Es ist dieser ewige Kampf um Anerkennung, den Robert Harting führt. Dabei hat er doch schon alle Titel. Olympiasieg. Europameister. Weltmeister. Der gebürtige Cottbuser gehört zu den ganz wenigen deutschen Leichtathleten, die das Prädikat "Weltklasse" verdienen. Aber er ist eben "nur" Diskuswerfer. Harting versprüht, anders als zum Beispiel Jahrhundertsprinter Usain Bolt, null Glamour. Er ist ein Arbeiter, ein Koloss: 126 Kilo Muskeln, verteilt auf 2,01 Meter. Wer so einem nachts begegnet, der wechselt wahrscheinlich die Straßenseite. Harting ist ein Brecher. Deftig. Urgewaltig. Nach seinen Siegen zerreißt er sich das Trikot. Im Adrenalinrausch geht es dann mit blanker Brust auf die Ehrenrunde. Das sind seine Momente. Dann gehört ihm die ganze Aufmerksamkeit einer Szene.
Der 28-Jährige inszeniert sich gern. Ganz gezielt. Man könnte auch sagen, er inszeniert seinen Sport. Wohl wissend: Diskuswerfen ist und bleibt eine Randsportart. Harting will das nicht akzeptieren. Und so ist er in diesen Tagen bei der Leichtathletik-WM in Moskau wieder auf Werbetour und trommelt. "Ich rede mir auch ein: Wenn ich nicht Gold hole, stirbt meine Sportart", sagt er. Dann werde der Diskuswurf wieder an den Rand gedrängt und "völlig unter der Elchkuh Fußball" versinken.
Mal wieder im Rampenlicht
Es ist nicht so, dass Harting nur jammert. Er macht sich schon seine Gedanken, wie alles besser werden könnte. Der Olympiasieger hat durchaus den Blick für das große Ganze. "Sprint vor Lauf vor Sprung vor Wurf – das Konzept ist oll, das will so keiner mehr sehen", kritisierte er vor der WM in einem Interview mit der "Welt". "Ich finde auch, die Schnitte im Fernsehen sind einfach nicht schnell genug. Kein Wunder, wenn da verkalkte Regisseure am Werk sind. Wir brauchen neue Perspektiven, mehr und schnelle Informationen, eine andere Inszenierung. Es gibt Möglichkeiten zur Veränderung – aber keine, ohne sich Feinde zu machen." So ist Harting. Am liebsten würde er die TV-Übertragung noch selber organisieren.
Heute Abend um kurz nach 17 Uhr wird der Hüne im Luzhniki-Stadion mal wieder im Rampenlicht stehen. Dann werden, endlich, alle Kameras auf ihn gerichtet sein. Dann beginnt seine kleine Show. Mit nur einem Wurf spazierte der Olympiasieger in Moskau locker durch die Qualifikation. Am Ende soll es, muss es Gold sein. Sein größter Konkurrent kommt aus Polen und heißt Piotr Malachowski. Der beendete vor ein paar Wochen bei einem Meeting im niederländischen Hengelo Hartings unglaubliche Serie von 35 Siegen und 1024 Tagen ohne Niederlage. "Dankenswerterweise vorbei" seien nun die Diskussionen und Schlagzeilen um seine Serie, sagte Harting damals und dass er auch "ein bisschen froh" darüber sei. Das war im Juni. Jetzt ist Mitte August. Und Silber wäre ... siehe oben.
Lieblingsthema Doping
Robert Harting braucht dieses Gold auch deshalb so sehr, um wieder als Mahner aufzutreten. Auch das macht er gern nach großen Siegen. Sportfunktionäre schlucken regelmäßig, wenn er mal wieder ausspricht, was er selbst als wahr empfindet. Unprofessionalität im Verband macht Robert Harting bis heute aus, und er wird sie auch als Goldmedaillengewinner wieder benennen. Man darf gespannt sein, worum es dieses Mal noch geht - wenn denn der große Wurf gelingt.
Über den Schwulen-Hass in Russland wohl eher nicht, dann schon eher über Doping. Eines von Hartings Lieblingsthemen. In Moskau will er sich die anderen Athleten noch etwas genauer anschauen, ob sie äußere Anzeichen haben, die auf mögliches Doping hinweisen. "An der Haut und an starker Akne kann man schon ablesen, was ich den Körper alles so an Stoffen zuführe", sagte er dem "Focus". Die Crux sei, dass diese verdächtigen Athleten dennoch an den Start gehen, weil es keine gleichwertigen Anti-Doping-Programme auf der Welt gebe. "Umso mehr fordere ich mindestens eine 5-Jahres-Sperre, die wirklich abschreckend wirken würde." Rumms, das saß.
Ein schmaler Grat
Am Rande der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin sorgte Harting für einen Eklat. Da ging es auch um Doping. "Wenn der Diskus auf dem Rasen aufspringt, soll er gleich gegen eine der Brillen springen, die die Doping-Opfer hier verteilt haben. Aber ich bin kein Mörder, ich will nur, dass sie wirklich nichts mehr sehen", pöbelte er damals in der Mixed Zone des Olympiastadions. Harting spielte mit seinen idiotischen Äußerungen auf die Aktion des Dopingopfer-Hilfe-Vereins ( DOHV ) an, der während der WM 20.000 Papp-Brillen verteilen ließ, um auf den weiter stattfindenden Missbrauch verbotener Mittel aufmerksam zu machen. Mit Sarkasmus reagierte damals Doping-Jäger Werner Franke: "Den muss ein Insekt gestochen haben. Er gebärdet sich ja wie ein Gorilla, der sich an die Brust tippt", so Franke.
So ist das immer mit Robert Harting. Es ist ein ganz schmaler Grat, auf dem sich dieser unbequeme, aber eben auch oftmals ungeschickte Weltklasse-Athlet bewegt. Heute so, morgen so – auch beim Thema Doping. "Ich unterschätze manchmal die Kraft meiner Worte", hat er mal gesagt. Das Dumme daran: Er lernt nicht. Seine Sätze wirken auch jetzt in Moskau oft großmäulig und stumpf. Jüngstes Beispiel: Angst, dass er nach der erfolgreichen WM-Titelverteidigung beim rituellen Zerfetzen seines Nationaltrikots Probleme haben könnte, hat er nicht. "Soll das ein Witz sein? Wenn ich mit beiden Händen am Shirt ziehe, wird eine Kraft von 120 Kilo frei", sagt Harting. "Das hält kein Stoff der Welt aus. Da müsste man mir schon einen Teppich oder Ketten umlegen." An die Kette legen, wäre bei Harting manchmal auch nicht schlecht.