Champions-League-Halbfinale Ballack fürchtet um die letzte Chance

Von Barbara Klimke, London
Ein falscher Tritt im Rückspiel gegen Barcelona (ab 20.45 Uhr im stern.de-Live-Ticker) und Chelseas Michael Ballack wäre im Falle eines Sieges für das Champions-League-Finale gesperrt. Dabei braucht Ballack diesen Erfolg auch selbst, weil er sonst Gefahr läuft, dass seine Karriere unvollendet bleibt.

Fußball ist nicht schlaffördernd. Zumindest nicht für jene, die rennend, schimpfend oder Arme rudernd in ein Champions-League-Halbfinale verwickelt sind. Guus Hiddink, der niederländische Trainer des FC Chelsea, hat nach dem 0:0 im Hinspiel in Barcelona kein Auge zugetan. Er griff stattdessen zu Stift und Block, die auf seinem Nachttisch lagen, und notierte taktische Varianten für das Rückspiel am Mittwoch. "Solche Sachen", erzählte er, "gehen mir immer durch den Kopf."

Auf Barcelonas Mittelfeldspieler Andrés Iniesta wirkte das Hinspiel ebenfalls nicht krampflösend und entspannend. Ihn brachte, wie er spanischen Medien offenbarte, die destruktive und seiner Meinung nach rüde Spielweise der englischen Gegner um den Schlaf. Und es würde nicht verwundern, wenn auch Michael Ballack unter jenen wäre, die dieser Tage unter akuter Bettflucht leiden. Denn er muss fürchten, dass ihn eine seiner Attacken im Hinspiel im Camp Nou um seine Lebensleistung bringt: Ein falscher Tritt im Rückspiel am Mittwoch an der Stamford Bridge, und er wäre, weil mit Gelb vorbestraft, im Falle eines Sieges für das Champions-League-Finale gesperrt.

Ballack riecht den Erfolg

Dabei ist Ballacks ganzes Denken auf Titel ausgerichtet, so sehr, dass es auf wunderbare Weise zur Erweiterung seiner Sinneswahrnehmung führte. Er könne "den Erfolg bereits riechen", gab er vor wenigen Wochen bekannt. Der FC Chelsea, für den er seit 2006 spielt, hatte die vorige Saison gleich dreimal nur als Zweiter beendet: in Meisterschaft, Ligacup und Europapokal. "Das Team ist hungrig", sagte Ballack dem "Guardian": "Wir gehören nicht zu jenen, die in der Vergangenheit alles abgeräumt haben. Aber wir kommen einem Titelgewinn näher, denn wir haben die Mannschaft, die das erreichen kann."

Was genau seine Nase wittert, dürfte mehr sein als der übliche Geruch von Erdkrumen, gemähtem Rasen und der Chelsea umwehende Duft von Geld. Die letzten beiden Titelgewinne der vom Oligarchen Roman Abramowitsch bezahlten Truppe liegen zwei Jahre zurück: 2007 gewann der Millionärsklub den FA- sowie den Ligapokal. An Abramowitschs Ziel, die Champions League zu gewinnen, scheiterte Chelsea zweimal knapp: 2007 im Halbfinale an Liverpool und ein Jahr später im Elfmeterschießen des Finales an Manchester United. "Wir brauchen einen großen Titel, um uns weiterzuentwickeln", glaubt Ballack.

Unvollendete Sinfonie

Er braucht diesen Erfolg auch selbst, weil er sonst Gefahr läuft, dass seine Karriere wie eine unvollendete Symphonie verklingt. Ballack ist mittlerweile 32 Jahre alt und hat neun Trophäen mit Kaiserslautern, dem FC Bayern und Chelsea gesammelt, allesamt aber nur auf nationaler Ebene. Berühmt ist er für die Pokale, die er nicht gewann: Sein sentimentaler Höhepunkt wird bis auf Weiteres die WM 2002 bleiben. Nur seinetwegen rückte die deutsche Nationalelf damals ins Endspiel vor, wegen seines Treffers im Halbfinale gegen Südkorea und wegen seines taktischen Fouls, das die größte Chance des Gegners verhinderte: Diese Aufopferungsgabe bescherte seinen Kollegen einen Platz im Finale - Ballack selbst eine weitere Gelbe Karte und damit ein WM-Finale auf der Tribüne. Es ist das Szenario, das ihm am Mittwoch in der Champions League zum zweiten Male droht.

Er könnte ja versuchen, sich zurückzuhalten, aber Ballack unterscheidet nicht zwischen notwendiger und weniger notwendiger Ruppigkeit und Konsequenz. Er ist auf dem Platz in jeder Situation ein Alphamann. Das prägt seinen Stil, vor allem auf der Position, die Trainer Hiddink ihm und Michael Essien vor der Abwehrreihe zugewiesen hat. Sein Ziel muss es am Mittwoch wieder sein, das faszinierend flüssige Angriffsspiel des FC Barcelona zu unterbinden. Nachgiebigkeit kann er sich nicht leisten, auch wenn mit jedem Tritt das Risiko für eine erneute Sperre steigt.

Keine Rücksicht auf spanische Schöngeister

Das Gejammer, das auf das erste torlose Champions-League-Spiel im Camp Nou folgte, fanden Ballack und Essien ohnehin lächerlich. "In modernem Fußball muss man kräftig sein", höhnte Essien: Und die Katalanen seien "bei jedem Tackling umgefallen". Ballack reagierte auf den Vorwurf der angeblichen Spielverhinderung eher schulterzuckend: "So reagieren Fußballer immer, wenn sie nicht kriegen, was sie wollen", zitierte ihn der "Daily Telegraph": "Vielleicht wollten sie, dass wir zur Seite springen. Und weil wir uns darauf nicht eingelassen haben, behaupten sie, wir waren unfair. Was soll ich sagen? Das ist Teil des englischen, körperbetonten Fußballspiels." Sein Gegenspieler, der schlaflose Iniesta, glaubte indes, Ballack habe es mit dem Körperkontakt eindeutig übertrieben; er forderte noch im Nachhinein einen Platzverweis. Nur der deutsche Schiedsrichter Wolfgang Stark, lautete sein Vorwurf, habe Landsmann Ballack im Hinspiel vor der Höchststrafe bewahrt.

Dass Chelseas harte Kerle nun im eigenen Stadion rücksichtsvoller mit den spanischen Schöngeistern umgehen werden, ist nicht zu erwarten. Hiddink hat im letzten Ligaspiel beim 3:1-Sieg über Fulham bereits seine neueste Idee ausprobiert, die Doppelspitze Drogba und Anelka. Was die Defensivleistung im Hinspiel betrifft, lautete das zufriedene Ergebnis seiner frühmorgendlichen Analysen so: "Fußball ist ein Männersport." Das Risiko von Gelbsperren ist demnach hinzunehmen. Und wenn persönliche Lebensträume zerstört werden, dürfen seine Männer vermutlich weinen: in schlaflosen Nächten in die Kissen. Ballack hat ohnehin nah am Wasser gebaut.

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

FC Chelsea:

Cech - Bosingwa, Alex, Terry, Ashley Cole - Essien, Ballack, Lampard - Kalou, Drogba, Malouda

FC Barcelona:

Valdes - Alves, Piqué, Abidal, Sylvinho - Xavi, Touré, Iniesta (Keita) - Messi, Eto'o, Henry (Iniesta)

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