Der Weltmeister kommt auf Touren und ist bereit für die ganz großen K.o.-Spiele. Mit einem starken Auftritt und einem EM-Rekordsieg ist die deutsche Nationalmannschaft ins Viertelfinale der Fußball-Europameisterschaft gestürmt. Der rechtzeitig von einer Wadenverhärtung genesene Abwehrchef Jérôme Boateng mit seinem ersten Länderspiel-Tor (8. Minute), Mario Gomez (43.) und Julian Draxler (63.) sorgten am Sonntag in Lille für den ungefährdeten 3:0 (2:0)-Sieg gegen völlig überforderte Slowaken. Mit der überaus dominanten Vorstellung zeigte sich die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw bestens gerüstet für den Viertelfinal-Klassiker am Samstag (21.00 Uhr) in Bordeaux gegen Titelverteidiger Spanien oder Ex-Weltmeister Italien.
Vor 44.312 Zuschauern im Stade Pierre-Mauroy hätte der Sieg noch weitaus höher ausfallen können. Wieder einmal war die Chancenverwertung das einzige Manko im deutschen Spiel, Mesut Özil vergab sogar einen Foul-Elfmeter mit historischer Dimension (13.). Es war der erste Fehlschuss vom Punkt bei einer EM seit dem Fauxpas von Uli Hoeneß im Elfmeterschießen beim verlorenen Finale 1976 gegen die Tschechoslowakei.
Deutschland in der Einzelkritik
Konnte sich die ersten 41 Minuten entspannt sonnen, und musste dann auf einmal glänzend parieren. Hielt gegen einen Kopfball aus kürzester Distanz stark, kurz darauf erhöhte Deutschland auf 2:0. Nach der Pause hier und da gefordert. Immer da. Note 2.
Mit viel Zug nach vorne. In Halbzeit eins mit mehreren guten Flanken vors Tor. Stets anspielbar, bestätigte den guten Eindruck seines EM-Debüts. Spielt, als sei er schon ewig Teil der Mannschaft. Wird die Lösung für hinten rechts bleiben. Note 2-.
Räumte die wenigen Konter der Slowaken im ersten Durchgang sicher ab. Auch im Aufbauspiel stark, traut sich offensiv zunehmend mehr zu. Assistpunkt beim 3:0 gesammelt. Insgesamt souverän. Note 2.
Sehr sicher, wieder stark im Aufbau. Immer wieder gute Diagonalbälle auf den linken Flügel. Machte per sehenswerter Direktabnahme das wichtige 1:0. Guter Zeitpunkt fürs erste Länderspieltor. Insgesamt weiterhin bärenstark. Gelb vorbelastet nach 70 Minuten runter. Note 2+.
Immer anspielbar, viel Zug nach vorne im ersten Durchgang. Harmonierte gut mit Draxler. Die ganz starken Aktionen fehlten aber. Note 3+.
Bemüht um Struktur im Aufbau. Eine gute Kopfballchance zu Beginn. Ansonsten passsicher und ruhig am Ball, aber ohne Ausrufezeichen. Trotzdem solide. Wich gegen Ende Schweinsteiger. Note 3+.
Erneut weniger im Spiel als noch zu Beginn des Turniers, trotzdem natürlich gewohnt passsicher im Aufbau. In der Nachspielzeit mit einer Riesenchance. Note 3.
Im ersten Durchgang erneut bemüht, aber glücklos. Zwei, drei kleinere Chancen nach ungefähr einer halben Stunde. Nichts Zwingendes dabei, ansonsten wieder unauffällig. Gegen Ende leicht verbessert. Note 4-.
Kommt nach schwachem Start immer besser ins Turnier. Im ersten Durchgang der Dreh- und Angelpunkt im deutschen Spiel. Mehrere gute Chancen, starke Zuspiele, fast alles lief über ihn. Vergab den Elfmeter zwar schwach, trotzdem insgesamt ganz, ganz stark. Note 1-.
