitspielern in der französischen Nationalmannschaft mit Lob überschüttet, zeigte er bis zu seinem Kreuzbandriss gegen Leverkusen im Mittelfeld eine starke Leistung. In einer perfekten Welt bildet er neben Thiago und James wie in Madrid 2018 das Stamm-Trio des FC Bayern in den kommenden Jahren. Goretzka, Müller und Sanches müssten sich hinten anstellen.
- Renato Sanches: Lothar Matthäus. Nicht nur Kovac liegt der Vergleich mit der legendären Bayern-Dampfwalze auf der Zunge, wenn sich Sanches durch das Mittelfeld tankt. Die Dynamik sucht ihresgleichen und Kovac schafft es, diese besser einzubinden als vorherige Trainer - und parallel an den Schwächen im Aufbauspiel zu arbeiten. Der Junge macht einfach nur Spaß und könnte sich zum Publikumsliebling entwickeln. Eine Rolle, die momentan noch Thomas Müller ausfüllt.
- Serge Gnabry: Selbst in einem möglichen 3:5:2 mit hängender Spitze dürfte der körperlich wuchtige, aber extrem dynamische Gnabry vor Müller in einer möglichen Stammformation gesetzt sein. In seinen paar Einsätzen deutete der noch junge Ex-Hoffenheimer sein großes Potential an.
- James: Der Beste kommt zum Schluss. Sein Plus: Passsicherheit im Aufbau, Ballabschirmen und die genialen Momente als letzter, vorletzter und vorvorletzter Spieler bei Angriffsaktionen. Laut Kovac arbeitet er im Training auch hart an den defensiven Skills. Mehr geht nicht und es wäre eine Schande, wenn Bayern mit James den wichtigsten "Unterschiedmacher" – einen Titel, den früher der unberechenbare Müller innehatte - nächste Saison nicht kaufen würde.
Die Luft wird dünner. Auch in Sachen Führungsqualitäten. Spieler wie Neuer, Thiago (spielerisch) und Hummels setzen jetzt die Akzente, während sich die kommenden Leader wie Kimmich, Süle und Alaba bereits für mehr Verantwortung in Stellung bringen. Man braucht kein Prophet sein, um sich auszumalen, dass deren Ansprüche in der Saison 2019/2020 weiterwachsen und mit jedem schlechteren Spiel von Müller die kritischen Stimmen bei den Fans lauter werden.
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Noch spielt Thomas Müller
Dank der Rotation und der schweren Verletzung von Tolisso wird der wenig verletzungsanfällige Thomas Müller diese Saison seine Spiele machen. Die Grundsatzentscheidung über ihn, dessen Vertrag noch bis zum 30.06.2021 läuft, ist jedoch nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Wenn Kovac jetzt seine Traumelf für ein mögliches Champions-League-Halbfinale aufstellen könnte, würde der Name Müller wahrscheinlich fehlen. Und im Gegensatz zum Frühling 2016, als Pep den Fehler machte, bei der entscheidenden Hinspielniederlage gegen Atletico Madrid auf den Thomas zu verzichten und die eiserne Van-Gaal-Regel "Ein Müller spielt immer" zu brechen, dürfte Kovac nun und in Zukunft richtig liegen.
