Gut sechs Wochen vor der Bundestagswahl hat die Zahl der Arbeitslosen wieder die Vier-Millionen-Marke durchbrochen. Knapp 4,047 Millionen Menschen waren im Juli laut Bundesanstalt für Arbeit ohne Job - 92.600 mehr als im Juni und sogar 248.300 mehr als im Juli 2001. Der Chef der Bundesanstalt, Florian Gerster, machte am Mittwoch in Nürnberg vor allem die Konjunkturflaute und das Auslaufen von Ausbildungsgängen für Jugendliche dafür verantwortlich. Opposition und Wirtschaft reagierten mit heftiger Kritik auf die steigenden Arbeitslosenzahlen.
Appell an die Wirtschaft
Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt nannte Gerster Besorgnis erregend. Obwohl Ende Juli noch 96.200 Stellen unbesetzt waren, suchten 208.9000 Bewerber weiter nach einem Platz. Gerster appellierte an die Wirtschaft, zusätzliche Stellen zu schaffen. »Die Lage ist ernst, aber nicht aussichtslos«, sagte er.
Laut Bundesanstalt lag die Arbeitslosenquote im Juli bei 9,7 Prozent. Im Westen waren 2,636 Millionen Menschen ohne Arbeit, die Quote lag bei 7,8 Prozent. Im Osten waren mit einer Quote von 18 Prozent 1,410 Millionen Menschen ohne Job.
Der BA-Chef rechnet inzwischen für 2002 nicht mehr mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von unter vier Millionen. Erst im dritten Quartal werde eine Stagnation einsetzen, dann eine Besserung. »Davon, ob wir diesen Schwung mit ins neue Jahr nehmen können, hängt es ab, ob wir 2003 noch auf Bundeszuschüsse angewiesen sein werden«, sagte Gerster. Für 2002 rechnet er mit zusätzlichem Finanzbedarf über die veranschlagten zwei Milliarden Euro hinaus, es deute sich ein Bedarf von etwa 3,5 Milliarden Euro an.
Laut Statistischem Bundesamt waren im Mai 2002 rund 38,7 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig - 221.000 oder 0,6 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Bundeskanzler Gerhard Schröder appellierte an die Wirtschaft, Ausbildungsplätze bereitzustellen. Angesichts von angeblich 1,5 Millionen offenen Stellen müsse die Vermittlungsarbeit der Bundesanstalt für Arbeit drastisch verbessert werden.
»Keine Überraschung«
Bundesarbeitsminister Walter Riester sagte, die aktuellen Arbeitsmarktzahlen seien keine gute, aber auch keine überraschende Nachricht. Der Anstieg im Juli hänge unter anderem mit Betriebsferien oder geringeren Auftragseingängen während der Urlaubszeit zusammen.
»Verheerende Schlussbilanz der Regierung Schröder«
Die Union warf der Regierung Versagen vor. Ihr Kanzlerkandidat Edmund Stoiber sagte: »Über vier Millionen Arbeitslose und das mitten im Sommer, das ist eine verheerende Schlussbilanz der Regierung Schröder.« CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer sprach von einem Armutszeugnis für die Regierung. Der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Rainer Brüderle, bezeichnete die jüngsten Zahlen als »Waterloo für die Regierung Schröder«.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt warf der Bundesregierung vor, echte Arbeitsmarktreformen verschlafen zu haben. Für den Deutschen Gewerkschaftsbund ist die Arbeitslosigkeit dagegen nicht hausgemacht. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer verwies auf die steigenden Zahlen in ganz Europa und die weltweite Konjunkturdelle.