Mission Kanzleramt Wie Friedrich Merz die Ablösung von Olaf Scholz plant

Friedrich Merz greift nach der Kanzlerkandidatur – und niemanden in seiner Partei regt das noch auf. Über einen Mann, der einfach alle ausgesessen hat.
Portrait Friedrich Merz
Das Kanzleramt im Blick: Der Sauerländer gilt in der CDU plötzlich als unangefochten
© Dominik Butzmann / Getty Images

Stadthalle Hannover, ein Besprechungsraum im ersten Stock. Ein später Nachmittag vergangene Woche. Im Erdgeschoss drängen sich Hunderte CDU-Mitglieder um die besten Plätze für die Regionalkonferenz ihrer Partei. Hier oben sitzt Friedrich Merz allein an einem ovalen Holztisch. Kaffee, Nüsse, Schokoriegel, greifen Sie zu.

Der Parteivorsitzende hat das Sakko abgelegt, ein bisschen telefoniert, seine Rede überflogen. Er wirkt entspannt. "Herr Merz, wir glauben, dass Sie so gut wie sicher Kanzlerkandidat der Union werden." Er lächelt. "Wir möchten Ihnen die Gelegenheit geben zu widersprechen." Merz lehnt sich zurück und verschränkt die Hände. "Vielleicht wollen Sie ja gar nicht Kanzlerkandidat werden." Er lacht laut auf.

Dann sagt er: nichts.

Natürlich will er. Friedrich Merz, heute 68, ist 2018 in die Politik zurückgekehrt, um Bundeskanzler zu werden. Er hat sein Comeback mal "eine Abfolge von Zufällen" genannt. Aber es war eine Mission.

Merz hatte die Politik aufgegeben. Ausgebootet, unvollendet, gekränkt. Er hat einige Jahre lang ordentlich Geld verdient. Dann kam er zurück, als Angela Merkel ihren Abgang einleitete. Er nahm drei Anläufe auf den CDU-Vorsitz und zog den Fraktionsvorsitz im Bundestag an sich. Diese Ämter hat noch nie jemand in der Union um ihrer selbst willen erobert. In einer Partei, zu deren genetischem Selbstverständnis das Regieren gehört, sind sie die letzten Stufen auf dem Weg ins Kanzleramt.

Dieser Tage bringt er ein neues Grundsatzprogramm ins Ziel. Eine Partei, von der es immer hieß, sie sei nicht groß an Programmen interessiert, leistet seit Monaten mühevolle Sacharbeit. Und ein Mann, dessen Ego so breit ist wie er selbst lang, führt dieses Teamwork an. Welche Ironie.

Aber glaubt irgendjemand, Friedrich Merz habe aus purer Verbundenheit mit der Partei und aus Liebe zu Sachdebatten die zerrüttete CDU wieder aufbauen wollen – nur um dann einem anderen die Kanzlerkandidatur zu überlassen? Noch dazu, wo die amtierende Bundesregierung politisch so gut wie erledigt wirkt?

Merz wirkt, als habe er ein Achtsamkeitscoaching hinter sich

Was Merz interessiert, ist die Macht. Und noch nie in all den Jahren war er ihr so nah wie jetzt. Es ist die Chance seines Lebens.

Erschienen in stern 11/2024