Gespannt saß ich gestern wie Millionen anderer Fußball-Fans zuhause vor dem Fernseher und wartete auf das Viertelfinalspiel gegen die starke Mannschaft aus Portugal. Nach den Eindrücken der Spiele gegen Kroatien und Österreich in der Vorrunde hatte ich ein komisches Gefühl in der Magengrube und machte mir Sorgen, um unsere Mannschaft. Doch nach wenigen Minuten verflüchtigte sich dieses Gefühl. Gott sei Dank! Und das hatte mehrere Gründe:
Die drei Gründe des Erfolgs
1.
Die Mannschaft zeigte für mich zum ersten Mal in diesem Turnier den absoluten Willen zu Siegen. Jeder Gesichtsausdruck, jede Aktion wurde mit unglaublicher Überzeugung vorgetragen und ließ den Portugiesen überhaupt keinen Spielraum für taktisches oder psychologisches Geplänkel.
2.
Die taktische Ausrichtung war hervorragend gewählt und wurde von den Spielern perfekt umgesetzt. Insbesondere das neuformierte defensive Mittelfeld mit den Abräumern Thomas Hitzlperger und Simon Rolfes hinter einem offensiven Michael Ballack zerstörte das Spiel des Gegners schon in der Entstehung und war für mich der Schlüssel dieses Sieges.
3.
Jens Lehmann steigert sich von Spiel zu Spiel. Durch den jetzt gewonnenen Spielrhythmus strahlt er wieder die Ruhe und Sicherheit aus, die eine Mannschaft braucht, um den Titel gewinnen zu können.
Friede, Freude, Eierkuchen
Mit diesem Sieg sind alle Geschichten, welche sich im Laufe der letzten Tage abzeichneten und zum Teil schon öffentlich Thema waren (Spielerfrauen im Hotel), zu den Akten gelegt. Und das ist gut so. Die Mannschaft hat sich zusammengerauft, und so etwas kann auch zusammenschweißen. Aus eigener Erfahrung weiß ich genau, dass Reibungspunkte dazu gehören und zu positiven Effekten führen können. Auch bei der EM 1996, als wir den Titel holten, war beileibe nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, doch wir haben diese Reibung als eine positive Energie hinsichtlich des Gemeinschaftsziels Titelgewinn genutzt.
Psychologischer Faktor entscheidet mit
Was bedeutet dies für den weiteren Turnierverlauf? Klar ist, dass mit dieser explosionsartigen Leistungssteigerung jeder Gegner mit riesigem Respekt gegen uns antreten wird. Dies gilt natürlich auch schon für unseren nächsten Gegner im Halbfinale, der zwischen der Türkei und Kroatien ermittelt wird. Die Kroaten werden sich Gedanken machen, ob es möglich ist, zweimal innerhalb von kurzer Zeit gegen uns gewinnen zu können. Die Türken werden Respekt vor uns haben, aber etwas freier von diesen Gedanken gegen uns auftreten. Bei engen Spielen entscheidet oft der psychologische Faktor.
Wunschgegner Türkei
Ich persönlich würde mir für das Halbfinale die Türkei wünschen, auch wenn ich Glaube, dass es der schwerere Gegner ist. Ich mag es, wenn Teams sich durchkämpfen und Spiele gewinnen, die eigentlich schon verloren schienen. Das zeigt Moral, Teamgeist und gemeinschaftliches Denken. In Sachen Moral hat die türkische Mannschaft in der Vorrunde dieses Turniers Maßstäbe gesetzt. Wie auch immer, es wird ein spannendes Turnier bleiben, und ab dem Halbfinale ist eh alles möglich. Ich freue mich schon jetzt auf das nächste Spiel,
Thomas Strunz