FC Bayern München Therapie-Spiele für Jürgen Klinsmann

Von Tim Schulze, Bielefeld
Von Barcelona nach Bielefeld: Nach dem knappen Sieg gegen die abstiegsgefährdeten Ostwestfalen sind die Bayern bemüht, Normalität vorzugaukeln. Vor allem Trainer Jürgen Klinsmann versucht, die sportliche Krise wegzureden - und kämpft verbissen um seinen Job.

Wenn Menschen an extrem ehrgeizigen Zielen scheitern, können sie daran zerbrechen. Das Auseinanderklaffen von Selbstwahrnehmung und Realität führt zu einer psychischen Krise, der oft nur durch eine professionelle, psychologische Therapie beizukommen ist. So weit muss es nicht kommen. Manchmal setzt auf wundersame Art ein Selbstheilungseffekt ein, indem man seine Strategie ändert und die Realität einfach anders interpretiert: Auf einmal sieht die Lage gar nicht mehr so düster aus: Kleinere Erfolge, die sonst kaum eine Erwähnung wert gewesen wären, müssen dann alles wieder ins rechte Lot zu rücken.

Vielleicht lässt sich so der aktuelle Zustand des Bayern-Trainers Jürgen Klinsmann beschreiben. Vor anderthalb Wochen musste der ehrgeizige Schwabe vielleicht die schmerzhafteste Niederlage seiner Karriere hinnehmen. Angetreten in München, um die Bayern wieder zurück in die europäische Fußball-Elite zu führen, wurde dieses Vorhaben brutal vom FC Barcelona im Viertelfinale gestoppt. Nach dem Hinspiel bei den Katalanen waren sie wie geprügelte Hunde wieder abgereist - gedemütigt, vorgeführt und schmerzhaft aus allen hochfliegenden Champions-League-Träumen gerissen. Danach brach eine derart heftige Debatte über die Zukunft von Klinsmann und die Qualität der Mannschaft über den ruhmreichen FCB herein, dass sich selbst der sturmerprobte Manager Uli Hoeneß gewundert haben dürfte.

Angekratztes Selbstwertgefühl

Im DFB-Pokal ist schon längst schluss, bleibt also der Kampf um die Meisterschaft. Seitdem müssen Siege wie gestern in Bielefeld (oder eine Woche zuvor gegen Frankfurt) als bescheidene therapeutische Erfolge herhalten, um das schwer angekratzte Selbstwertgefühl der Bayern zumindest auf nationaler Ebene in Stand zu halten, und Jürgen Klinsmann braucht sie, um seinen Job zu retten. Der hängt am seidenen Faden - optimistisch ausgedrückt. Aber Klinsmann kämpft. Trotz der Schmach von Barcelona versucht er, der bisherigen Saison etwas Positives abzugewinnen.

"Das Ergebnis war sehr wichtig für uns", verkündete Klinsmann nach der Partie in Bielefeld. Dabei ließ der Rekordmeister vor allem in der ersten Halbzeit jegliche Souveränität vermissen. Hätte Torwart Jörg Butt nicht einen Kopfball von Arminias Tesche glänzend pariert, die Bayern wären mit einem Rückstand gegen die konzentriert und aggressiv kämpfenden Bielefelder in die Pause gegangen. In der zweiten Halbzeit steigerten sich die Bayern und erarbeiteten sich einige Torchancen. Am Ende reichte dann ein Kopfballtreffer von Luca Toni, der sich als einziger Stürmer verbissen aufrieb. So gesehen war der Sieg verdient. Dennoch: Sportlich rumpelt es weiter gewaltig, nicht nur gegen Barcelona. Mark van Bommel sagte nach dem Spiel: "Wir haben ein bisschen Glück gehabt". Der Maßstab für den Rekordmeister heißt aktuell Bielefeld.

Alles Interpretationsfragen

Und dann gibt es da noch den lästigen Konkurrenten namens Wolfsburg. Der Tabellenführer tat den Bayern nicht den Gefallen, gegen Leverkusen zu verlieren. Die Wolfsburger liegen weiter drei Punkte vor den Bayern. Ein sichtlich erleichterter Manager Uli Hoeneß gab unumwunden zu, dass " es fatal gewesen wäre, wenn wir nicht gewonnen hätten." Philipp Lahm formulierte es so: " Das Wichtigste ist, dass jetzt innerhalb des Vereins und der Mannschaft Ruhe ist".

Das scheint ein frommer Wunsch zu sein angesichts der Leistungen dieser Mannschaft. Klinsmann gibt sich zwar nach außen gelassen, aber er weiß, dass jedes Spiel für ihn ein Endspiel ist. Er kann sich nicht den kleinsten Ausrutscher mehr leisten, wenn er überhaupt eine Zukunft bei den Bayern haben will. Vielleicht stimmt es tatsächlich, dass " die Stimmung in der Kabine bestens " gewesen sei in Bielefeld, wie Klinsmann kundtat. Das kann sogar stimmen. Dass aus der Mannschaft Forderungen nach weiteren Topspielern laut wurden, zeigt: Darin herrscht Einigkeit mit dem Trainer. Die Forderungen jetzt zu stellen ist geschickt, schließlich lenkt man so den Fokus auch auf die Bosse und deren Verantwortung für die Krise. Aber das sind Interpretationsfragen. Nächste Woche wartet Schalke, wieder ein Endspiel für Klinsmann. Das ist die Realität.

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