Der Zürichsee kann ein undurchdringliches Nebelloch sein. Kein Segel ist auf dem Wasser zu erkennen, und selbst Feusisberg, das Örtchen hoch oben über dem See, ist ein einziges Nichts aus milchiger Suppe. Dass dort auf der Wiese lebendige Kühe stehen, kann man nur hören. Die vielen Fliegen deuten darauf hin, dass man sich auf überwiegend landwirtschaftlichem Gebiet befindet.
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Mühe mit der EM-Stimmung
Halbwegs gut zu erkennen sind lediglich die vielen roten Kühe aus Plastik. Beinahe hat man den Eindruck, als seien sie in den Tagen vor dem EM-Start zum Schweizer Wappentier befördert worden. Man hat sie aufgestellt neben dem Hotel "Panorama und Spa" mit dem Hinweis, dass Milch ein schmackhaftes Getränk sein kann. Manches ist im Land des EM-Gastgebers noch nicht aus dem Gleichgewicht geraten.
Ansonsten müht man sich um die richtige EM-Stimmung und tauft dafür selbst die Mars-Riegel um, die jetzt in Anlehnung an den Schlachtruf der "Nati"-Anhänger "Hopp Schwiiz" nur noch "Hopp" heißen. Jeden Tag steht im EM-Extra-Teil irgendeiner der Zeitungen ein neuer Wert , der von einer Begeisterung erzählt, die größer sein könnte. Nur 43 Prozent Interesse sei vorhanden.
In Feusisberg ist das anders. Hier schlägt das Herz des Schweizer Fußballs - vorerst. Es ist das Hauptquartier der "Nati" seit mehr als vier Jahren. Rote Fahnen mit dem weißen Kreuz passen zu den roten Kühen, und das große weiße Medienzelt des Verbandes ist voll. Eine Million Franken hat der SFV für die exklusive Nutzung des noblen Hotels überwiesen, um seine Ruhe zu haben.
Unverzichtbare Größe
Dass das nicht ganz funktioniert hat, liegt nicht an einer schlechten Vorbereitung. Es war allenfalls vorauszusehen, dass es um den Einsatz von Patrick Müller hitzige Diskussionen geben wird. Der Abwehrchef, der als unverzichtbare Größe zählt, zog sich im vergangenen Dezember einen Kreuzbandriss zu und spielte nur ein einziges Mal seither.
Müllers Geschichte läuft überall unter der Rubrik "das Knie der Nation". Nun muss Trainer Jakob "Köbi" Kuhn entscheiden, ob der 31 Jahre alte Müller spielt. Er muss am Ende schließlich für das Risiko den Kopf hinhalten, wenn die Sache schief geht. "90 Prozent bei ihm reichen fürs internationale Niveau", sagte der Dortmunder Alexander Frei über den Mann, der bei Olympique Lyon spielt und von dort unerlaubt ins Trainingslager der "Nati" davon schlich.
Kuhn am Krankenbett seiner Frau
Kapitän Frei musste in der leidigen Sache seinen Trainer vertreten. Kuhn war auf dem Weg in die Universitätsklinik Zürich. Auf der Intensivstation dort liegt seine Frau Alice, die Anfang der Woche einen epileptischen Anfall erlitten hat. Seit Tagen füllt die Erkrankung der "First Lady" die Zeitungen. Es gehe seiner Frau besser, ließ Kuhn mitteilen, aber er wolle eben, so oft es geht, bei ihr sein. Gleich nach dem Ende der Teamsitzung mit Videostudien über den Gegner Tschechen, machte sich der Trainer zu ihr auf den Weg.
Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass Müller am Samstag im Eröffnungsspiel in Basel spielt. Ohne seine Routine, so scheint es, fühlt man sich nicht stark genug. Die Schweiz, so schreiben die helvetischen Blätter, habe nur erfolgreich gespielt, wenn Müller auf dem Platz stand. Für das Wagnis Müller spricht zudem, dass Tschechiens Stürmer Jan Koller nicht als Sprintwunder gilt.
Wie Müller werden auch Leverkusens Tranquillo Barnetta (nach überstandener Knöchelverletzung) und der Ex-Stuttgarter Marco Streller spielen. Letzterer hatte dünnhäutig nach dem letzten Testspiel seinen Rücktritt zum Ende der EM bekannt gegeben. In St. Gallen gab es Pfiffe vom eigenen Publikum für den Stürmer des FC Basel. Freitags kündigte Streller seinen Rückzug an, der Verband unternahm nichts, ihn davon zurückzuhalten, es am Samstag zu wiederholen, was auch innerhalb des Teams nicht gut ankam. Nun kursiert im Internet das Bild einer neuen Kreation an T-Shirts. Die zeigen ein rotes Hemd mit einem Pannendreieck in der Mitte. Darauf steht: "Ich klatsche auch für Streller!" Unterzeichnet ist es von der "Vereinigung der Heulsusen".
Wenn es am Samstag wirklich losgeht, werden "manche Stolz und Freude" empfinden, glaubt Alex Frei. "Wir gehen hochkonzentriert in dieses Match und haben im Training bis an die Grenze der Aggressivität gearbeitet." Im Baseler St. Jacob Park rechnet auch Frei nicht mehr mit Pfiffen. "Jeder weiß, wie wichtig so ein Startspiel ist, jeder weiß, wir alle werden alles geben." Außerdem darf Streller diesmal in Basel spielen, ein Drittel des Teams kommt aus der Gegend dort. So gesehen, kann kaum etwas schief gehen.