Babyboom und Bevölkerungswachstum statt Geburtendefizit und Einwohnerrückgang: Frankreich hat bei der demographischen Entwicklung einen anderen Weg eingeschlagen als Deutschland. Seit 1980 nahm die Zahl der Einwohner um fast neun Millionen auf 62,7 Millionen zu, was zu einem großen Teil auf einen Geburtenüberschuss zurückzuführen ist. 2005 wurden in Frankreich 807.000 Kinder geboren, über 100.000 mehr als beim großen Nachbarn im Osten. Müssen sich die Franzosen deshalb weniger Sorgen um ihre Renten machen? Keinesfalls, sagt Wolfgang Neumann vom Deutsch-Französischen Institut.
Die Zahl der Senioren steigt
"Mittelfristig ist der demographische Druck auf die Sozialsysteme vergleichbar." Denn wie in Deutschland wächst mit der steigenden Lebenserwartung der Anteil der alten Menschen - waren 1950 noch 3,8 Prozent der Gesamtbevölkerung über 75 Jahre alt, sind es derzeit schon 8,2 Prozent. Des weiteren sieht es auf dem Arbeitsmarkt auch in Frankreich nicht rosig aus. Das Verhältnis der Erwerbstätigen zu den Rentenbeziehern liege deshalb mit etwa 1,4 zu 1 kaum besser als in Deutschland, und daran werde sich in den nächsten zehn Jahren nichts Grundlegendes ändern, sagt Neumann.
Nicht nur die Probleme, auch die Rezepte ähneln sich: Die französische Regierung beschloss vor drei Jahren eine behutsame Rentenreform, die längere Beitragszeiten vorsieht. Weitere Einschnitte sind vorprogrammiert. Doch ist die langfristige demographische Entwicklung der "Grande Nation" beeindruckend. Zwölf Millionen Babys brauche Frankreich in den nächsten zehn Jahren, forderte am Ende des Zweiten Weltkriegs Charles de Gaulle, damals Chef der Übergangsregierung. Zuvor hatte die Einwohnerzahl fast 100 Jahre lang bei etwa 40 Millionen stagniert. Im französischen Wirtschaftswunder ("Trente Glorieuses", die 30 ruhmreichen Jahre) schnellte die Einwohnerzahl trotz Pillenknicks bis Anfang der 70er Jahre von 40 Millionen auf mehr als 50 Millionen.
Geburtenrate in europäischer Spitzengruppe
Heute liegt Frankreich mit einer Geburtenrate von 1,94 in der europäischen Spitzengruppe. 2005 übertraf die Zahl der Geburten die der Sterbefälle um 270.000, noch einmal 100.000 neue Einwohner kamen durch Zuwanderung hinzu. Der Babyboom gründet auf zwei Pfeilern: Ein in vieler Hinsicht beispielhaftes Angebot der Kinderbetreuung - so gehen fast alle kleinen Franzosen mit drei Jahren in die kostenlose Vorschule - stellt die Frauen nicht vor die Alternative Kind oder Karriere. Die Erwerbstätigkeitsquote von Frauen mit zwei Kindern über drei Jahren lag 2004 bei 84 Prozent. "Es ist relativ unproblematisch für die französischen Frauen, das Berufsleben auf der einen und das Privat- und Familienleben auf der anderen Seite zu vereinbaren", kommentierte der Direktor des nationalen Statistikamts Insee, Jean-Michel Charpin, die Zahlen.
Dazu trägt auch das gesellschaftliche Klima bei: Keine Frau muss sich kritische Fragen anhören, wenn sie nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten geht. Im Französischen gibt es keine Entsprechung zur deutschen "Rabenmutter". Zudem lässt sich der Staat die Familienförderung etwas kosten, einer groben Schätzung zufolge 100 Milliarden Euro jährlich an direkten und indirekten Leistungen. Und so gehören Kinder heute einfach zum Alltag. Das europäische Statistikamt Eurostat prognostiziert, dass Frankreich im Jahr 2050 etwa 66 Millionen Einwohner haben dürfte. Das wären nur neun Millionen Menschen weniger als Deutschland. Derzeit beträgt die Differenz noch 20 Millionen.