Mentale Gesundheit Viel Stress, kaum Unterstützung: So stark sind Angestellte seit Beginn der Pandemie belastet

Umfrage mentale Gesundheit Arbeitsplatz: Ein Mann arbeitet im Home-Office und hat Stress
Arbeit, immer und überall: Remote Work lässt die Grenzen zwischen privatem und beruflichem oft verschwimmen
© Edwin Tan / Getty Images
Stress im Home-Office und ständige Erreichbarkeit: Die Pandemie fordert viele Berufstätige zusätzlich – besser vom Arbeitgeber unterstützt werden aber nur wenige, zeigt eine Umfrage zu mentaler Gesundheit am Arbeitsplatz. Eine Entwicklung, die sich langfristig rächen könnte. 

Ein Anruf in der Mittagspause. Ist es der Chef, der sich nach dem Stand bei einem Projekt erkundigen will? Besser kurz den Herd ausschalten und schnell an den Laptop. Der Blick fällt auf das Postfach. Neue Mails sind auch eingegangen. Die kann man eben noch schnell bearbeiten. In 15 Minuten steht ein Meeting an. Zurück in die Pause? Das lohnt ja schon nicht mehr. 

Arbeit im Home-Office war und ist durch die Corona-Pandemie in vielen Unternehmen weit verbreitet. Digitale Tools wie Zoom oder Teams erleichtern die Kommunikation, ziehen oft aber auch ständige Erreichbarkeit nach sich. Auch in vielen anderen Bereichen ist die Arbeitsbelastung durch die Corona-Pandemie gestiegen, etwa unter medizinischem Personal sowie Pflegekräften und Ärzten in Kliniken. 

Wenig Unterstützung, viel Stress

Steht dem auch ein breiter aufgestelltes Unterstützungsangebot gegenüber? Welche Maßnahmen bieten Unternehmen an, um die Mehr-Belastungen abzufedern und die mentale Gesundheit der Beschäftigten zu gewährleisten?

Eine Umfrage im Auftrag das Jobportals "Indeed" zeigt, dass sich viele Unternehmen aus der Verantwortung ziehen: Demnach geben 58 Prozent der Befragten an, seit der Pandemie habe der Arbeitgeber keine neuen Maßnahmen ergriffen, um das mentale Wohlbefinden der Angestellten zu unterstützen. Immerhin fast jeder fünfte Berufstätige (18 Prozent) berichtet von Verbesserungen. Fast die gleiche Anzahl benennt aber auch Verschlechterungen seit der Pandemie (15 Prozent). In Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsinstitut YouGov waren insgesamt 2039 Berufstätige befragt worden.

Dem gegenüber steht mehr als ein Drittel der Befragten, die sich seit dem Ausbruch des Coronavirus stärker auf der Arbeit belastet fühlen (35 Prozent). Bei Befragten, die aktuell unter einer psychischen Erkrankungen leiden oder in der Vergangenheit psychisch erkrankt waren, liegt der Wert noch einmal höher (49 Prozent beziehungsweise 41 Prozent). Gerade einmal zehn Prozent geben an, sich seit Beginn der Pandemie weniger belastet zu fühlen (10 Prozent).

Psychisch Erkrankte können im Job nur selten offen über das Thema sprechen

Die Umfrage zeigt auch, wie weit verbreitet psychische Erkrankungen sind: Über ein Viertel der befragten Berufstätigen (29 Prozent) gibt an, aktuell psychisch erkrankt zu sein oder in der Vergangenheit eine psychische Erkrankung gehabt zu haben. Dem gegenüber stehen vergleichsweise wenig Unterstützungsangebote seitens der Arbeitgeber: Mehr als die Hälfte der Befragten (63 Prozent) berichtet von keinerlei konkreten Angeboten. 23 Prozent der Berufstätigen berichtet immerhin von Seminaren zur Aufklärung, Entspannung oder Resilienz sowie dem Abbau von Überstunden.

Wie könnte Berufstätigen besser unterstützt werden? Auch auf diese Frage haben die Berufstätigen geantwortet und konkrete Lösungen genannt. An erster Stelle steht der Wunsch nach mehr Freizeit, etwa der Abbau von Überstunden in Form von Urlaub (42 Prozent). Es folgt die Vier-Tage-Woche (39 Prozent) und mehr zusätzliche freie Tage (37 Prozent). 

Psychische Erkrankungen sind im Beruf oftmals noch ein Tabu

Einen offeneren Austausch unter Kolleginnen und Kollegen wünschen sich 35 Prozent. Psychische Erkrankungen, auch das zeigt die Befragung, scheinen vielerorts im beruflichen Umfeld nach wie vor eher ein Tabuthema zu sein: 59 Prozent der befragten Personen, die aktuell psychisch erkrankt sind, geben an, nicht offen auf der Arbeit über das Thema mentale Gesundheit und psychische Störungen sprechen zu können. 54 Prozent der Erkrankten geben an, dass ihnen mit einer Vier-Tage-Woche auf der Arbeit am besten geholfen wäre. 31 Prozent wünschen sich psychologische Betreuung.

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An der Umfrage war unter anderem Prof. Dr. Hannes Zacher, Psychologe und Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Uni Leipzig, beteiligt. Er kommt angesichts der Umfragewerte zu einem ernüchternden Fazit: "Leider scheinen viele Unternehmen vor allem die Effizienz von Prozessen und hohe Produktivität im Blick zu haben – und vergessen dabei, dass die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden nicht nur kurzfristig zu guter Leistung führt, sondern auch langfristig eine wichtige Ressource in einer immer älter werdenden Gesellschaft darstellt."

Auch frühere Umfragen zeigten, dass für viele Berufstätige die Belastungen in Zeiten von Lockdown und Pandemie gestiegen waren. So hatte die Technische Universität (TU) Chemnitz in Kooperation mit der Techniker Krankenkasse (TK) bereits im ersten Lockdown Berufstätige befragt. Rund 60 Prozent der Berufstätigen, die von Zuhause aus arbeiten, gaben an, dass im Homeoffice die Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben verschwammen. Mehr als jeder vierte (27 Prozent) empfand das als Belastung. 

Die aktuelle Online-Umfrage legt nun nahe, dass diese Mehr-Belastungen für einige Berufstätige anhalten. Die Umfrage fand zwischen dem 16. und 26. September 2021 statt. 

Quellen: Indeed / Techniker Krankenkasse

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