Selten kam eine Gehaltserhöhung so gelegen. Angesichts steigender Preise für Energie und Lebensmittel können sich viele Geringverdiener zum 1. Oktober zumindest über etwas mehr Geld auf der Einnahmeseite freuen. Dann steigt der gesetzliche Mindestlohn von 10,45 Euro auf 12 Euro die Stunde. Die Erhöhung ist lange geplant, passt aber zum Beginn der Heizsaison besonders gut.
Deutlich mehr als sechs Millionen Beschäftigte profitieren von der Mindestlohnerhöhung, hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung errechnet. Genaugenommen sind es 6,64 Millionen Menschen, die mehr Geld bekommen. Darunter sind 2,55 Millionen Vollzeitbeschäftigte, 1,81 Millionen Teilzeitbeschäftigte und 2,29 Millionen Minijobber.
Insgesamt profitieren laut WSI rund 18 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland, die Anspruch auf Mindestlohn haben – ausgenommen sind Auszubildende und Schüler in Minijobs. In den ostdeutschen Bundesländern profitieren sogar 29 Prozent von der Anhebung. "Die Mindestlohnerhöhung trägt regional breit gefächert zur Stabilisierung der Kaufkraft bei", sagt WSI-Forscher Toralf Pusch.
Mehr Geld in Verkaufs- und Lieferjobs
Eine Verbesserung bringt der Mindestlohnschritt vor allem in einigen besonders schlecht bezahlten Bereichen. Laut der Arbeitgeber-Bewertungsplattform Kununu können sich in manchen Berufsgruppen 40 bis 70 Prozent aller Beschäftigten über mehr Geld freuen, weil sie bislang bei unter 12 Euro die Stunde lagen. Dabei handelt es sich vor allem um einfache Verkaufs- und Lieferjobs, wie die Auswertung von 25.000 Gehaltsdaten ergab, die auf Kununu abgegeben wurden.
Demnach verdienen 69 Prozent der Bäckerei- und Konditorei-Verkäufer:innen unter dem neuen Mindestlohn. Auch auf 46 Prozent der Raumpfleger:innen trifft dies zu. Zudem profitieren viele Kassierer:innen (42 Prozent), Auslieferer (41 Prozent) und Fahrer:innen (37 Prozent). Bei Lagerist:innen sind es rund 19 Prozent. In der Auswertung wurden Gehaltsdaten berücksichtigt, die bis Juni auf Kununu abgegeben wurden.
Um den Geldbeutel dieser Beschäftigten zu entlasten, muss der neue Mindestlohn aber auch tatsächlich bei ihnen ankommen. So beklagt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) "Mindestlohnbetrügereien" quer durch alle Branchen, und fordert mehr Kontrollen und Sanktionen, um ein Unterlaufen zu ahnden. Zudem betont der DGB, dass trotz Mindestlohnerhöhung Armut für viele Menschen Realität bleibe. "Der Mindestlohn ist immer nur die untere Haltelinie und Anstandsgrenze", sagt DGB-Vorstand Stefan Körzell. Für echte Teilhabe reiche er nicht.