Feierabend ade Psychologen warnen vor zu langer Arbeitszeit

Die Arbeitszeit soll nach dem Willen mancher Reformer länger, der Ladenschluss später werden. Verloren geht dabei der Feierabend als gesellschaftliche Institution - und damit ein Stück sozialer Kitt.

"Feierabend", sang Peter Alexander einst, "das Wort macht jeden munter! Feierabend", jubelte er, "das geht wie Honig runter!" Seither ist der Ton schärfer geworden am hart umkämpften Standort Deutschland. Jetzt soll die Arbeitszeit nach dem Willen mancher Reformer länger, der Ladenschluss später werden. Die Aufgabe gemütlicher Rituale ist nach Einschätzung von Wissenschaftlern unaufhaltsam. Verloren geht dabei auch der Feierabend als gesellschaftliche Institution - und damit ein Stück sozialer Kitt.

Seit Anfang Mai können die Länder länger arbeiten lassen, Bayern und Baden-Württemberg verordneten daraufhin prompt bei Neueinstellungen 42 bzw. 41 Stunden. Gleichzeitig will Siemens-Chef Heinrich von Pierer der Belegschaft längeres Arbeiten abringen; weitere Firmen könnten folgen. Psychologen warnen aber vor ihrer Meinung nach zu einfachen Rezepten im Kampf um die deutsche Wettbewerbsfähigkeit.

Das Risiko eines Arbeitsunfalls steigt nach der siebten Stunde exponentiell an

"Wenn man die Arbeitszeit ausdehnt, erhöht sich die Leistung keineswegs in gleichem Maße mit", sagt der Oldenburger Professor Friedhelm Nachreiner. "Tätigkeiten und Leistungen, die sich über sechs Stunden ohne Beeinträchtigungen durchhalten lassen, lassen sich nicht zwangsläufig auch über acht oder mehr Stunden beeinträchtigungsfrei durchhalten", sagt der Arbeitspsychologe. Oft sinke die Leistung sogar insgesamt messbar. Das Risiko eines Arbeitsunfalls steige nach der siebten Stunde zudem exponentiell an.

Produktion rund um die Uhr, anspruchsvolle Kunden und internationale Partner machen jedoch nicht nur längere, sondern auch immer flexiblere Arbeitszeit nötig. Klassiker wie der Job von neun bis fünf Uhr werden zur Ausnahme - nicht immer zum Wohl der Mitarbeiter, wie Psychologe Nachreiner meint: "Wir sind rhythmisch strukturierte Wesen", mahnt er.

"Wenn ich von vornherein weiß: Ich kann nach Feierabend meine Leute treffen, verabrede ich mich auch mit ihnen." Allzu große Variabilität bedrohe den sozialen Kontakt und die Zufriedenheit der Menschen, sagt Nachreiner. "Das kann sich unsere Gesellschaft im Grunde gar nicht leisten."

Der gemeinsame Feierabend passt nicht mehr auf die individuellen Bedürfnisse

Vielen Menschen kommt die Auflösung starrer Zeitschranken jedoch auch entgegen. "Die Sehnsucht nach Vielfalt ist groß", sagt der Münchner Sozialpsychologe Dieter Frey. "Einige wollen gerne spät am Abend oder am Wochenende arbeiten: Der gemeinsame Feierabend passt nicht mehr auf die individuellen Bedürfnisse."

Der Tübinger Kulturwissenschaftler Gottfried Korff hat den Feierabend als deutsches Phänomen untersucht. "Ähnlich wie eine 'Werkbank' oder der Ausspruch 'Mahlzeit' hat der Begriff 'Feierabend' keine sozialpolitische Relevanz mehr, weil sich die Zeit völlig ausdifferenziert hat", sagt er. Mütter mit Kindern, aber auch Menschen mit besonderen Freizeitleidenschaften oder mit Aufgaben als pflegende Angehörige wünschen Alternativen zu den Standardzeiten. Auch die Gewohnheit vieler Ostdeutscher, den Feierabend für Arbeit an Haus und Datsche zu nutzen, ist seit dem Untergang der DDR Geschichte.

In rund 80 Prozent der Fälle sind Arbeitszeiten fremdbestimmt

Die meisten Firmen aber haben "zu wenig Fantasie entwickelt", wenn es gilt, die gewandelten Bedürfnisse der Arbeitnehmer mit denen der Unternehmen in Einklang zu bringen, meint der Sozialpsychologe Frey. "In rund 80 Prozent der Fälle sind die Arbeitszeiten fremdbestimmt", kritisiert der Professor. "In vielen Firmen fehlen breite Zeitkorridore, aber wenn sich vor allem das Individuum anzupassen hat, ist das ein Motivationskiller."

Steigender Druck im Windschatten der Globalisierung lässt die Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen wieder zunehmen. "Alte Begriffe, die abgetan und abgegriffen wurden, wirken jetzt wieder aktuell und brisant, ob das nun 'Feierabend' ist oder auch 'Heimat'", sagt Kulturwissenschaftler Korff. "In denen schwingt etwas mit, was den Menschen gefällt."

Basil Wegener, dpa

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