Schon bevor das Coronavirus Teile der Welt lahmlegte, hing der vom damaligen US-Präsident Donald Trump angezettelte Handelskrieg wie ein Damoklesschwert über der globalen Wirtschaft. Als die Pandemie hereinbrach und sich Lockdown an Lockdown reihte, gingen auch Produktionen und Lieferketten in die Knie. Anfang des Jahres, als das Schlimmste überstanden schien, marschierten russische Truppen in die Ukraine ein, ein weiterer Tiefschlag für die erwachende Konjunktur.
Mehr noch: Aggressor Russland fällt wegen den Sanktionen als Energielieferant aus. Aus der Ukraine kommt kein Getreide mehr, überall auf der Welt schießen die Preise für Brot und Treibstoff in die Höhe. Staaten, die auf osteuropäischen Weizen angewiesen sind, droht eine beispiellose Hungersnot.
Angriffe, Flüchtende, Gas-Lieferungen: Grafiken zum Konflikt in der Ukraine

Das sind nur einige der zahllosen Folgen der Doppelkrise Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg. Der Überfall Russlands könnte tatsächlich die Zeitenwende sein, von der etwa Bundeskanzler Olaf Scholz sprach und wie die folgende Beispiele zeigen:
Preissteigerungen
Hohe Nachfrage bei Lieferengpässen, steigenden Energiepreise, Nachschubprobleme beim Getreide – diese üble Mischung ist ein Grund für die höchste Inflationsrate seit Jahrzehnten. Zwischen sechs bis sieben Prozent liegt die Preissteigerung derzeit. Heiz- und Kraftstoffe sind teilweise 50 Prozent teurer geworden, Nahrungsmittel um rund zehn Prozent. Und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Die USA haben deswegen den größten Zinsschritt seit fast 30 Jahren gewagt und den Leitzins um 0,75 Prozentpunkte erhöht.
Zwar wirken Zinserhöhungen der Inflation entgegen, gleichzeitig erhöhen sie die Gefahr, dass die Konjunktur abgewürgt wird. Manche Experten befürchten daher eine "Stagflation": steigende Preise in Kombination mit einer stagnierenden oder schrumpfenden Wirtschaft. Das hatte es im größeren Maße zuletzt in den 1970er-Jahren gegeben.
Lage der Flüchtlinge wird dramatischer
Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg waren so viele Menschen auf der Flucht wie zurzeit. Mehr als 100 Millionen Menschen müssen wegen Kriegen, Konflikten und anderen Katastrophen ihre Heimat verlassen. Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR spricht von einem "dramatischen Meilenstein". Dabei sei die Invasion Russlands in die Ukraine zwar nur einer von vielen Krisen, aber laut des UNHCR die größte und am schnellsten wachsende seit Gründung des Flüchtlingswerks vor 70 Jahren.
Die Zahl der fliehenden Menschen steigt seit vielen Jahren: Ende Dezember 2021 waren 89,3 Millionen Menschen wegen Kriegen, Gewalt, Verfolgung und Menschenrechtsverletzungen auf der Flucht, acht Prozent mehr als ein Jahr zuvor und mehr als doppelt so viele wie zehn Jahre davor. Hinter der Türkei, Kolumbien, Uganda und Pakistan war Deutschland das größte Gastland, mit 1,3 Millionen Aufgenommenen.
Unerwartete EU-Osterweiterung
Bis zum 24. Februar hätte kaum jemand damit gerechnet, dass die Ukraine in absehbarer Zeit ein Beitrittskandidat der Europäischen Union werden würde. Dass das Land irgendwann Mitglied werden würde oder könne, wurde allerorten und oft als Wunsch formuliert. Die Verhältnisse in dem Land (Korruption, Rechtsstaatlichkeit, Konflikt mit Russland) aber vertagten einen Vollzug de facto auf den Sankt Nimmerleinstag.
Unmittelbar nach dem russischen Angriffskrieg stellte das Land dann doch den Antrag auf Annahme in die EU, nach einem Besuch der Regierungschefs Frankreichs, Italiens und Deutschlands Mitte Juni hat EU-Chefin Ursula von der Leyen empfohlen, die Ukraine zum Beitrittskandidaten zu erklären. Die Entscheidung darüber fällen die Vertreter der Mitglieder und die knüpfen ihre Zustimmung an das grüne Licht für weitere betrittswillige Länder wie Bosnien-Herzegowina, Moldau und Georgien. Auch wenn ihre Beitritte in ferner Zukunft liegen, könnte Putin mit seinem Krieg die von ihm geforderte Einflusszonen verkleinern statt sie zu vergrößern.
Blick auf Putin und Russland
Der Westen, vor allem aber Deutschland hatte bis zuletzt einen etwas, positiv ausgedrückt, verträumten Blick auf Russland und seinen Präsidenten. Trotz der Krim-Annexion 2014 und dem Georgien-Krieg sechs Jahre zuvor. Während vor allem die junge Generation in den Ex-Warschauer-Pakt- und Post-Sowjetstaaten beständig vor dem ehemaligen "Großen Bruder" warnte, demonstrierten die hiesigen Regierungen dem Kreml meist großes Entgegenkommen. Damit ist es aber seit dem Ukraine-Krieg vorbei – Russland wird von einem Teil der Welt als Paria-Staat betrachtet.
Durch die offenkundig falsche Einschätzung der militärischen Lage und er politischen Stimmung in der Ukraine hat Wladimir Putin auch sein Image als Stratege eingebüßt. Auch seine Armee scheint längst nicht so übermächtig und schlagkräftig zu sein, wie viele vermutet haben. Manche Kriegsfolgen wird Putin freudig einkalkuliert (Gas- und Rohstoffkrise), manche billigend in Kauf genommen haben (Sanktionen) – dennoch sind sich die meisten Beobachter einig, dass die Invasion in die Ukraine ein "entsetzlicher Fehler Russlands" gewesen sei, wie es der britischen Generalstabschefs Tony Radakin ausdrückte.
Fortbildung für China und sein Militär
Sehr aufmerksam dürfte die chinesische Regierung den Krieg beobachten. Nicht nur, weil sie die Reaktionen auf einen Angriffskrieg und die politische Mechanismen, die der in Gang setzt, studieren will, sondern auch, weil das die chinesische Volksbefreiungsarmee ähnliche Probleme hat wie das russische Militär: Korruption und zu enge Bande zur Politik. Viele Ausrüstungs- und Motivationsmängel der Kreml-Armee werden der grassierenden Bestechungskultur zugeschrieben. China versucht seit längerem sein Heer von korrupten Generäle zu säubern. Der Ukraine-Krieg dürfte der Staatsmacht deutlich machen, welche Schäden bestechliche Soldaten anrichten können.
Da die Volksbefreiungsarmee nach dem Vorbild der sowjetischen Streitkräfte aufgebaut wurde, spielt sie auch bei ihr eine wichtige Rolle in der Politik. Das zeigt sich vor allem auf Leitungsebenen, die eher nach Parteibuch als nach Qualifikation besetzt wurden und zudem stark hierarchisch und unflexibel agieren. In Kriegszeiten kommt so das ganze "Ausmaß an Inkompetenz aufgrund von Klientelwirtschaft zum Vorschein", schreibt dazu der Berliner "Tagesspiegel".
Quellen: DPA, AFP, German Trade, SWR, "Süddeutsche Zeitung", Statista, NTV, "Spiegel", "Neue Zürcher Zeitung", ZDF, "Time", "Cicero", "Tagesspiegel"