Wie die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert, darauf bekommen viele Beschäftigte gerade einen kleinen Vorgeschmack. Komplette Belegschaften gingen im Corona-Lockdown ins Home-Office und viele werden da auch noch eine Weile bleiben. Auf einmal ersetzt die Videokonferenz das Büromeeting und der Skype-Call die Geschäftsreise. Willkommen, Zukunft.
Dieser Blick in die Zukunft ist allerdings ziemlich beschränkt. Denn was gerne übersehen wird: Die meisten Menschen können – selbst unter den Zwängen einer Corona-Pandemie – nicht von zu Hause aus arbeiten. Das gilt nicht nur für Polizisten, Supermarktkassierer oder Pfleger. Mitten im Lockdown Ende März gaben knapp sieben von zehn nicht-akademischen Fachkräften an, Home-Office sei in ihrem Beruf gar nicht möglich. Gefragt hatte das Stellenportal meinestadt.de, das Fachkräfte mit Berufsausbildung vermittelt.
Nun hat das Portal eine Analyse erstellt, die die Diskussion um den Wandel der Arbeitswelt wieder ein Stück weit aus ihrer Home-Office-Ecke herausziehen soll. Denn bislang würden die Themen Digitalisierung und New Work "fast ausschließlich aus der Perspektive der akademischen Minderheit betrachtet", schreiben die Autoren im Vorwort der Veröffentlichung.
Um das zu ändern, wurden mehr als 2000 Fachkräfte mit Berufsausbildung ohne akademischen Abschluss gefragt, wie sie den Wandel der Arbeitswelt in ihrem beruflichen Umfeld selbst sehen. Die Befragung fand schon im Januar statt, sodass die Ergebnisse sich nicht auf den Corona-Schock, sondern auf langfristige Entwicklungen beziehen.
Stadt-Land-Gefälle
Insgesamt stehen die Befragten dem digitalen Wandel positiv gegenüber. Eine Mehrheit von 53 Prozent sagt, der digitale Wandel bringe eher Chancen. Nur jeder Vierte sieht dagegen Gefahren, der Rest ist unentschieden. Allerdings sehen fast drei von vier Befragten in Deutschland generellen Nachholbedarf, um diese Chancen auch zu nutzen.
Dabei macht es einen großen Unterschied, ob man in der Stadt oder auf dem Land wohnt. Bei der Bewertung der digitalen Infrastruktur gibt es nämlich ein eklatantes Stadt-Land-Gefälle. So sehen die befragten Fachkräfte Großstädte über 100.000 Einwohner mehrheitlich gut aufgestellt. Dörfer unter 5000 Einwohner dagegen äußerst schlecht. "Bei uns ist die Digitalisierung noch nicht angekommen" und "Ohne Digitalisierung ist mein Wohnort ziemlich außen vor", lauten stellvertretend zwei Aussagen von Landbewohnern in der Umfrage. "Abgehängt durch langsames Internet und fehlende Fachkräfte", fasst ein anderer zusammen.
Unterschiede nach Branchen
Nur jede fünfte Fachkraft fürchtet, dass ihr Arbeitsplatz im Kontext der Digitalisierung in Gefahr ist. Dabei gibt es allerdings große Unterschiede zwischen den Branchen. Am wenigsten sorgen sich die Beschäftigten im öffentlichen Sektor und in der Pflege, am meisten in Logistik und Handel. Insbesondere in den beiden letztgenannten Branchen erwarten die Beschäftigten umfassende Umwälzungen: So glauben nur 62 Prozent der Befragten aus Handel und Einzelhandel, dass es ihren Beruf in zehn Jahren noch geben wird. In der Logistikbranche sind es mit 63 Prozent nur unwesentlich mehr. Von den befragten Handwerkern sind drei von vier zuversichtlich. Am zukunftssichersten sehen Beschäftigte in der Pflege und im öffentlichen Sektor ihren Berufsstand (jeweils mehr als 85 Prozent).
Frage: Wie zuversichtlich sind Sie, dass es Ihren Beruf in zehn Jahren noch geben wird?
Branche | zuversichtlich/ sehr zuversichtlich |
Öffentlicher Sektor | 89,5% |
Pflege | 85,7% |
Handwerk | 74,5% |
Logistik und Lager | 62,7% |
Handel/Einzelhandel | 61,8% |
Quelle: meinestadt.de; eigene Darstellung
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Diese Zahlen spiegeln sich auch in Zitaten wider, die im Rahmen der Umfrage fallen. "Es wird immer alte und kranke Menschen geben, daran ändert auch die Digitalisierung nichts", sagt etwa eine befragte Pflegekraft. Dass sie in zehn Jahren durch Pflegeroboter ersetzt sind, glauben die wenigsten. "Diese Art von Arbeit kann nie von jemand Digitalem ersetzt werden. Es ist unmöglich, so Empathie zu spüren", lautet ein anderes Zitat. Immer brauchen wird man nach Erwartung der Befragten auch Polizisten, Feuerwehrleute und Finanzbeamte. Ein Postbote ist weniger optimistisch: "Digitalisierung beseitigt diesen Beruf zu 100 Prozent."
Klar ist, dass auch Berufe, die bestehen bleiben, sich wandeln werden. Aber eben nicht unbedingt in Richtung des eingangs erwähnten Home-Office. Auf die Frage, welche Auswirkungen der Digitalisierung bereits konkret im Job zu spüren seien, nannten vier von zehn Befragten den Einsatz neuer Programme und IT-Anwendungen. Auch die Digitalisierung und Automatisierung von Abläufen sowie der Einsatz internetfähiger Geräte wie Tablets, Smartphones oder anderer Smartdevices sorgt bei vielen für starke Auswirkungen. Home-Office war dagegen gerade einmal für jeden zehnten Befragten ein großes Thema.