Sozialhilfe Kein Geld für die "Pille"

In vielen Städten gibt es für Sozialhilfeempfänger keine "Hilfe zur Familienplanung" mehr. Da aber zehn Euro im Monat für manche Frauen zu viel sind, könnte es zu mehr ungewollten Schwangerschaften kommen.

Zehn Euro im Monat für die Pille - das ist für manche Sozialhilfeempfängerin zu viel. Bis Ende 2003 übernahmen die Sozialämter die Kosten für Verhütungsmittel. Damit ist seit dem 1. Januar vielerorts Schluss.

Können sich Verhütung nicht leisten

An diesem Tag trat das Gesundheitsmodernisierungsgesetz in Kraft, das auch Änderungen im Sozialhilferecht beinhaltet. "Wir befürchten, dass sich viele Sozialhilfeempfänger die Verhütung nicht mehr leisten können und es deshalb in Zukunft vermehrt zu ungewollten Schwangerschaften kommt", sagt Sören Bangert von der Organisation Pro Familia in Köln.

"Bis zu diesem Zeitpunkt hat das Sozialhilferecht immer ausgeglichen, wenn die Krankenkassen Verhütungsmittel wie Pille oder Spirale nicht mehr gezahlt haben", erklärt Rechtsanwältin Birgit Werner aus Münster. "Hilfe zur Familienplanung" nannte sich das, denn nur junge Frauen bis 21 Jahre bekommen ihre Verhütung von der Krankenkasse finanziert. Für ältere Sozialhilfeempfängerinnen übernahmen die zuständigen Sozialämter die Kosten - eine Unterstützung, die in vielen Städten und Kommunen nun wegfällt.

Wie zum Beispiel in Köln, Erfurt, Leipzig oder Chemnitz: Hier müssen Sozialhilfeempfängerinnen die Pille von ihrem Sozialhilfe-Regelsatz selbst zahlen. Dieser Regelsatz liegt im Schnitt zwischen 282 und 296 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt. "Wir gewähren keine Hilfen, weil es dafür im Bundessozialhilfegesetz (BSHG) keine Grundlage gibt", bemerkt ein Sprecher der Stadt Chemnitz.

"Pille billiger als Abtreibung"

Nach dem Wortlaut des Gesetzes dürfe es keine Besserstellung von Sozialhilfeempfängern gegenüber den gesetzlich oder freiwillig Versicherten geben, heißt es in Leipzig. Und auch die Stadt Mainz übernimmt die Kosten für Verhütung nur noch in Ausnahmefällen, nämlich dann, wenn eine Frau durch eine Schwangerschaft gesundheitlich gefährdet ist. "Aber das ist nur sehr selten der Fall", sagt Pressesprecherin Ellen König.

In anderen Städten wie Berlin, Stuttgart, Kiel, Hamburg, Magdeburg oder München kommt weiterhin das Sozialamt für die Kosten auf - freiwillig. "Das ist in jedem Fall billiger als eine Abtreibung, die ja immer noch gezahlt wird", erklärt ein Sprecher der Stadt München. Er beziffert die Kosten für Verhütung, die der Stadt dadurch entstehen, auf rund 130.000 Euro pro Jahr.

Entscheidungsfreiheit weiter gewährleisten

Auch in Essen hat sich der Sozialausschuss dafür ausgesprochen, dass die Verhütung weiter gezahlt wird. "Wenn wir nicht zahlen, würden wir die 'Hilfe für Familienplanung' verhindern", sagt Ralf Steiner, Leiter des Sozialamtes. "Wir wollen diese Entscheidungsfreiheit für Sozialhilfeempfänger aber weiterhin gewährleisten." Steiner rechnet für 2004 mit Kosten zwischen 50.000 und 80.000 Euro.

"Juristisch gesehen sind beide Positionen vertretbar", sagt Rechtsanwältin Werner. "Das BSHG wurde so geändert, dass die Kommunen die rechtliche Freiheit haben, das Gesetz so auszulegen, wie sie möchten." Wer nicht zahlt, sei also im Recht. Wer zahlt, sei es auch - er müsse nur sehen, wie er die notwendigen finanziellen Mittel aufbringt.

Mehr ungewollte Schwangerschaften?

Werner befürchtet, dass die Zahl ungewollter Schwangerschaften zunimmt. "Ich gehe davon aus, dass sich viele junge Frauen die Pille nicht mehr leisten können", sagt die Anwältin. Eine Tendenz zu häufigeren Schwangerschaftsabbrüchen sei daher ebenfalls zu befürchten. "Es ist für mich absolut unverständlich, dass Abtreibungen weiterhin von den Krankenkassen gezahlt werden, nicht aber die Verhütung."

Bei Pro Familia in Köln gab es bereits einzelne solcher Fälle. "Eine Frau hat in der Konfliktberatung gesagt, sie sei schwanger geworden, weil sie kein Geld für die Pille hatte", berichtet Bangert. "Große Auswirkungen" seien bisher aber noch nicht festzustellen, auch konkrete Zahlen über die bundesweite Tendenz liegen den Beratern nicht vor. "Wir werden die Entwicklung aber ganz genau im Auge behalten."

AP · DPA
Anne Eckert, AP