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Big Brother Awards Wenn der Chef die Daten deiner Gesundheits-App mitliest

Gesundheitsdaten vom Handy an den Arbeitgeber senden - eine App machts möglich (Symbolbild)
Gesundheitsdaten vom Handy an den Arbeitgeber senden - eine App machts möglich (Symbolbild)
© alvarez / Getty Images
Mit den Big Brother Awards zeichnet der Verein Digitalcourage einmal im Jahr die schlimmsten Datenkraken aus. Diesmal dabei: Eine Gesundheitsapp für den Arbeitsplatz, eine Software zur Überwachung von Flüchtlingsheimen sowie Windows 10 und Amazon Alexa.

Diesen Award zu bekommen ist noch unangenehmer als neben Kollegah und Farid Bang auf der Echo-Bühne zu stehen. Denn im Unterschied zum peinlichsten Musikpreis des Jahres können die Preisträger des Big Brother Awards die Auszeichnung weder ablehnen noch hinterher zurückgeben.

Zum 18. Mal hat der Datenschutz-Verein Digitalcourage am Freitag die Negativpreise für die schlimmsten Datenkraken aus Politik und Wirtschaft verliehen. Nicht dabei ist in diesem Jahr überraschenderweise Facebook, vielleicht auch, weil Mark Zuckerberg den Preis bereits 2011 abgeräumt hat. Dafür zeichnen die Datenschutz-Aktivisten mit Amazon und Microsoft zwei andere Big-Brother-Größen aus - und zerren einige eher unbekannte Datensammler ins Rampenlicht.

Gesundheits-App funkt an den Chef

So erhält die Firma Soma Analytics aus München den Big Brother Award in der Kategorie Arbeitswelt. Soma hat die App "Kelaa" entwickelt, mit deren Hilfe Arbeitgeber den Gesundheitszustand ihrer Mitarbeiter überwachen können. "Vor Gesundheitsapps warnen wir seit Jahren. Soma Analytics führt unsere Kritik aber in eine neue Dimension", sagt Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft an der FH Frankfurt, in seiner "Laudatio" auf den Preisträger.

Kelaa wird auf dem Handy der Arbeitnehmer installiert und sendet Stress- und Vitalwerte an ein "Dashboard" in der Firma, wo die Daten zusammenlaufen. Die Software erfasst die Handynutzung der Mitarbeiter bis zum Tippverhalten und der Dauer des Blicks auf den Bildschirm. Wer das Gerät mit ins Bett nimmt, gibt sogar Einblicke in sein Schlafverhalten.

Soma-Geschäftsführer Johann Huber erklärte auf Anfrage, das Dashboard liefere "keinerlei Hinweise auf das seelische Wohlbefinden einzelner Mitarbeiter", sondern enthalte "aggregierte und anonymisierte Daten". Zudem sammle die App nur Daten, wenn sie auch auf dem Smartphone geöffnet sei. Ziel der vor fünf Jahren gegründeten Firma sei es, stressbedingte Erkrankungen am Arbeitsplatz Vergangenheit werden zu lassen. Die Digitalcourage-Jury fürchtet dagegen, Arbeitgeber könnten das Werkzeug missbrauchen, um besonders gestresste und weniger leistungsfähige Mitarbeiter auszusortieren.

Überwachung von Flüchtlingen

Einen weiteren Big Brother Award gibt es für die Firma Cevisio aus Torgau, die in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz eine Überwachungssoftware für Flüchtlingsunterkünfte entwickelt hat. "Mit dieser Software werden Bewegungen zum und auf dem Gelände, Essenausgaben, medizinische Checks wie durchgeführte Röntgen-, Blut- und Stuhluntersuchungen, Verwandtschaftsver­hältnisse, Religions- und Volkszugehörigkeiten und vieles mehr erfasst und gespeichert", sagt der ehemalige Datenschutzbeauftragte Schleswig-Holsteins, Thilo Weichert. "Die Daten ermöglichen eine Totalkontrolle der Flüchtlinge und zeigen anschaulich, auf wie vielen Ebenen Privatsphäre verletzt werden kann", urteilt Weichert in seiner "Laudatio".

Er kritisiert nicht nur mögliche Datenschutzverstöße, sondern auch das Menschenbild das dem Einsatz einer solchen Software zugrunde liege. "Flüchtlinge sind Menschen, keine Sachen. Sie liegen nicht in einem Regal zur späteren Abholung und Verwendung, sie sind keine Gefangenen und bedürfen keiner verschärften Beobachtung." Cevisio äußerte sich auf eine schriftliche Anfrage des stern nicht. Hinterfragen müssen sich letztlich aber vor allem die Betreiber der Flüchtlingsunterkünfte, die die Software einsetzen.

Das Ausforschungspotenzial von Amazon Alexa

Bereits seinen dritten Big Brother Award gewinnt Onlineriese Amazon, diesmal für den großen Wohnzimmer-Lauschangriff seines Sprachassistenten Alexa. In seiner "Laudatio" erklärt Datenschutz-Aktivist padeluun, eigentlich hätte man auch die Konkurrenzprodukte Apple Siri, Google Assistant, Microsoft Cortana, Samsung Bixby und Nuance gleich mit auszeichnen können. Von allen Sprachassistenten sei Alexa aber das preiswürdigste Produkt. Das Gerät lauscht nicht nur permanent in den Raum, ob jemand seinen Namen ruft, sondern lädt auch alles, was man dann sagt, in die Cloud hoch, wo es noch Monate später abgehört werden kann.

Amazon erklärte auf Anfrage, Sprachaufzeichnungen würden sicher in der Cloud gespeichert und mit dem Kundenkonto verknüpft. "Alle Daten sind während der Übertragung und in der Cloud verschlüsselt. Der Kunde behält jederzeit die volle Kontrolle über seine Sprachaufzeichnungen." Über den Browser oder die App könnten Kunden alle Aufnahmen löschen.

Doch selbst, wenn Amazon nur Gutes im Schilde führte, ist die Frage, wieviel Sicherheit der Konzern in Zukunft wirklich garantieren kann. Das Ausforschungspotenzial, das in Alexa steckt, könnten laut Aktivist padeluun schließlich auch alle möglichen anderen Firmen nutzen, die Anwendungen (sogenannte Skills) für Alexa programmieren. Auch Facebook betonte immer, wie sicher die Nutzerdaten seien, und ließ sie dann millionenfach von Cambridge Analytica absaugen. 

Staatstrojaner, Smart Cities und Windows 10

Eine weitere Negativauszeichnung geht an die Fraktionen von CDU und Grünen im hessischen Landtag für ein neues Verfassungsschutzgesetz, dass unter anderem das Ausspähen verdächtiger Computer mit Staatstrojanern ermöglichen soll.

In der Kategorie "PR & Marketing" prangert die Big-Brother-Jury den Werbebegriff "Smart Cities" an, unter dem Technikfirmen versuchen, Kommunalpolitikern eine mit Überwachungstechnik vollgestopfte Stadt zu verkaufen.

Den Reigen der Negativpreisträger beschließt Microsoft mit seinem Betriebssystem Windows 10. Dieses übermittelt automatisch alle möglichen Nutzungsdaten an Microsoft, was sich selbst von versierten Nutzern kaum abschalten lässt. Microsoft erklärte, man sei sich bewusst, dass die Übermittlung von Diagnose-Daten ein sensibles Thema sei und arbeite an der Verbesserung der Datenschutzeinstellungen. Den Big-Brother-Award fürs Lebenswerk hat Microsoft übrigens schon 2002 bekommen.

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