Er kämpft, wie schon während dieser gesamten Olympischen Spiele, so reich an Tiefschlägen für ihn. Diesmal sind es allerdings nicht Flugteile, die es zu bewältigen gilt. Fabian Hambüchen hat seine Übung am Reck bereits hinter sich gebracht. Er kann jetzt nichts mehr tun. Die Olympischen Spiele sind beendet, und aus dem Verdacht, dass er sie nicht in allzu guter Erinnerung behält, wird in diesem Moment Gewissheit. Die Tränen steigen in ihm auf. Doch der Stolz behält knapp die Oberhand. Zwei kleine Fehler hat er sich wieder erlaubt. Als erster musste er ans Gerät. Als die Wertung von 15,875 aufleuchtet, weiß er, dass der Traum vom Gold ausgeträumt ist und sehr wahrscheinlich auch der von der Medaille.
"Die ganze Zeit an Gold gedacht"
Wieder war es nichts mit der perfekten Übung. Hambüchen kauert auf seinem Stuhl, während die Konkurrenz vor seinem Auge den Sieg unter sich austurnt. Sein Vater und Trainer Wolfgang sitzt daneben wie ein treuer Bernadiener, der sein Herrchen aufrichten will, nur nicht weiß, wie. Er bewegt sich erst mal nicht. Der Junior will in solchen Minuten am liebsten seine Ruhe haben.
Es sieht nicht gut aus für Fabian Hambüchen in diesem Moment. Alles deutet darauf hin, dass er zum großen Verlierer dieser Spiele in der deutschen Mannschaft werden wird. Dann purzelt plötzlich einer nach dem anderen vom Gerät. Als dem Italiener Igor Cassina als Letztem auch noch ein schwerer Fehler unterläuft, steht fest, dass Hambüchen zumindest mit einem Trostpreis die Heimreise antreten wird. Dritter. Es ist doch noch eine Medaille geworden. "Über Bronze habe ich mich erst gar nicht gefreut, ich habe die ganze Zeit an Gold gedacht", sagt er, und doch wird schon in diesem Moment deutlich, welch heilsame Wirkung die Medaille bei der Aufarbeitung der nächsten Tage wohl haben wird.
Sie wird Fabian Hambüchen helfen, mit diesen Olympischen Spielen seinen Frieden zu machen, denn selten ist ein deutscher Sportler in eineinhalb Wochen mit solch beängstigender Konstanz an den ersten drei Plätzen vorbei geflogen wie der kleine Mann aus Wetzlar.
"Er hat gefightet"
Vierter wurde er kurz vor dem Reckfinale am Barren, Vierter am Boden, Vierter mit der Mannschaft. Im Einzelmehrkampf wurde ihm ebenfalls ein kapitaler Bock am Reck zum Verhängnis, als er die Stange nicht zu fassen bekam. Nun also wenigstens Bronze. Hambüchen steht danach in der Mixed Zone,
Journalisten drängen sich ums Gatter, dass man meinen möchte, die Rolling Stones treten gleich auf. Sein Vater Wolfgang ist bereits da. Mit einer Kamera filmt er jeden Journalisten, der ihm eine Frage stellt. Dann filmt er seinen Sohn, wie der Fragen beantwortet. Er will den Moment festhalten, für die Familie daheim. Er wirkt erleichtert. Und er ist stolz auf seinen Sohn, weil der sich nicht gehen gelassen hat, nicht nach all den Tiefschlägen und auch nicht diesmal, als sich bereits frühzeitig Schnitzer in die Übung einschlichen. "Er hat die Ohren nicht hängen gelassen. Er hat gefightet, nachdem er gemerkt hat, dass es nicht optimal läuft", sagt der Vater.
Fabian Hambüchen kramt nach einer Flasche Wasser. Er sieht schon wieder etwas besser aus. Die Medaille baumelt um seinen Hals. Langsam weicht die Enttäuschung. Er klingt schon wieder ein bisschen trotzig: "Ich kann von Glück reden, dass ich noch so jung bin, dass ich in vier Jahren in London noch einmal antreten kann."
Lange hatte es an diesem Dienstag so ausgesehen, als könne Fabian Hambüchen binnen 45 Sekunden diese Olympischen Spiele doch noch zu einem triumphalen Ende bringen. Um 17.15. stand er mit entblößtem Oberkörper in dieser riesigen Halle. Die Kollegen übten bereits für das Finale am Barren, das eine Dreiviertelstunde darauf begann, doch das schien ihn nicht zu interessieren. Hambüchen blickte versonnen in das riesige National Indoor Stadium, das sich langsam zu füllen begann. Nur kurz turnte er sich ein, dann schlurfte er zu seinem Vater. Ein Lächeln umspielte seine Lippen und beinahe schien es, als sei tatsächlich jene wundersame Leichtigkeit über Nacht zurückgekehrt.
Die Medaille wird schöner
Kurz darauf geht er dann ans Gerät, die Backen sind blass, die Augen gerötet, der Atem plötzlich kurz. Er sieht nicht aus wie ein Sieger. Zu viel Zuversicht haben die letzten Tage gekostet. 20 Minuten später umarmt er noch in der Halle jeden einzelnen Turner mehrfach. Er sucht Trost in der Gruppe, selbst wenn die Kollegen doch eigentlich Konkurrenten sind. "Es ist, wie es ist und wie es anscheinend sein sollte", sagt er noch, bevor er die Halle verlässt. Die Medaille hält er fest in der Hand, als er davongeht. Sie wird in den nächsten Stunden mit jeder Minute schöner werden.