Etwas Schöneres kann es für Argentinier kaum geben. Im Land des Erzrivalen spielen sie nun um den WM-Titel. Im Herz des brasilianischen Fußballs, dem Maracana, laufen am Sonntag nicht die Gastgeber auf, sondern sie, die kleinen Nachbarn. Und nicht Neymar wird die größte Bühne der Welt erhalten, auch nicht Robben, sondern Lionel Messi.
Und Schweinsteiger. Und Lahm. Und Kroos. Und Müller.
Argentiniens Nationaltrainer Alejandro Sabella sitzt auf dem Podium im Keller des neuen Stadions Itaquerao in Sao Paulo. Er ist gerade dabei, die großen deutschen Spieler aufzuzählen, die er so bewundert: Schuster, Overath, Magath, Netzer. Er sagt: "Ich bewundere den Fußball zweier Länder: Brasiliens und Deutschlands. Deutschland hat immer eine physische Stärke, eine mentale Stärke, und sie haben immer auch einen südamerikanischen Touch gehabt."
Deutschland ist Favorit
Er hätte gleich die ganze Mannschaft aufzählen können: Özil, Hummels, Klose, Schürrle. Sabellas Kriterien treffen auf sie alle zu.
So muss die Frage nach dem Favoriten kommen. Sabella weicht aus. Er sagt, dass sie einen Tag weniger Vorbereitung haben werden. Er sagt, dass ihnen zwei Verlängerungen in den Knochen steckten. Er sagt, dass Deutschland in der zweiten Halbzeit gegen Brasilien schon regenerieren konnte. Eigentlich sagt er: Deutschland ist Favorit.
Sabella kann sich nicht richtig freuen. Er ist nicht der Typ für große Gefühlsausbrüche. Er wirkt wie Jogi Löw am Tag zuvor. Er sagt, er sei zufrieden, aber Freude ist beiden Trainern nicht anzumerken. Es muss eine sehr tiefe innere Freude sein. Sabella fand seine Mannschaft gegen die Niederlande stark, aber es war nur ein Unentschieden, betont er, kein Sieg. Elfmeterschießen ist ein Glücksspiel.
"Lieber 7:1 verlieren"
Vorher saß Hollands Trainer Louis van Gaal an der Stelle. Van Gaal war sauer. Er sagte, er verliere lieber 7:1 als in solch einem Elfmeterschießen. Er sagte, dass er das Spiel um Platz 3 für großen Quatsch hält. Er sagt auch, dass sein Team zu wenige Chancen kreiert habe. Aber es sei ebenbürtig gewesen, wenn nicht gar besser. Er muss ein anderes Spiel gesehen haben. Die Holländer hatten gerade mal eine richtige Torchance. Sie haben gut verteidigt, aber nichts nach vorne probiert. Das Finale hatten sie nicht verdient.
Deutschland wird es nicht leicht haben gegen Argentinien. Das strich auch van Gaal heraus. Die Argentinier seien taktisch stark, sagte er. Sie ließen so gut wie keine Chancen zu. Sie haben eine gute Abwehr, sagte Löw am Tag zuvor. Sie seien "sehr, sehr gut". Auch das war knapp an der Wahrheit vorbei. Sehr sehr gut waren sie bei der WM bisher nicht, aber diszipliniert und gut sortiert, all das was die Brasilianer nicht waren.
Generalprobe für das Endspiel
Argentiniens Halbfinale war bereits eine Art Generalprobe für das Endspiel. Genau so wird Argentinien wieder spielen. Genau so haben sie die ganze WM lang gespielt. Geheimnisse gibt es hier nicht: Erst mal auf Sicherheit. Und dann auf Messis Geistesblitze hoffen oder auf di Marias, sollte er wieder spielen.
Es gibt Leute in seiner Heimat, die Sabella deswegen nicht mögen, der Fußball ist ihnen zu pragmatisch, ja bürokratisch. "Wir werden nicht für den Stil in Erinnerung bleiben, sondern fürs Siegen", kontert der gegen Holland so starke Enzo Perez.
Sabella sagte nach Deutschlands 7:1-Erfolg, der Fußball sei nicht logisch. Sein Fußball jedoch ist logisch. Argentinien war nicht überragend, aber immer besser als der Gegner. Sie füllen den Platz gut aus, sie stopfen die Lücken, sie begehen wenige Fouls. Vor der WM sagten alle Experten, dass Argentinien eine schlechte Abwehr habe. Jetzt gilt sie als die beste. Es ist wie so oft bei dieser WM: Die Experten liegen daneben.
Sieg des Erzrivalen unerträglich
Vor der WM sagten die Experten auch voraus, dass es die europäischen Teams in Brasilien schwer haben würden. Von den acht Halfinalisten aber kamen vier aus Europa und vier aus Amerika. Von den vier Halbfinalisten je zwei. Im Finale stehen zwei Teams, von denen man nicht sagen könnte, welches der beiden europäisch spielt und welches amerikanisch. Die Stilrichtungen haben sich angepasst, sie sind homogenisiert, aber dadurch nicht langweiliger. Sie haben sich eher befruchtet.
Die Argentinier werden wieder 100.000 Fans mit nach Rio bringen. Sie werden auf dem Schwarzmarkt wieder drei Tage lang nach Tickets suchen. Sie werden mit ihren Campern wieder die Copacabana zuparken. Sie werden beim Fan-Fest am Strand gegenüber den Deutschen in der Mehrheit sein.
Dafür werden die Brasilianer Deutschland unterstützen. Schlimm genug, dass das eigene Team diese "Blamage" erlitt, dieses "Massaker", diese "Vernichtung", diese "Demontage", diese "Demütigung" (stammt alles aus brasilianischen Zeitungen). Aber ein Sieg des Erzrivalen im Maracana wäre unerträglich.