Gewinnt den direkten Vergleich mit Götze um Längen. Nach Özil bester Mann in Durchgang eins. Traute sich viel zu, ging oft erfolgreich ins 1-gegen-1. Bereitete Gomez' Tor ganz stark vor. Dazu Fleißsternchen. Nach der Pause dann die Krönung mit dem 3:0. Durfte nach 71 Minuten duschen. Note 1.
War gut im Spiel, wenn auch mit wenigen Szenen. Hat fast nur Augen für das Tor, wenn am Ball. Aber Elfmeter herausgeholt, Tor gemacht: Aufgabe erfüllt. Note 2.
Kam für die letzten 20 Minuten für Boateng. Ersetzte ihn solide. Note 3.
Durfte die Schlussphase für Draxler rein – unter frenetischem Beifall im Stadion. Hatte sichtlich Bock. Ein, zwei gute Szenen. Note 3.
Der Lieblings-"Joker" von Löw durfte dieses Mal eine Viertelstunde ran. Fand gut ins Team. Klar und geordnet im Mittelfeld. Note 3.
Weiter kein Gegentor für Löws Team
Die deutsche Auswahl konnte es diesmal verschmerzen. "Ich liebe K.o.-Spiele über alles", hatte Löw vor dem Wiedersehen mit den Slowaken angekündigt und wurde mit dem zehnten Sieg in einem Alles-oder-nichts-Spiel unter seiner Führung belohnt. Nicht nur das Ergebnis, auch die Leistung dürften dem Coach gefallen haben. Die deutsche Elf ließ den Slowaken mit Dauerdruck und tollen Kombinationen kaum Luft zum Verschnaufen. Wieder einmal funktionierte das Gegenpressing im Mittelfeld durch das starke Duo Toni Kroos und Sami Khedira, dazu ließen in der Abwehr Boateng und Mats Hummels auch im vierten Spiel kein Gegentor zu.
Boateng war es auch, der dem dreimaligen Europameister einen perfekten Start bescherte. Nach einer Ecke von Kroos traf Boateng mit einem satten 18-Meter-Schuss, der von der slowakischen Hintermannschaft leicht abgefälscht wurde. Der Bayern-Verteidiger, der in seinem 63. Länderspiel erstmals traf, rannte nach dem Tor sofort zu Teamarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Physiotherapeut Klaus Eder. Die medizinische Abteilung hatte Boateng nach einer Wadenverhärtung im Spiel gegen Nordirland (1:0) wieder rechtzeitig fit bekommen.
Özil verschießt Elfmeter
Auch nach dem schnellsten deutschen Treffer bei einer EM-Endrunde ging das Spiel weiter nur in Richtung des slowakischen Tores. Und nur fünf Minuten später hätte Özil auf 2:0 erhöhen können, doch der Elfmeter des Ausnahmetechnikers war zu unplatziert geschossen, sodass Matus Kozacik parieren konnte. Zuvor hatte Martin Skrtel den deutschen Stoßstürmer Gomez umgerempelt.
Der vergebene Elfmeter brachte die DFB-Elf aber nicht aus dem Konzept. Özil hatte nach Kopfball-Vorlage von Gomez eine weitere hochkarätige Möglichkeit per Dropkick (24.), dazu vergaben Kroos (16.) und Khedira (26.) aus der Distanz. Eine weitere gute Gelegenheit besaß Julian Draxler mit einem Drehschuss. (39.). Der Wolfsburger war für Mario Götze in die Startelf gerückt und agierte wesentlich agiler als noch bei seinen ersten Auftritten.
Die vielen vergebenen Möglichkeiten hätten sich kurz vor der Pause beinahe gerächt, als Juraj Kucka nach einer Flanke des Berliners Peter Pekarik mit einem Kopfball Manuel Neuer zu einer Parade zwang (41.). Noch vor vier Wochen hatte der EM-Debütant ein Testspiel gegen Deutschland mit 3:1 bei Blitz und Donner in Augsburg gewonnen, was Löw als "Weckruf" bezeichnete.