Fußball-Presseschau "Kurgruppe für Deutschland"

Werder trotzt allen widrigen Umständen und gibt sich als Meisterkandidat; Bayer Leverkusen zeigt sich wieder mal von seiner besten Seite; die Kritik an den Terminplänen belegt die Kurzsichtigkeit der Bundesliga-Branche; Deutschland wieder mal im Losglück - stern.de und indirekter-freistoss blicken in die Gazetten.

Das beste Immunsystem der Liga

Dass es den gebeutelten Bremern, 2:1-Sieger gegen Hamburg, gelingt, auf Platz 2 zu stehen, veranlasst Christof Kneer (SZ), ihnen besondere Stärke zuzuschreiben: "In Bremen hat sich eine ebenso rührende wie rätselhafte Kultur des Schaafismus entwickelt, und das Bemerkenswerte an dieser Kultur ist, dass sie den Wettbewerbsgedanken ausdrücklich einschließt.

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Die Bremer leben keineswegs in einer weltfremden Idylle, sie leben in einer Welt, in der Real Madrid und der HSV vorkommen und auch besiegt werden - und zwar von ersatzgeschwächten Bremer Teams. Um Werders aktuellen Tabellenplatz angemessen zu würdigen, muss man noch mal an all die schlechten Nachrichten erinnern: Die Bremer haben 2007 nicht nur so viele Verletzte gehabt, dass es für die Jahresbilanz einer handelsüblichen Bundesliga-Elf gereicht hätte. Sie hatten auch so viele Affären, dass man damit drei handelsübliche Klubs kleingekriegt hätte - das Transfergerangel um Klose; die Indiskretion im Trainingslager, als ein ungenannter Profi dem Trainer Schaaf falsches Training zur Last legte; die Verpflichtung des umstrittenen Sanogo; die undurchsichtige Krankengeschichte von Carlos Alberto; die undurchsichtige Verletzungsgeschichte von Torsten Frings; die Prügelei zwischen Sanogo und Carlos Alberto; schließlich die schweren Vorwürfe bei Klasnics Krankengeschichte. Aber der Klub hat ein so gesundes Wachstum hinter sich, dass er selbst von solchen Auf- und Erregern nicht ernsthaft zu kränken ist. Die Elf hat das beste Immunsystem der Liga, und diese Abwehrkräfte verdanken sich einem stabilen Kader, einem vertrauten taktischen System und einem Umfeld, in dem der klubinterne Ehrgeiz größer ist als der Druck von außen."

Die menschlichste unter den Mannschaften im Profifußball

Christian Zaschke (SZ) verfasst nach dem 3:0 in Berlin eine Art Hymne auf die ästhetische Lockerheit Bayer Leverkusens: "Es ist an der Zeit, das arme und verkannte Leverkusen ein wenig zu preisen. Da Stadt und Werk sich zum Preisen kaum eignen, sei die Werkself besungen. Am Wochenende hat sie wieder einmal den schönsten Fußball der Welt gespielt, dieser Pass von Schneider auf Barbarez, und wie Barbarez dann volley mit links von links - wer nicht erkannte, wie schön das war, dem fehlt es links, wo das Herz sitzt. Immer wieder mal spielt die Werkself den schönsten Fußball der Welt, aber nur, wenn sie Lust hat. Wenn sie keine Lust hat, spielt sie Dienst nach Vorschrift, höchstens. Weil wie bei jedem Menschen sich Lust und Unlust bei der Werkself abwechseln, hat sie noch nie etwas gewonnen, und als sie doch einmal etwas gewann, war es der Uefa- Pokal, den Franz Beckenbauer bekanntlich treffend als Cup der Verlierer bezeichnet hat. Den Leverkusenern fehlt sympathischerweise der letzte Biss, der Killerinstinkt, und es gibt keine andere Mannschaft, der man es so deutlich ansieht, wenn sie keine Lust hat. Bayer.04 Leverkusen ist ohne Zweifel die menschlichste unter den Mannschaften im Profifußball."

