Hartz-IV-Proteste "Mehr Polizei als Demonstranten"

Der befürchtete Ansturm Arbeitsloser und Massenproteste gegen die Hartz-IV-Reform sind ausgeblieben. Am ersten Werktag wehte eher eine Protestbrise als ein Proteststurm durchs Land.

Unter dem Motto "Agenturschluss" hatten sich Demonstranten in ganz Deutschland zumeist vor Arbeitsagenturen versammelt. In über 80 Städten waren Proteste angekündigt worden, bis zum Nachmittag wurden aber nur wenige Teilnehmer verzeichnet. BA-Vorstandschef Frank-Jürgen Weise sprach von zunächst 700 Demonstranten vor den Agenturen für Arbeit. Die Aktionen verliefen überwiegend friedlich. Nur vereinzelt kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Der Schwerpunkt der Proteste lag in Berlin. Allein vor der Agentur im Stadtteil Wedding hatten sich rund 400 Menschen versammelt. Ein Teil habe versucht, die Absperrung zu durchbrechen. Etwa 60 Sympathisanten der autonomen Szene griffen Polizisten und Einsatzfahrzeuge an, 15 Personen wurden festgenommen.

Eine ungenehmigte Demonstration mit 30 Teilnehmern vor der Bundesagentur in Nürnberg, wo Clement eine Pressekonferenz gab, wurde von der Polizei aufgelöst. In Wuppertal fuhren aufgebrachte Demonstranten mit einem Bagger vor, um den Eingang der Agentur zu blockieren. Die Fahrerin wurde vorübergehend festgenommen. In Hamburg besetzten rund 100 Arbeitslose eine Nebenstelle der Agentur. In Schwerin zogen Gegner der Arbeitsmarktreform mit einem symbolischen Hartz-IV-Opfer - einem Skelett mit Mütze und Schal - auf. Zu Rangeleien kam es auch bei Protesten in Frankfurt am Main, wo Demonstranten vorübergehend in das Gebäude der Agentur gelangten. Auch in Gießen verschafften sich Aktions-Teilnehmer Zugang zum Foyer der Behörde. In Leipzig versammelten sich 50 bis 60 Demonstranten vor der Arbeitsagentur. In Dresden demonstrierten nach Polizeiangaben rund 30 Personen. In Erfurt gab es eine Demonstration mit rund 20 Teilnehmern. "Hier war mehr Polizei da als Demonstranten", sagte ein Polizeisprecher.

Insgeamt gingen in Deutschland rund 15.000 Menschen gegen die Einschnitte auf die Straße. Das waren wesentlich weniger als noch bei den Montags-Demonstrationen im Sommer.

Nur 300 Betroffene holen ihr Geld persönlich ab

Auch der nach einem Computerfehler befürchtete Ansturm von Langzeitarbeitslosen auf die Agenturen blieb aus. Die Bundesagentur für Arbeit hatte kurz vor dem Jahreswechsel falsche Kontonummern der Empfänger an Banken und Sparkassen übermittelt. Etwa 130.000 Menschen hatten daher an diesem Montag noch kein Geld auf dem Konto. Die Möglichkeit, ihr Arbeitslosengeld II persönlich bei den Arbeitsagenturen abzuholen, nahmen jedoch nur 300 der Betroffenen wahr. Im Laufe des Montag wollten die Kreditinstitute nach Angaben aus der BA die letzten Überweisungen ausführen.

Seit Jahresbeginn gilt die Hartz-IV-Reform, mit der Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II zusammengelegt werden. Über drei Millionen Langzeitarbeitslose sollen damit erstmals die neue Leistung erhalten. Vor allem bisherige Bezieher von Arbeitslosenhilfe müssen mit Einbußen rechnen. Gleichzeitig soll aber die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen verbessert werden.

morgenstern

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Clement: Reform ist verfassungsmäßig

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement zeigte sich zufrieden: "Es ist, bei allem, was risikoreich war, gelungen." Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Arbeitsmarktreform wies Clement zurück. Das Gesetz sei von einer überragenden Mehrheit in Bundestag und Bundesrat verabschiedet worden. "Wir sind überzeugt, dass es auch einer verfassungsrechtlichen Prüfung Stand hält", ergänzte der Minister.

Am Wochenende hatte der FDP-Arbeitsmarktexperte Dirk Niebel erklärt, der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages komme zu dem Schluss, dass das Hartz-IV-Gesetz verfassungswidrig sein könnte. Es gebe Klauseln, die im Grundgesetz ausdrücklich weder bestimmt noch zugelassen seien. Wenn dies der Fall sein sollte, wären alle 2,66 Millionen Bescheide über das neue Arbeitslosengeld II rechtswidrig, sagte Niebel.

Reuters
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