Da kommt er um die Ecke, der neue Bus der Nationalmannschaft. Als erstes schimmern einem rechts über dem Kühlergrill keck verwischte Streifen in schwarz-rot-gold entgegen. Der restliche Bus hüllt sich in Anthrazit, nur auf der Seite leuchtet im dunkelroten Keil das DFB-Logo, darüber verdunkeltes Glas. Dahinter 23 Spieler plus Trainer und Betreuer. So fahren sie in den nächsten Tagen jeweils vom Flughafen bis zu den Stadien. So zum Beispiel zum Münchner Eröffnungsspiel gegen Costa Rica, nach Dortmund (gegen Polen) und ohne Flug die zehn Busminuten ins Olympiastadion (gegen Ecuador). Und sie brauchen hoffentlich auch den Shuttle-Service nach München (Achtelfinale), Berlin (Viertelfinale) und Dortmund (Halbfinale) und hoffentlich nicht vom Stuttgarter Flughafen zum Stadion (Spiel um Platz 3), sondern noch mal den kurzen Trip ins Stadion um die Ecke (Finale). Immer am Steuer sitzt seit 15 Jahren Wolfgang Hochfellner (53) mit ein paar Falten auf der hohen Stirn und dem Titel "Zeugwart" auf der Jacke. Wenn er lacht, hat er leichte Pausbacken, wenn er spricht, dann mit breitem hessischem Einschlag. In den gut zwölf Metern hinter ihm nennen ihn alle Wolle.
"Das ist der totale Wahnsinn"
Den Busführerschein hat Wolle seit den 70ern. Damals war alles noch ein wenig anstrengender. "Diese Busse waren bei weitem noch nicht so gut gefedert, speziell auch der Fahrersitz. Die Dinger haben sich auch noch nicht so leicht schalten lassen. Das geht heute alles elektronisch. " Wolle ist umzingelt von Elektronik: ESP, ABS, ASR und Abstands-Regel-Tempomat, dazu ein Dauerbrems-Limiter (verhindert ungewollte Beschleunigung im Gefälle) und obendrauf noch eine Rückfahrhilfe mit Anzeige im Außenspiegel samt Kamera nach hinten raus. Wolles rechter Fuß herrscht über mächtige 428 PS. Die braucht der Luxusbus auch, immerhin kommt er auf drei Achsen daher. Wolle sitzt gern hier vorne. Zusammen mit anderen Erstliga-Lenkern fahren er und sein Bus zweimal im Jahr zum Sicherheitstraining auf den Nürburgring: "Das ist der totale Wahnsinn. Es ist schon ein Kick, wenn sie da mit so einem Bus in der Steilkurve fahren und lassen dann das Lenkrad los. Der geht wie an der Schnur gezogen durch die Steilkurve, ein irres Gefühl", sagt Wolle und grinst. Ob er die Mannschaft zu Siegen fährt (dann tanzen die Jungs im Flur) oder von Niederlagen abholt (dann starren die meisten stumm aus dem Fenster), für ihn steht fest: "Das ist ein Traumjob."
Die Spieler bringen den Kasten Bier zum Feiern
Hinter seinem Arbeitsplatz, auf dem Oberdeck, ist dank gelockerter Sitzreihen grade mal Platz für 36 Leute, das heißt: viel Beinfreiheit und Komfort für Trainer, Betreuer und Spieler. Wolle deutet auf die schwarzen Ledersitze mit den dunkelroten Seitenteilen und gelben Sitzkedern, es wirkt ein bisschen wie eine Deutschlandfahne zum Sitzen. Im Heck gibt's eine Sitzgruppe, wenn Klinsmann mal mit Podolski alleine reden will. Über den Köpfen verbirgt sich eine vollelektronische Klimaanlage, die jeder Spieler für sich selbst regulieren kann. Dazu eine Musikanlage, Fernsehen und DVD auf ausklappbaren Flachbildschirmen, hier laufen auch schon mal Schulungsvideos. Damit das ungestört geht, schließen die elektrischen Dachluken via Regensensor. Wenn es allerdings was zu Feiern gibt - und das werde ja immer mehr werden, hofft Wolle - dann muss die Mannschaft erst mal anpacken: "Dann kümmern sich die Spieler darum, dass ein paar Kasten mit an Bord gebracht werden."
Das war damals, 1974, einer der Pluspunkte im Bus. Nicht nur die Klimaanlage hinten auf dem Dach war damals eine Sensation, auch hatte der Bus im Unterschied zu heute eine Zapf-Anlage, erzählt Daimler-Chrysler-Mitarbeiter Richard Graf: "Die Weltmeister hatten auf diese Weise immer was Kühles zu Trinken dabei, saßen im Kühlen durch die Klimaanlage und sie durften während der Fahrt auch auf die Toilette gehen." Das geht heute natürlich auch, sogar beheizt. Aber es wirft die Frage auf: Wo ist eigentlich der Original-Bus, der O 302 von damals? Der Sprecher des Mercedes-Benz-Museums Enrico Müller sagt, dass der Original-Bus nach der WM 1974 ins Ausland verkauft wurde. Die Suche hat längst begonnen: "Von Zaire über Ägypten bis nach Russland und Afghanistan, mit immer neuen Hinweisen, die sich bisher allerdings alle im Sand verlaufen haben." Man erwarb kurzerhand von der Pinneberger Verkehrsgesellschaft ein baugleiches Modell.
Der Originalbus von 1974 - "ein Traum"
Eher zufällig war man in Stuttgart-Untertürkheim auf den Oldtimer-Bus aufmerksam geworden. Die Techniker im schleswig-holsteinischen Pinneberg hatten um Ersatzteile für den O-302 angefragt, der Liebhaberbus sollte auch weiterhin für Hochzeitsgesellschaften und andere Sonderfahrten in Schuss bleiben. Der Erhaltungszustand war dank der Pinneberger Liebhaber dermaßen gut, dass die Stuttgarter gleich einen Verkauf anbahnten. So rüsteten wenig später DaimlerChrysler-Mitarbeiter das gute Stück originalgetreu nach, jetzt steht wenigstens eine Kopie in der Mercedes-Benz-Welt, dem neuen Museum. Für Tipps vor allem aus Russland oder Kabul ist man in Untertürkheim aber dankbar. "Sollten wir noch irgendwo de Originalbus finden, werden wir ihn natürlich übernehmen. Die Suche ist nicht abgeschlossen," sagt Enrico Müller. Der Originalbus wäre für Müller "ein Traum", für den entscheidenden Hinweis hält er ein VIP-Paket für zwei Personen zum Spiel um Platz drei bereit. Wolle lacht, wenn er an den Bustyp von damals, einen O 302 denkt. "Da konnte man jeden draufsetzen, der hat viel mitgemacht". Heute genießt er, dass die Schaltung nicht mehr hakt. Gleich kommt die Mannschaft, Wolle will jetzt seinen "Travego" vorfahren. Er nickt kurz zum Abschied, in Wolles Händedruck liegt alle Ruhe dieser Welt. Die Tür schlurft leise in den Rahmen, der Bus fährt an. Beim Blick hinterher fällt noch das selbsterklärende Nummernschild auf. Drin ist, was drauf steht: F- NM 11.