"Ach nein", sagt Felix Ohswald in die Zoom-Kamera, "als Wunderkind bezeichne ich mich selbst nicht". Klar, da seien die Mathevorlesungen an der Uni in Wien gewesen, die er schon mit 14 neben der Schule besucht hat. Den Bachelor machte er parallel zur Matura, dem österreichischen Abitur. Dann Studium in Cambridge und ein Finance-Master an der ETH Zürich. Aber Wunderkind, wie er so häufig genannt wird? "Es gibt doch jede Menge Mathematiker, die Hundertmal schlauer sind als ich."
Ohswald ist gerade 27 Jahre alt geworden. Zum Video-Interview trägt er Kapuzenpullover, plaudert ein bisschen über Wiener Gemütlichkeit und ist ganz selbstverständlich per Du. Doch hinter diesem entspannten Auftreten verbirgt sich ein Unternehmer auf der Überholspur.
Felix Ohswald ist Gründer und Unternehmenschef von Go Student, Österreichs wertvollstem Start-up und dem aktuell wohl heißesten Unternehmen aus dem Bildungsbereich in ganz Europa. Allein innerhalb des letzten Jahres haben Investoren mehr als 500 Millionen Euro in die Plattform gesteckt, die Schülern individuelle Online-Nachhilfestunden vermittelt. Auf dem Papier ist das 2016 gegründete Unternehmen nun drei Milliarden Euro wert – und Ohswald Multimillionär. Denn er und sein Mitgründer Gregor Müller halten an der Firma gemeinsam noch 25 Prozent der Anteile.
Nachhilfe in 23 Ländern
Die Idee zu Go Student kam Ohswald einst durch seinen jüngeren Bruder Moritz. Der reichte in der Schule Felix' Whatsapp-Nummer herum, damit der Mathe-Crack knifflige Hausaufgabenfragen beantworten konnte. Daraus wurde erst ein kleines und dann ein explodierendes Business. Noch Ende 2018 hatte Go Student 18 Mitarbeiter, heute ist Ohswald Chef von fast 2000 Angestellten. "Für mich fühlt es sich immer noch so an, als hätten wir gerade erst gestern die ersten Nachhilfeeinheiten abgehalten", gesteht Ohswald.
Die Nachhilfe gibt er heute nicht mehr persönlich. Auch die festangestellten Mitarbeiter nicht, die kümmern sich um Vertrieb, Kundensupport und das Rekrutieren von Nachhilfelehrern. Für die Nachhilfe selbst stützt sich Go Student auf ein Heer von mehr als 19.000 Freelancern in 23 Ländern. Die meisten von ihnen sind Studenten, die sich etwas nebenher verdienen wollen, ohne sich selbst um die Akquise von Nachhilfeschülern kümmern zu müssen. Gerade expandiert das Unternehmen in den Megamarkt USA.
Go Student vermittelt monatlich mehr als 1,5 Millionen Nachhilfestunden an Schüler zwischen 6 und 19 Jahren. Allein in Deutschland und Österreich sind 8500 Tutoren für die Plattform aktiv. Mit Abstand am meisten gefragt hierzulande sei Nachhilfe in Mathe, sagt Ohswald. Auf Platz zwei liegt Englisch-Unterricht, aber auch Unterstützung in allen anderen gängigen Schulfächern ist buchbar. Eine Nachhilfestunde bei Go Student dauert 50 Minuten und kostet je nach gewähltem Abo zwischen 19,20 und 29,60 Euro. Die Tutoren daheim vor ihrem Bildschirm erhalten davon im Schnitt 15 Euro.

Beschwerden von Tutoren
Das rasante Wachstum bringt für Ohswald und seine Firma aber auch Herausforderungen mit sich. Der Deutsche Lehrerverband äußerte kürzlich im Handelsblatt Bedenken, dass durch die Expansion bei Go Student "die Belange der Schüler und die Qualität der Nachhilfe vernachlässigt werden". Zudem beschwerten sich Tutoren, dass sie nicht mehr pünktlich bezahlt würden. Einige starteten sogar eine Online-Petition, in der sie Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen und bei der Bezahlung einfordern. Das Unternehmen sagt dazu, technische Schwierigkeiten mit einem Zahlungsanbieter hätten vereinzelt zu Verspätungen bei der Bezahlung der Tutoren geführt, diese seien behoben. Die übrige Kritik prüfe man.
