Am Schluss schoss Joachim Löw die Bälle selber ins Publikum – und die 10.000 überwiegend polnischen Fans, die zu diesem ersten und gleichzeitig letztem öffentlichen EM-Training der deutschen Nationalmannschaft ins alte Lechia-Stadion von Danzig gepilgert waren, bekamen sich vor Freude kaum noch ein. Und auch der Bundestrainer wirkte so, als würde ihm das Geschenkeverteilen Spaß bereiten. Um 15 Uhr war der DFB-Tross in Polen gelandet, nur drei Stunden später begann für das Team die Mission "EM-Titelgewinn" mit diesem lockeren Show-Anschwitzen coram publico. Was soll man sagen? Es war, bis auf einen kleinen Schockmoment, eine gelungene Veranstaltung. Mehr noch: Die deutschen Fußballer sind in Polen willkommen. Das war die vielleicht wichtigste Erkenntnis dieses kalten Frühsommerabends von Danzig.
Zwei deutsche Nationalspieler wurden bei der Vorstellung des Kaders durch DFB-Pressesprecher Christian Stoll besonders gefeiert: Miroslav Klose und Lukas Podolski. Beide sind in Polen geboren, beide fühlen sich mit ihrem Heimatland immer noch eng verbunden. Die Heldenverehrung ging in Danzig sogar soweit, dass die Zuschauer Podolski, der am Montag 27 Jahre alt geworden ist, ein Ständchen sangen – natürlich auf Polnisch. Besondere Zuneigung wurde auch Bastian Schweinsteiger zu Teil. Ein junges Mädchen hüpfte während des Showtrainings mit einem Plakat durch die Stadionreihen. "Bastian, du bist der Beste", stand drauf. Das Mädel war im Vorfeld offenbar gut informiert worden, ihren Liebling auch wirklich zu Gesicht zu bekommen. Denn das war ja nicht ganz sicher.
Wiese sorgt für Schockmoment
Schweinsteiger, der mit den anderen sieben Spielern der Bayern erst eine Woche zuvor an der Côte d'Azur im zweiten Trainingslager der deutschen Mannschaft eingetroffen war, hatte wegen einer Wadenverletzung bislang nur individuell trainieren können und musste bei einem Kurzurlaub über das Wochenende spezielle Übungen machen. Nun, beim ersten öffentlichen Team-Auftritt in Polen, war der Vize-Kapitän aber wieder mit dabei. Für das Portugal-Spiel am nächsten Sonnabend sieht es also gut aus. Zumal sich Schweinsteiger während der 60 Minuten im Lechia-Stadion auch nicht schonte.
Das weitere Sportliche ist schnell erzählt: Zu den Klängen des Tote-Hosen-Hits "Tage wie diese" absolvierten Lahm und Co. zunächst ein kleines Aufwärmprogramm, danach wurde auf einem verkleinerten Feld ein Elf-gegen-Elf-Spielchen ausgetragen. Auffallend: Thomas Müller erzielte das erste Tor auf polnischen Boden, Miro Klose versiebte auch die dicksten Chancen, Mesut Özil hat wieder Lust aufs Zaubern, und: Auf den dritten Torwart im 23-er Kader kann sich Joachim Löw verlassen. Dass Ron-Robert Zieler überhaupt glänzen konnte, lag an Tim Wiese. Der hatte nämlich für den einzigen Schockmoment beim Showtraining gesorgt. Der Neu-Hoffenheimer prallte nach einem Patzer mit Podolski zusammen und musste die Einheit vorzeitig abbrechen. "Es ist aber nichts Schlimmes. Das Training abzubrechen war eine reine Vorsichtsmaßnahme", sagte hinterher Nationalmannschafts-Sprecher Harald Stenger. Eine genaue Diagnose, wenn es denn überhaupt eine geben sollte, steht noch aus
"Gefällt mir"
Oliver Bierhoff, der das Showtraining mitorganisiert hatte, ließ sich von dem kleinen sportlichen Zwischenfall nicht die Laune verderben: "Wir sind hervorragend aufgenommen worden und haben hervorragende Bedingungen", flötete der Nationalmannschaftsmanager ins Stadionmikrofon. Und weiter: "Wir freuen uns auf die Zeit in Polen und sagen jetzt schon einmal danke für die Gastfreundschaft." Dass DFB-Team hat sich in Danzig mit einem sympathischen Auftritt auch in Polen neue Freunde gemacht. Auch weil alle Spieler Trikots mit Grüßen an die Gastgeber trugen. Auf der Brust stand "Gefällt mir", auf dem Rücken "Danke Polen". Vermutlich mit einem guten Gefühl im Bauch besteigen die Spieler um kurz nach 19 Uhr wieder den Mannschaftsbus. Der setzte sich um Punkt 19.17 Uhr, eskortiert von mehreren Polizeiautos und unter dem Blitzlichtgewitter der Fußballfans, in Bewegung. Das Ziel: das deutsche EM-Quartier "Dwor Oliwski". Ab sofort ist nichts mehr Show.