Man musste im WM-Halbfinale zwischen Argentinien und Kroatien schon zweimal hinschauen, ob dieser kleine Mann im blau-weißen Trikot mit der Nummer 10 tatsächlich der war, für den man ihn hielt. Lionel Messi, mittlerweile immerhin auch schon 35 Jahre alt, spielte, als sei er gerade 25 geworden: Aufmerksam, explosiv im Antritt, uneitel als Ballverteiler, wenn ein Mitspieler besser postiert war. Messi lebte als Kapitän all die Tugenden vor, die so mancher Trainer einigen Spielern über Jahre vergebens versucht, einzutrichtern. Es war eine Gala des sechsfachen Weltfußballers, ohne selbst im Mittelpunkt zu stehen – ausgenommen der Elfmeter, der Argentinien früh die Tür zum Finale weit aufstieß. Nun macht er also Schluss – zumindest auf der Bühne der Fußball-Weltmeisterschaft. Das Finale am kommenden Sonntag werde sein letztes WM-Spiel, so Messi. Das nächste Turnier in vier Jahren, es wird zu spät kommen, das musste er sich eingestehen. Man konnte in unzähligen Spielen seiner Karriere daran zweifeln, doch: Auch er ist nur ein Mensch.
Wenn Lionel Messi auf dem Platz stand, wurde Fußball zu Kunst
Die größte Bühne der Welt als letzter Akt einer WM-Karriere: Viel größer könnte der Druck für Messi vor dem Finale eigentlich nicht sein. Und trotzdem hat man das Gefühl: Auch wenn es wieder nicht klappen sollte mit dem Titel, auch wenn er diesen Pokal, der seine unglaubliche Karriere noch zusätzlich vergolden würden, nicht in den Abendhimmel reckt, es wäre in Ordnung. Messi ist für sich allein schon ein Kunstwerk, vielleicht der beste Fußballer, den es je gab. Noch ein bisschen schneller als Ronaldinho, trickreicher als Pelé, dribbelstärker als Zinedine Zidane, torgefährlicher als Diego Maradona. Wenn Messi auf dem Platz stand, zauberte er. Fußball wurde zu Kunst und Messi hatte den Pinsel in der Hand. Dieses Kunstwerk wird mit seinem Abgang keine Flecken nehmen – das steht schon jetzt fest.
Mit dem klaren Schlussstrich macht er all das richtig, was sein wahrscheinlich größter Konkurrent, Cristiano Ronaldo, derzeit falsch macht: Messi ist nicht zu eitel zu sagen: "Es reicht. Auch die größte Karriere geht mal zu Ende." Ronaldos Versuch, sich immer weiter an das nächste Turnier zu klammern und einfach nicht aufhören zu können, ist jämmerlich. Beide hätten den WM-Titel verdient. Doch den gewinnt man eben nicht allein. Auch nicht, wenn man Messi oder Ronaldo heißt.
Egal wie das Finale ausgeht: Messi kann nur gewinnen
Ersterer scheint dies verstanden zu haben. Schon einige Tage vor dem vielleicht größten Spiel seiner Karriere anzukündigen, dass dies sein letztes Spiel bei einer WM sein wird, ist genau der richtige Zeitpunkt. Egal wie es ausgeht, Messi kann nur gewinnen. Entweder er wird zum tragischen Helden, dem man wahrlich nicht vorwerfen kann, nicht alles versucht zu haben, um den WM-Pokal endlich wieder nach Argentinien zu bringen. Oder er krönt seine Karriere tatsächlich, steigt mindestens auf die Stufe von Diego Maradona auf und wird endgültig zum "Greatest Of All Times".
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