Deutsches WM-Aus Löw sagt, der Wille war da - ein Sportpsychologe sieht das anders

Manuel Neuer, Thomas Müller, Mario Gomez und Jonas Hector stehen nach dem WM-Aus fassungslos auf dem Platz in Kasan
Nach dem WM-Aus herrschte bei Manuel Neuer (r.) und dem Rest des DFB-Teams Fassungslosigkeit
© kyodo / DPA
Behäbig, verunsichert, arrogant. Mit diesen Worten versuchen sich viele Fans, das frühe WM-Aus der deutschen Mannschaft zu erklären. Sportpsychologe Jens Kleinert erklärt im Interview, woran es dem deutschen Team gemangelt hat.

Herr Kleinert, wie erklären Sie sich aus sportpsychologischer Sicht das deutsche WM-Aus?

Letztlich ist das richtig, was schon viele Experten gesagt haben: Es gibt mehrere Faktoren und nicht nur den einen Grund. Interessanterweise haben aber nicht nur Zuschauer, sondern auch die Spieler selbst festgestellt, dass bei vielen der letzte Wille gefehlt hat.

Da muss man nun schauen, woran das gelegen hat. Es hat jedenfalls an Enthusiasmus gefehlt, den man für einen WM-Sieg braucht. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist das Ziel, einen Titel zu verteidigen, nicht so verlockend, als wenn man den Titel noch nicht gewonnen hat. Insofern hat es den WM-Siegern vielleicht am Fokus auf das richtige Ziel gemangelt. Zum anderen haben die schlechten Spiele vor der WM den Glauben an sich und das Team erschüttert. Und daraus kann dann diese Hemmung entstanden sein.

Die Mannschaft wirkte auf Sie also nicht arrogant, sondern verunsichert?

Arrogant habe ich niemanden aus der deutschen Mannschaft erlebt. Die Spieler waren einfach nicht selbstsicher.

Und dann spielen noch die unterschiedlichen Charaktere eine Rolle. Toni Kroos ist ja auch bei Real Madrid niemand, der nach einem Ballverlust wie ein Wilder nach hinten rennt. Das ist einfach nicht seine Spielweise. Ganz anders Marco Reus, der über seine Einsatzbereitschaft kommt.

Was diese unterschiedlichen Charaktere angeht, waren die Spieler auf dem Feld einfach nicht gut aufeinander abgestimmt. Es gab zu wenige, die die anderen mitgerissen haben und insofern wirkte die deutsche Mannschaft so behäbig.

Woher kommt die Verunsicherung? Spieler wie Neuer, Hummels, Kroos oder Khedira haben doch genug Erfahrung mit Drucksituationen.

Jens Kleinert Sportpsychologe Deutsche Sport-Hochschule Köln
© Privat

Zur Person

Jens Kleinert ist Professor für Sport- und Gesundheitspsychologie an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine Schwerpunkte sind unter anderem Motivationspsychologie und Teamforschung.

Es geht viel weniger um den Druck, sondern viel mehr um den Glauben an sich selbst. Dieser Glaube ist während der Vorbereitung verloren gegangen. Mats Hummels hat selbst gesagt, das letzte richtig überzeugende Spiel der DFB-Elf sei im Herbst 2017 gewesen. Vorbereitungsspiele sollen einer Mannschaft eigentlich beweisen, dass sie auf gutem Niveau spielen kann. Darauf kann eine Mannschaft dann aufbauen.

Und noch etwas ist ganz wichtig: Die deutsche Elf hat gewirkt, als habe sie keine Freude auf dem Platz. Die Spielfreude ist aber ganz wichtig, damit man Topleistungen bringen kann. Auch für Profis ist der Spaß an der Sache selbst entscheidend.

Warum hatte der späte Siegtreffer gegen Schweden keine positive Wirkung auf das Team?

Das vorherrschende Gefühl nach dem Freistoß-Tor war bei den Spielern sicherlich Erleichterung. Psychologisch hat man vor dem Abgrund gestanden und einen Schritt zurückgemacht. Man hatte den Abgrund aber noch vor Augen, er war ja noch da. Hängen geblieben ist aber insgesamt, dass das Spiel gegen Schweden nicht gut war. Insofern hatten Tor und Ergebnis keinen positiven Effekt.

Was muss man nun mit den Spielern erarbeiten?

Spieler und Trainer sollten sich Zeit nehmen und die WM in der Mannschaft und mit dem Betreuerstab besprechen. Das sollte aber nicht nur intern geschehen. Die fehlende positive Entwicklung von der Vorbereitung zu den WM-Spielen kann ja ein Indiz sein, dass die Einschätzungen nicht richtig waren. Auch nicht von Joachim Löw, der immer behauptete, dass der Wille sehr hoch sei. Das sehe ich anders. Insofern sollte das Trainerteam sich auch Hilfe von außen holen. Die interne Analyse kann funktionieren, sollte aber nicht die einzige Perspektive sein. Das Trainerteam muss rekapitulieren, was das letzte halbe, dreiviertel Jahr schief gelaufen ist.

Sind dafür Jogi Löw und sein Team die richtigen oder brauchen die Spieler aus psychologischer Sicht ein neues Trainerteam?

Als jemand, der ihn einstellt, würde ich nicht auf seine Entscheidung warten, sondern meine Erkenntnisse aus Gesprächen mit ihm ziehen. Hat er noch das Feuer und kann er eine Perspektive aufzeigen, wie er sich ändern wird? Im Grunde müsste es so laufen, als ob er dem DFB eine Bewerbung für den Posten des Bundestrainers schreiben würde: So stelle ich mir die Zukunft des DFB-Teams vor und das werde ich ändern, um das zu erreichen.

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