Bargeld Döner mit Karte? Ja, warum denn nicht!

  • von Tom Boyer
Person zahlt mir Karte
Die EU will den Bargeld-Verkehr drastisch einschränken
© Getty Images
Die Europäische Union will den Bargeld-Verkehr drastisch einschränken. Unser Autor kann es kaum erwarten – und wird die deutsche Liebe zum Cash wohl nie verstehen.

Wozu nur Münzen und Scheine? Das frage ich Kind des digitalen Zeitalters mich schon lange. Und besonders oft, seit ich vor einigen Wochen von einem halbjährigen Aufenthalt in Großbritannien nach Deutschland zurückgekehrt bin.

Britanniens Brexit-Chaos und der wirtschaftliche Niedergang mögen die Insel seit einiger Zeit rückschrittlich wirken lassen. In Sachen Zahlungsverkehr sind uns die Briten trotzdem meilenweit voraus.

Das wurde mir schon vor der ersten Tube-Fahrt in London klar. Der Straßenmusiker, der spanische Gitarrenmusik im U-Bahntunnel spielte, hatte vor sich auf dem Pflaster neben einem Hut ein Kartenlesegerät platziert. Fast alle, die ihm für sein Ständchen spendeten, taten es mit einem kurzen Touch ihrer Plastikkarte. In der Kirche, wo ich im Rahmen eines Freiwilligendienstes aushalf, klimperte die Kollekte nicht im Sammelbeutel. Stattdessen übermittelten die Gemeindemitglieder ihre milde Gabe routiniert per Pieps und Bezahl-Plastik. Selbst als ich eine alte Version des Buches "Animal Farm" auf dem Flohmarkt erwerben wollte, hatte ich keine Wahl, als die zwei Pfund mit dem Bankkärtchen zu begleichen. Nur an einer Station in mehreren Monaten in London kam ich um eine Barzahlung nicht herum: im Waschsalon. Und das fühlte sich sofort nicht nur ungewohnt, sondern komplett unnötig an. Den Umgang mit Cash hatte ich mir, ohne es zu merken, schneller abgewöhnt, als ich mir angewöhnen konnte, beim Straßenüberqueren zuerst nach rechts zu schauen.

Als ich meinem Freund Harry erzählte, dass man in Deutschland nicht weit käme ohne Euromünzen im Portemonnaie, musste er lachen. "Cash braucht man hier eigentlich nur noch zum Drogenkaufen, oder um Steuern zu hinterziehen," sagte er. "Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas in bar bezahlt habe. Muss schon Jahre her sein." Dann erzählte Harry von seiner Großmutter. Sie wohnt in einem kleinen Ort auf dem Land in Wales, wo Harry aufgewachsen ist. Und sei tatsächlich "very upset" weil die lokale Bankfiliale vor einiger Zeit zumachte und sie, um Bares abzuheben, nun immer 40 Minuten in die nächstgelegene Stadt fahren muss. Cash, wollte Harry mit der Geschichte sagen, das gehört der Vergangenheit an.

7000 Euro Obergrenze für Bargeld-Zahlungen

Vor Kurzem bin ich dann unsanft in genau dieser Vergangenheit aufgewacht. Es war kurz nach der Landung in der Heimat, als mich der Hunger überfiel. Was liegt da in Berlin näher als der nächste Dönerladen, dachte ich. Mit alles und scharf, war schnell bestellt, der dampfende Fladen schon in Reichweite, als ich meine Bank-Karte über den Tresen streckte – und nach einem kurzen ungläubigen Blick vom Inhaber auf den gelben Bankomaten auf der anderen Straßenseite verwiesen wurde. Zehn Euro abzuheben, kostete mich dort fünf Euro Gebühr.

Seitdem geht das so weiter. Öfter musste ich im Späti samt Einkauf an der Kasse feststellen, dass ich hier gar nicht mit Karte bezahlen kann und erst wieder in die Wohnung zurückrennen, um Münzen zu holen. Einmal als eine Frau im Späti Zigaretten kaufen wollte, erreichte sie den Mindestbetrag für die Plastikgeldzahlung nicht. Als klar wurde, dass sie das halbe Sortiment der Quengelware hätte aufkaufen müssen, um mit Karte zu zahlen, geht sie, ohne etwas zu kaufen: Überall stoße ich auf Geschäftsleute, die den Karten-Verkehr konsequent verweigern. Doch ich merke: Es fällt es mir leichter, wieder in den Links-Rechts-Links-Modus beim Straßenqueren zurückzufinden, als mich wieder ans ständige Bargeld-Bewegen zu gewöhnen.

Doch nun winkt Hoffnung: Nachdem das EU-Parlament schon den Heizungskellern Fortschritt verordnet hat, knöpfen sich die Abgeordneten in Brüssel nun die Portemonnaies vor. Der Bargeldverkehr soll EU-weit radikal eingeschränkt werden. In einer Vorabsprache hat man sich schon rasch auf 7000 Euro Obergrenze geeinigt. Die finale Entscheidung soll Ende des Monats fallen.

Das ist genau das richtige Signal. Auch wenn ich bis auf weiteres wohl nur selten in die Verlegenheit kommen werde, drei- oder gar vierstellige Beträge zu bewegen. In vielen Ländern Europas dürfte die neue Cash-Regel, wenn sie kommt, ohnehin kaum auffallen. 18 von 27 Mitgliedsstaaten habe längst Obergrenzen für das Bezahlen mit Bargeld eingeführt. Die niedrigste mit 500 EUR gilt übrigens in Griechenland, die höchste mit 15.000 in Kroatien.

Die deutsche Liebe zum Bargeld

Natürlich wird es in Deutschland einen großen Aufschrei geben. Von der berühmten "Liebe der Deutschen zum Bargeld" wird wieder viel zu lesen sein. "So, what?" wird mein Freund Harry dann wahrscheinlich sagen, wenn ich ihm von der zu erwartenden Aufregung erzähle.

Denn: Bargeld ist nicht nur schrecklich unpraktisch. Spätestens seit EU-Parlaments-Vize Eva Kaili und ihre Koffer aufflogen, muss doch dem letzten klar sein: Wer bar zahlt, hat oft vielleicht auch etwas zu verbergen.

Dazu kommt: Woher diese angebliche "Liebe zum Bargeld" kommt, kann niemand recht erklären. Selbst das ifo-Institut schrieb mir auf Anfrage, es sei "nicht mit Eindeutigkeit zu beantworten", warum die Deutschen so versessen darauf sind, ihren Wohlstand in Münze und Schein bei sich zu tragen. Könnte es sein, frage ich mich seither, dass das diese angebliche Liebesgeschichte nur ein irrationaler Mythos ist? Ein Blinddarm der Geld-Geschichte ist sie auf jeden Fall.

Im Übrigen: Selbst wir Deutsche waren in Sachen Cash und Kohle schon ein bisschen weiter. Als Corona wütete und viele Angst hatten, sich an der Supermarkt-Kasse anzustecken, da lief auf einmal ein Teil der Bargeld-Republik auf Plastik. Die Folge: 2021 wurden hierzulande 17 Prozent weniger Barzahlungen registriert als noch 2017. Sagt die Bundesbank. Geht doch!

Döner mit scharf und Karte? Ich freue mich drauf.

Und bevor jetzt jemand denkt, ich sei herzlos und unsozial, weil ich ja gar nicht an die 500.000 Menschen in Deutschland denke, die kein Bankkonto haben, und an die Kinder mit ihren Münzspardosen: Aber könnten sie nicht genau so digital durchs Leben kommen, wie zum Beispiel der Straßenmusikant in London?

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