Horror-Sturz "Jedem Rennfahrer ist das Risiko bewusst"

Florian Frisee gehört zum Ärzte-Pool des Österreichischen Skiverbandes. Der Mediziner war nach dem Sturz von Matthias Lanzinger als Erster am Unfallort. stern.de sprach mit dem Chirurgen über die Minuten nach dem Horror-Crash, Gefahren der Hochrisikosportart Ski Alpin und Verantwortung von Funktionären.

Wie geht es Matthias Lanzinger? Was wissen Sie über seinen Gesundheitszustand?

Ich bin ja selber nicht mehr vor Ort in Oslo, aber meine Kollegen dort haben mich Mittwochfrüh darüber informiert, dass es Matthias Lanzinger den Umständen entsprechend gut geht. Sein Kreislauf ist stabil, er hat die Amputation gut überstanden und wird in den nächsten Tagen nach Salzburg überführt.

Der Unfall passierte kurz vor dem Ziel. Sie waren oben am Start postiert und trotzdem der erste Mediziner am Unfallort. Wie erklären Sie sich das?

Ich habe dafür auch keine Erklärung und war selber überrascht, dass ich trotz des langen Weges der Erste am Ort des Geschehens war. Mit einem Notfallrucksack fuhr ich nach dem Startstopp die eisige Piste herunter.

Haben Sie sofort realisiert, was los ist? Stichwort: Schwere der Verletzung

Ja, das konnte ich sofort erkennen. Es war ein offener Bruch, und das Bein hat stark geblutet. Dazu die schweren Abschürfungen im Gesicht von Matthias Lanzinger. Ich habe den Sturz ja erst hinterher im Fernsehen gesehen, aber auch so wusste ich sofort, dass es etwas Schlimmeres sein muss.

Zur Person

Florian Frisee (37) ist Unfallchirurg im Lorenz Böhler Krankenhaus und Leiter der Arthros Praxisgemeinschaft in Döbling. Frisee arbeitet zudem für den ÖSV und den Fußballklub Vienna.

Der Abtransport folgte dann in einem Privathubschrauber, nicht in einem Rettungshubschrauber, wie es sonst im alpinen Ski-Weltcup bei Unfällen üblich ist. Um es mal vorsichtig zu formulieren... hätte der Einsatz eines Rettungshelikopters eine Amputation des Beines verhindern können?

Das ist ganz schwer zu beantworten. Das ist eine Hypothese. Wenn einer stürzt wie Lanzinger und ein enormes Rotationsmoment durch die Gewalt von 2,15 Meter langen Skiern auftritt, auch weil sich die Bindung nicht geöffnet hat, dann ist der Ausgang immer fraglich. Nur das kann ich mit Sicherheit sagen.

Wie wichtig ist der Zeitfaktor bei einer derartig schweren Verletzung?

Der Zeitfaktor ist bei Gefäßverletzungen ein Wegbereiter. Je länger ein Bein nicht durchblutet ist, desto größer wird der Schaden. Jedes Gewebe hat eine 'Überlebenstoleranz', die liegt bei ungefähr sechs Stunden. Danach wird es kritisch. Wir sind zunächst nach Lillehammer ins Krankenhaus geflogen, danach musste ich feststellen, dass das Spital für diese schwere Gefäßverletzung nicht ausreichend eingerichtet war. Also flogen wir nach Oslo. Das hat alles weniger als sechs Stunden gedauert.

Es scheint so, als würde der alpine Skisport immer gefährlicher werden. Stimmt das? Diese Saison gibt es eine Reihe von schlimmen Verletzungen...

Jedem Rennfahrer ist das Risiko bewusst. Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Müssen die Funktionäre beispielsweise bei zu eisigen Pisten nicht auch mal ein Rennen absagen? Oder ist der Druck der Sponsoren und des Fernsehens dafür einfach zu groß. Das ist doch fatal...

Fakt ist, dass die Funktionäre entscheiden müssen. Sie sind es, die die Verantwortung tragen.

Das Interview führte Klaus Bellstedt

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