Lohnforderungen der IG Metall Warum mehr Geld jetzt sinnvoll ist

Die Menschen in Deutschland haben Angst vor einer Wirtschaftskrise. Nur die 2,3 Millionen Mitglieder der IG Metall nicht. Die fordern acht Prozent mehr Lohn, als ginge sie die Krise überhaupt nichts an. Tatsächlich gibt es in den meisten Betrieben Arbeit ohne Ende.

Was sind das für Schlagzeilen: Der Dax schmiert ab. Bei BMW stehen eine Woche lang die Bänder still. Im Maschinenbau gehen die Aufträge zurück. Egal. Die IG Metall organisiert Tausende von Warnstreiks und droht bereits mit einem richtigen Arbeitskampf, falls die Arbeitgeber ihr Angebot von 2,1 Prozent mehr Lohn plus Einmallzahlungen bis zum 11. November nicht deutlich verbessern. Es ist, als hätten die Metaller den Erzengel Gabriel persönlich getroffen, der da ruft: "Fürchtet euch nicht".

Für ihren Starrsinn müssen sie sich eine Menge Kritik anhören. Unverantwortlich sei die Forderung nach acht Prozent, maßlos, unvernünftig, egoistisch, kritisieren Arbeitgeber und viele Ökonomen. Aber die Sache ist komplizierter. Denn nicht die IG Metall ist verrückt geworden, sondern die Welt, in der sie leben. Fünf Jahre lang jagte in der Metall- und Elektroindustrie ein Rekord den nächsten: das stärkste Wachstum seit den 60er Jahren, die höchsten Umsatzrenditen, die meisten neuen Arbeitsplätze, die wenigsten Pleiten. Eine ganze Branche befand sich im konjunkturellem Ausnahmezustand. Deshalb sind die Erwartungen der Metaller an die jetzige Tarifrunde so hoch. Deshalb ist sie so aufgeladen mit dem Thema Gerechtigkeit und Teilhabe. Die Früchte des Aufschwungs, die in der Tat zu einseitig an die Kapitalbesitzer verteilt worden waren, sollten endlich bei den Arbeitnehmern ankommen.

Die Situation erscheint paradox

Dann krachte die Finanzkrise Mitte September in die beginnenden Tarifverhandlungen hinein und katapultierte die IG Metall in eine paradoxe Situation: Draußen in der Welt knallt es, und tagtäglich erschüttern immer neue Katastrophennachrichten das Vertrauen der Menschen. Aber drinnen in den Betrieben ist es ruhig, von Krediktklemme keine Spur, es gibt Arbeit ohne Ende. Gerade im Maschinenbau, der mit knapp einer Million Arbeitsplätzen noch bedeutender ist als die Autoindustrie, sind die Auftragsbücher gut gefüllt.

Zwar sinken die Aufträge nun - im September in der Industrie um minus acht Prozent. Aber diese Abschwächung spielt sich auf einem extrem hohen Niveau ab. Und auch die Probleme der deutschen Autobauer spielt die IG Metall herunter. Die Schwierigkeiten seien längst bekannt: Überkapazitäten und abenteuerliche Leasingmodelle, mit denen möglichst viele Autos in den Markt gedrückt wurden, aber kein Geld verdient wurde. Mit 1,5 Millionen produzierten Autos erzielte BMW im letzten Jahr einen neuen Rekord. In diesem Jahr werden es 75.000 Autos weniger sein. Das sei kein Grund, so die IG Metall, auf eine kräftige Gehaltserhöhung zu verzichten. BMW und Daimler verdienen immer noch Milliarden. "Ja, acht Prozent gehen zu Lasten der Gewinne. Daraus machen wir gar keinen Hehl", sagt IG-Metall-Chef Berthold Huber.

Die Metaller wissen, dass ihre Betriebe besser gewappnet sind

Fürchtet euch nicht: Die Metaller sind auch deshalb so selbstbewusst, weil sie wissen, dass ihre Betriebe besser gewappnet sind gegen einen Abschwung als noch vor zehn Jahren. Die Unternehmen haben ihre Eigenkapitalquote erhöht, können sich dank flexibler Arbeitszeitmodelle auf Schwankungen in der Produktion einstellen und sind von ihren Kosten her absolut wettbewerbsfähig. Wenn die Nachfrage nachlässt, dann nicht, weil in Deutschland zu teuer produziert wird, sondern weil das Vertrauen weltweit schwindet. Gegen eine solche Vertrauenskrise hilft auch keine Zurückhaltung bei den Löhnen. Eine Lohnerhöhung dagegen schon. Selbst Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sagt: "Ich halte Lohnerhöhungen in der jetzigen Entwicklung nicht nur für vertretbar, sondern auch für richtig."

Doch Tarifrunden sind letztendlich kein Proseminar in Betriebswirtschaft, in dem debattiert wird, was richtig und was falsch ist. Ob man nun Keynes folgen müsse oder Milton Friedman, um die Krise zu lösen. Sieger wird nicht derjenige, der die klügeren Argumente hat, sondern derjenige, der geschickter kämpft. Deshalb spielen die Arbeitgeber auf Zeit, denn je länger die Krise dauert, desto stärker können sie die Gewerkschaft im Preis drücken. Und die IG Metall mobilisiert ihre Leute, denn je intensiver die streiken, desto schmerzhafter ist es für die Arbeitgeber. Keiner weiß im Moment, wer das bessere Blatt auf der Hand hat. Nur so viel ist sicher: Auch am Ende dieser Tarifrunde wird ein Ergebnis stehen, an dem die Welt nicht zugrunde geht. Fürchtet euch nicht.

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