Sie kämpfen um jeden Zentimeter und jede Bonussekunde und bereiten den Fans in Frankreich und vor den Bildschirmen viel Freude: Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar. Vorjahressieger Vingegaard und der zweifache Sieger Pogacar (2020 und 2021) galten bereits vor dem Start der diesjährigen Tour de France als die haushohen Favoriten, doch der packende Kampf, den beide Fahrer sich liefern, zieht die Fans in den Bann. Es ist ein Kampf um jeden Meter und ein Duell, das die Radsportwelt noch in den kommenden Jahren faszinieren wird. Zehn Sekunden nur trennen den 26 Jahre alten Dänen von seinem zwei Jahre jüngeren Kontrahenten aus Slowenien, bei der Etappe am Samstag war Vingegaard dank der Zeitbonifikation am letzten Berg der große Triumphator und baute seinen Vorsprung um eine Sekunde aus.
Ein Triumph am Col de Joux Plane, der 500 Meter vor dem Gipfel so nicht abzusehen war. Als Pogacar attackierte, hatte Vingegaard Mühe, das Hinterrad des Slowenen zu halten. Musste er auch nicht, denn nach wenigen Metern war die Attacke bereits vorbei. Zwei vorausfahrende Begleitmotorräder blockierten die Straße, Pogacar musste seinen Angriff abbrechen und ließ wichtige Körner im kurz darauffolgenden Bergsprint liegen, den Vingegaard gewann. "Ich habe alles reingelegt, dann bewegten sich die Motorräder nicht. Ich habe da eine Patrone verschwendet". ärgerte sich Pogacar im Ziel.
Tour de France: Kritik an überfüllten Straßen
Grischa Niermann, sportlicher Leiter bei Vingegaards Team Jumbo-Visma, forderte die Tour-Organisation auf, zukünftig vorausschauender zu agieren. "Es ist supertoll, dass so viele Zuschauer an der Strecke sind, aber die letzten beiden Tage war es sehr haarig, weil es so eng und so schmal wurde, dass selbst die Begleitfahrzeuge nicht mehr durchkommen konnten. Dann stehen die Autos und Motorräder im Weg, und das ist wirklich gefährlich für die Rennfahrer", sagte Niermann in der "Sportschau". Auf lange Sicht müsse sich die Organisation überlegen, vielleicht auch auf längerer Strecke Absperrgitter aufzustellen. "Man muss dafür sorgen, dass die Rennfahrer noch ein bisschen Strecke frei haben, um ihren Kampf auszutragen." Dem pflichtete der deutsche Zeitfahrmeister Nils Politt vom Team Bora-hansgrohe bei, der monierte, dass es bei der Tour immer enger zugehe. "Das ist schon extrem teilweise", sagte Politt. "Irgendwie sollte man das schon einschränken", die Fahrer müssten freie Fahrt haben.
Wie das Duell zwischen Pogacar und Vingegaard ausgeht, vermag selbst keiner der Profis endgültig vorherzusagen. Einzig auf der fünften Etappe zeigte Pogacar bislang eine Schwächephase, verlor eine Minute auf Vingegaard, der seinerseits zuletzt immer mal wieder wenige Sekunden auf Pogacar einbüßte. Ein Einzelzeitfahren sowie drei Etappen im Hochgebirge stehen unter anderem noch an – auch am Sonntag wartet mit der Etappe nach St. Gervais Mont-Blanc ein anspruchsvoller Schlussanstieg auf die 158 verbliebenen Fahrer im Feld.
Ein brutaler Massensturz und Vingegaards harter Kampf am Berg gegen Pogacar – so spektakulär lief die 14. Etappe

Nicht mit dabei sein werden die beiden Motorräder, die am Samstag Einfluss auf den Bergsprint nahmen: Sowohl die beiden Motorradfahrer als auch der Kameramann und der Fotograf dürfen nicht an der 15. Etappe am Sonntag nach Saint-Gervais teilnehmen. Zudem wurden beide Crews mit einer Geldstrafe von 500 Schweizer Franken (rund 515 Euro) belegt. Laut Reglement sind insbesondere Motorradfahrer angehalten, immer genügend Abstand zu den Fahrern zu halten.
Es könnte, wenn sich Pogacar und Vingegaard weiter ohne Schwächephasen duellieren, die spannendste Tour de France in der Geschichte werden. 1989 siegte Greg LeMond mit acht Sekunden Vorsprung vor Laurent Fignon, jedoch mit einem Unterschied zur aktuellen Tour de France. LeMond streifte sich erst auf der letzten Etappe das gelbe Trikot des Gesamtführenden über – er nahm Fignon im Einzelzeitfahren, das auf der Champs Élysées endete, fast eine Minute ab. Während der kompletten Tour trennten beide Fahrer nie mehr als eine Minute. Auch 2006 beim Sieg von Oscar Pereiro (mit 32 Sekunden Vorsprung) sowie 2007 beim Triumph von Alberto Contador (23 Sekunden) ging es äußerst knapp zu – beide Touren wurden aber von massenhaften Dopingskandalen überschattet, 2006 stiegen ARD und ZDF in Folge der Skandale sogar aus der Übertragung aus. Der Verdacht fährt auch weiterhin bei der Tour mit – selbst wenn es den letzten Dopingfall vor acht Jahren gab.