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Arm im Haus der Eltern Single-Parasiten: Das traurige Ende einer Generation, die frei sein wollte

Nach einer unbeschwerten Jugend, droht nun ein Alter in Armut.
Nach einer unbeschwerten Jugend, droht nun ein Alter in Armut.
© MivPiv/Gettyimages
Sie träumten von einem sorgenfreien Dasein. Nun sind sie in den 50ern, wohnen bei ihren alten Eltern und leben von deren Renten. Was wird aus der japanische Generation der Single-Parasiten, wenn die Alten sterben?

In Japan startete der Trend zum ewigen Single-Leben früher als anderswo, entsprechend schneller zeigt sich die Kehrseite des selbstständigen Lebensstils. In der Phase der japanischen Bubble-Economy der 90er-Jahre  - einer schweren Wirtschaftskrise, die das Land erschütterte - entschieden sich viele junge Japaner, aus dem streng vorgegeben Lebensstil der Elterngeneration auszubrechen. Für die Alten war die lebenslange Anstellung in einem Großkonzern die Erfüllung aller Lebensträume, selbst das  Privatleben war größtenteils den Kollegen gewidmet.

Der kurze Traum von Freiheit

Die jugendlichen Ausbrecher strebten ein lockeres Leben an, gleichzeitig vermieden sie schon damals enge, eheähnliche Bindungen. Heute lebt ein guter Teil der jüngeren Japaner ganz ohne Bindung und sogar ohne Sex. Möglich wurde das sorglose Leben, weil die pflichtbewussten Eltern finanziell aushalfen. Typisch ist es, dass die Bohemiens entweder in der Nähe des Elternhauses leben oder sich in einer Art von Einliegerwohnung einrichten.

Belastung des Sozialsystems

Der Regierung macht die Generation der Single-Parasiten große Sorgen. Was passiert mit einer Generation, die Zeit ihres Lebens von den Eltern durchgefüttert wurde, wenn die Eltern selbst hilfsbedürftig werden oder sterben?  Nicht nur, dass sie selbst vollkommen unfähig sind, ihren greisen Eltern beizustehen. Sobald die Renten der Eltern wegfallen und ein eventuelles Erbe vertan ist, wird die Gesellschaft die Pflichten der Eltern übernehmen müssen. Neben den drückenden Problemen einer alternden Gesellschaft, kommt auf Japan nun eine Gruppe zu, die ihr ganzes Leben lang ökonomisch nicht auf eigenen Füßen stehen konnte.

Leben von der Rente 

Die Agentur Reuters hat einige dieser Menschen nun besucht. Inzwischen befinden sich die Ausbrecher bereits selbst in den fortgeschrittenen Fünfzigern und die einstige Unbekümmertheit ist großen Sorgen gewachsen. Hiromi Tanaka hat früher ein unbeschwertes Leben als Backgroundsängerin geführt. "Irgendwie kam ich immer durch", sagte sie Reuters. Inzwischen muss sie von einigen, wenigen Klavierstunden leben. Die Wohnung ihrer Mutter befindet sich neben ihrer. "Mein Vater starb im letzten Jahr, dadurch wurde das Renteneinkommen halbiert. Wenn sich nichts Entscheidendes ändert, werden meine Mutter und ich zusammen aus dem Leben gehen." Tanaka ist ratlos, einen Weg für sich selbst aufzukommen, sieht sie nicht. Sie ist kein Einzelfall, etwa 4,5 Millionen Japaner zwischen 35 und 54 leben im Haushalt ihrer Eltern. Mindestens 20 Prozent von ihnen sollen mehr oder minder komplett von den Eltern abhängig sein.

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Harter Arbeitsmarkt

Der Soziologe Masahiro Yamada prägte schon 1997 den Begriff der Single-Parasiten. Heute sagt er:  "In der Bubble-Ökonomie haben sie sich in ihren 20ern prächtig amüsiert. Sie dachten irgendwann in ihren 30ern würden sie schon heiraten. Aber ein Drittel heiratete nie und nun sind sie etwa 50 Jahre alt." Yamada betont sehr das Bild einer verdorbenen Jugend. Seinem Begriff  Single-Parasiten wurde vorgeworfen, dass er vor allem Frauen moralisch verurteile, die mit einer traditionellen  Rollenvorstellung brachen. Auch heute merkt man ihm eine innere Genugtuung über das Scheitern dieser Generation an. Doch für das Phänomen der ewigen Kinder sind aber nicht nur kapriziöse Lebensplanungen verantwortlich. Sinkende Einkommen, unstabile, befristete Arbeitsverhältnisse und ein gnadenloser Arbeitsmarkt machen es Späteinsteigern praktisch unmöglich, im Leben wirtschaftlich Fuß zu fassen.

Wird der Westen folgen?

Ähnliche problematische Grundbedingungen findet man inzwischen auch in mehreren westlichen Ländern. In den USA leben so viele junge Erwachsene bei ihren Eltern wie in den Zeiten der Großen Depression. Die aktuelle Daten des Census Bureau zeigen, dass innerhalb von zehn Jahren die Zahl der jungen Amerikaner im Alter zwischen 18 und 34, die noch bei ihren Eltern leben, um acht Prozent zugenommen hat. In Bundesstaaten mit hohen Lebenskosten wie Kalifornien wuchs der Wert sogar um 10,2 Prozent. Das Singletum im Kinderzimmer nimmt also rapide zu. Der Grund sind schlechte und unsichere Einkommen, in den USA kommen häufig drückende Ausbildungsschulden hinzu. (Wir berichteten: Kinderzimmer für die Ewigkeit – warum viele junge Menschen bei den Eltern leben). Auch sie sind prädestiniert dazu, eine Generation von ewigen Kindern zu werden – allerdings ohne die Zeit vollkommener Sorglosigkeit, die ihre japanischen Vorgänger genießen durften. 

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