Unternehmenschef Ohswald betont, dass die Sicherung der Nachhilfe-Qualität "eines der Kernthemen ist, mit denen wir uns tagtäglich auseinandersetzen und in das wir viele Ressourcen stecken, um uns laufend zu verbessern". In der Praxis sieht das so aus: Wer bei Go Student Nachhilfe geben will, muss zunächst selbst einen Test bestehen, in dem festgestellt wird, ob sich der- oder diejenige für die Aufgabe eignet. "Unser Angebot steht und fällt mit der Leistung des Tutors", sagt Ohswald. Auf der Bewertungsplattform Trustpilot kommt Go Student trotz einiger kritischer Stimmen immerhin auf 80 Prozent sehr gute Bewertungen.
Profitiert hat Go Student auch davon, dass die Corona-Pandemie dem Homeschooling per Video-Kamera eine ganz neue Selbstverständlichkeit gegeben hat – selbst im digitalen Entwicklungsland Deutschland. "2019 haben die Eltern uns noch gefragt, wie das genau funktioniert mit dieser Video-Telefonie. Heute kann ich selbst mit meiner Oma einen Zoom-Call machen", sagt Ohswald. Er glaubt, dass die digitalen Innovationen privater Bildungsanbieter auch den Schulen selbst zugutekommen. Als Beispiel nennt er die Anton-App, die mittlerweile von vielen Schulen in Deutschland eingesetzt wird. In Großbritannien hat Go Student mit Seneca Learning selbst den Anbieter einer solchen App gekauft.
Jetzt auch TV-Investor
Ohswalds Vision ist es, mit Go Student nicht nur einen internationalen Nachhilfe-Champion aufzubauen, sondern ein ganzes Ökosystem an Bildungsangeboten. "Wir wollen ein fester Bestandteil in der Ausbildung deines Kindes sein, um dir als Elternteil dabei zu helfen, das volle Potenzial deines Kindes zu entfalten", formuliert Ohswald seine Mission. Dazu gehört auch die Entwicklung neuer Angebote und die Übernahme kleinerer Start-ups.
Vor kurzem trat Ohswald in der TV-Show "2 Minuten, 2 Millionen" auf, einer österreichischen Version von "Die Höhle der Löwen". Als Investor natürlich, nicht als Kandidat. Er interessiere sich für jegliche Innovation im Bereich Bildung - "von Vorschule bis Corporate Learning", sagt Ohswald. Vor allem achte er aber bei Investitionen in Start-ups auf die Persönlichkeit des Gründerteams. In einem Alter, in dem andere erst anfangen, beruflich richtig Fuß zu fassen, spielt Ohswald schon die Rolle des Mentors.
Finanziell ausgesorgt hat er mit Mitte 20 auch schon. So aber betrachtet Ohswald die Summen auf seinem Kontoauszug und die Milliardenbewertung seiner Firma nicht. "Dass man sich ein neues Auto leisten kann oder eine schöne Wohnung, ist natürlich nett, eine Sorge weniger", sagt er. Aber längst kein Grund für die Frührente. Irgendwie geht es doch auch gerade erst richtig los für Go Student. Und: "Ohne Arbeit wäre mir auch stinklangweilig."
Was nicht heißen soll, dass er nicht auch Freizeit zu schätzen weiß. Neben der Firma verbringe er viel Zeit mit Familie und Freunden, erzählt Ohswald. Er liebe Snowboarden und Reisen, möglichst weit weg, um neue Menschen und Kulturen kennenzulernen. Ein absolutes Highlight war für ihn die Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn von Peking nach Moskau, eine aktuell eher schwierige Route. Auf der Wunschliste für die Zukunft stehen Heli-Skiing in Kanada und eine Rundreise durch Südamerika.
Hat das Wunderkind eigentlich auch mal selbst Nachhilfe benötigt? "Es gab viele Bereiche, in denen ich nicht besonders gut war", gibt Ohswald zu. "Musikalisch bin ich absolut unbegabt und im Zeichnen ebenfalls eine Niete." Auch Sprachen seien ihm in der Schule schwergefallen. Für den Italienisch-Unterricht hatte er die beste Nachhilfelehrerin glücklicherweise schon zu Hause. "Meine Mutter musste mir helfen", lacht Ohswald, "sie beherrscht die Sprache fließend".