Aufschrei der Kurzehosenträger

Jan Christian Müller (FR) kontert die Kritik einiger Spieler und Trainer (jüngstes Beispiel Hamburgs Trainer Huub Stevens) an den Terminplänen der "Krawattenträger": "Das Geschrei trifft mit den Managern der DFL die Falschen. Dort ist Holger Hieronymus für den Spielbetrieb zuständig. Der trägt zwar inzwischen bei der Arbeit tatsächlich Krawatte, ist aber deshalb weder automatisch fett geworden noch dekadent oder selbstherrlich und fühlt sich daher derzeit mit Recht auf den Schlips getreten. Die Bundesliga-Manager haben den Spielplan, der ja nicht vom Himmel gefallen ist, nämlich mit Rücksicht auf Fans, Fernsehen und Finanzen abgenickt. Dass zudem die Agentur Team (Achtung: Krawattenträger!) als Champions-League-Vermarkter Mittwochspiele des Uefa-Cups an Spieltagen des Premiumprodukts ablehnt, ist nachvollziehbar. (…) Niemand sollte sich etwas vormachen: Mehr Sonntagsspiele würden weniger TV-Einnahmen und mehr Ärger mit den Fans bedeuten."

Peter Heß (FAZ) ergänzt: "Der Ärger der Profis ist nachvollziehbar, aber er spricht nicht für ihre Denkfähigkeit. Den Kontrakt haben alle Vereine mit Begeisterung abgesegnet, weil er die fetteste Beute, sprich das meiste Geld, einbrachte. Nur weil die Erlöse aus der Vermarktung quasi explodierten, konnten sich die Gehälter der Profis in den vergangenen fünfzehn Jahren vervielfachen. Der Aufschrei der Empörung ist also nichts anderes als ein Ausdruck von Wichtigtuerei, von Distanz zum Fußballgeschäft, in einem Ausmaß, das die Ignoranz streift. Von Leuten, die den Fußball nach ihrer Bequemlichkeit gestalten wollen und nicht nach den Bedürfnissen der Marktwirtschaft fragen. ‚Kurzehosenträger' wäre eine griffige Formulierung für Profis, deren Gedanken nach der ersten Gehirnwindung so schnell enden wie ihre Sportbekleidung über dem Knie."

Autos, Bier und Losglück

Die EM-Gruppen stehen fest - Katrin Weber-Klüver (Financial Times Deutschland) schmunzelt über das Los der Deutschen: "Im Vergleich zum Schicksal Rumäniens (weiland vulgo: Todesgruppe, heute: Hammergruppe), hat Deutschland eine Kurgruppe abbekommen. Da strahlten sie wie Honigkuchenpferde um die Wette, der Jogi, der Hansi und der Olli, als ihnen die Schonkost zugelost wurde. Österreich, 91. der Weltrangliste, da wird keiner mehr narrisch. Gegen Polen packt man halt noch mal Odonkor aus. Und Kroatien bekommt das schlimmste Kompliment der Fußballwelt verpasst: Geheimfavorit. Wäre das erledigt." Stefan Hermanns (Tagesspiegel) schreibt: "Wenn man den Rest Europas fragen würde, was ihnen zu Deutschland einfalle, würde die Antwort im Moment vermutlich lauten: Autos, Bier und Losglück."

Roland Zorn (FAZ) hingegen warnt: "Die vom Fußball-Schicksal oft geküssten Deutschen sollten vorsichtig sein: aus zwei Gründen. Polen hat unter seinem haudegenhaften Trainer Leo Beenhakker an Qualität gewonnen und seine Qualifikationsgruppe ebenso ungefährdet gewonnen wie die Kroaten ihre. Dass schließlich auch ein Gastgeber wie Österreich manchmal egoistisch sein Recht einfordert, haben schon andere vermeintlich kleine Ausrichter von großen Turnieren oft genug bewiesen. (…) Noch mal Glück gehabt? Kann, muss aber nicht sein in diesem Spiel, das auf dem Platz oft genug an eine Lotterie erinnert."

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