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F. Behrendt: Der Guru der Gelassenheit Am 8. Mai gibt es lebenslang etwas zu feiern

Richard von Weizsäcker
Richard von Weizsäcker bei seiner Rede am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag
© Picture Alliance
Vor ein paar Wochen wäre unserer früherer Bundespräsident Richard von Weizsäcker 100 Jahre alt geworden. Vor genau 35 Jahren hielt er im Bundestag eine vielbeachtete Rede zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa. Ich weiß noch genau, wo ich die Rede gehört habe: Denn an diesem Tag feierten wir den 20. Geburtstag meines "kleinen" Bruders.

Mein Vater, der den 2. Weltkrieg als Junge miterlebt hatte und sein ganzes späteres Leben jede Form von Gewalt verabscheute, hatte uns früh dafür begeistert, Debatten im Bundestag zu verfolgen. Wir sollten ein Gefühl für gute Redner/innen entwickeln und von den besten lernen. Also lauschten wir politischen Granden wie Herbert Wehner, Willy Brandt oder den beiden Helmuts: Schmidt & Kohl.

Mein Vater kommentierte die Auftritte, später diskutierten wir darüber. Politische Bildung vom feinsten. Richard von Weizsäcker gehörte zu den absoluten Lieblingspolitikern meines Vaters. Schon als er regierender Bürgermeister von Berlin war, schwärmte mein Vater von ihm als einem, zu dem man aufschauen konnte, einem echten Vorbild. Dazu kam, dass der smarte Mann unserem Großvater, dem Vater meines Vaters, optisch ähnelte.

Frank Behrendt: Der Guru der Gelassenheit

Frank Behrendt (58) gehört zu den bekanntesten Kommunikationsberatern Deutschlands. Der Absolvent der Deutschen Journalistenschule war Top-Manager in der Musikindustrie, beim Fernsehen und in großen Agenturen. Sein Buch "Liebe dein Leben und NICHT deinen Job" avancierte direkt nach Veröffentlichung zum Wirtschafts-Bestseller. Die Deutsche Public Relations Gesellschaft zeichnete den Mann, der immer gute Laune hat, als "PR-Kopf des Jahres" aus. Weitere Infos: www.frankzdeluxe.de Direkter Dialog: frankzdeluxe@gmail.com

Am 8. Mai 1985 war ich aus München, wo ich an der Deutschen Journalistenschule mein Handwerk lernte, mit einem günstigen Flug der Lufthansa vom Süden in den Norden geflogen. Runde Geburtstage waren und sind bei uns in der Familie immer ein Grund, gemeinsam in der "Bärenburg", wie unser Haus von meinen Eltern genannt wurde, zu feiern. Der aufrecht gehende Bär ist das Wappentier unserer Familie, bei Zusammenkünften wehte eine Fahne mit dem stolzen Tier an der Einfahrt zu unserem Grundstück.

Wir saßen im blühenden Garten, genossen den selbstgebackenen Apfelkuchen meiner Mutter und sprachen über die Rede, die Richard von Weizsäcker im Bundestag gehalten hatte. Ich erinnere mich, dass mein Vater bei der denkwürdigen Ansprache Tränen in den Augen hatte. Oft hat er später noch von der Rede gesprochen und sie ist auch mir bis heute im Gedächtnis geblieben.

Der 8. Mai 1945 steht in vielen internationalen Geschichtsbüchern als der "VE-Day", der "Victory in Europe Day" und bezeichnet damit das Kriegsende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Bei den damaligen Verhandlungen der alliierten Streitkräfte wurde am 7. Mai die bedingungslose Kapitulation der deutschen Armee vereinbart und am späten Abend des 8. Mai im sowjetischen Hauptquartier in Berlin vom Befehlshaber der Deutschen Wehrmacht gegengezeichnet. Der Krieg in Deutschland war vorbei.

Weizsäckers beeindruckende Rede

Mit den Worten: "Es gab keine Stunde Null, aber wir hatten die Chance zu einem Neubeginn. Wir haben sie genutzt, so gut wir konnten. An die Stelle der Unfreiheit haben wir die demokratische Freiheit gesetzt", zog Weizäcker vor 35 Jahren eine Zwischenbilanz der deutschen Nachkriegsgeschichte. In seiner Rede schaute er anschließend aus verschiedenen Blickwinkeln auf den 8. Mai und sprach auch heikle Themen wie die Schuldfrage an.

Von Weizsäcker lehnte eine Kollektivschuld ab: "Schuld ist wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich", sagte er. Er sprach aber von einer "schweren Erbschaft", die unsere Vorfahren den nachkommenden Generationen hinterlassen haben und forderte alle Deutschen dazu auf, die Vergangenheit anzunehmen. Millionen, die ihm damals zuhörten, waren beeindruckt von der Offenheit, mit der er in seiner Rede Ursachen, die zum Krieg, zur Vertreibung von Völkerstämmen und zum geteilten Europa führten, ansprach und Konsequenzen für die Gegenwart daraus zog. So hatte sich bislang kein deutsches Staatsoberhaupt zu diesem schwierigen Thema zu Wort gemeldet. Unser damaliger Bundespräsident beendete seine Ansprache mit den Worten, die vielen Menschen in aller Welt damals eine Gänsehaut bescherten und zu einem Statement für die Ewigkeit wurden:

"Hitler hat stets damit gearbeitet, Vorurteile, Feindschaften und Hass zu schüren. Die Bitte an die jungen Menschen lautet: Lassen Sie sich nicht hineintreiben in Feindschaft und Hass gegen andere Menschen. Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander. Lassen Sie auch uns als demokratisch gewählte Politiker dies immer wieder beherzigen und ein Beispiel geben. Ehren wir die Freiheit. Arbeiten wir für den Frieden. Halten wir uns an das Recht. Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit. Schauen wir am heutigen 8. Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge."

Die Rede stieß im In- und Ausland auf große Resonanz, besonders in Israel sorgte sie für Aufsehen: "Eine Sternstunde der deutschen Nachkriegsgeschichte" sei sie gewesen, hieß es dort. Und da nicht nur bei Indianerhäuptlingen auf große Worte Taten folgen sollten, ebnete die Rede den Weg für den ersten Staatsbesuch eines deutschen Bundespräsidenten in Israel im Oktober 1985. Für meinen Bruder habe ich eine Vinyl-Langspielplatte mit der Rede und dem Original-Autogramm von Richard von Weizsäcker auf Ebay ersteigert. Er wird sie an seinem Geburtstag in unserem Elternhaus hören, auf der alten Stereo-Anlage meines Vaters, die unverändert im Wohnzimmer neben seinem früheren Lieblingssessel steht.

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