Der neue Lokführerstreik hat Millionen Pendler bundesweit auf eine Geduldsprobe gestellt und Rufe nach einem Eingreifen der Politik lauter werden lassen. Am schwersten traf der Ausstand Ostdeutschland, wo der Regionalverkehr fast zum Erliegen kam. Auch in vielen Großstädten im Westen war der S-Bahn-Verkehr stark eingeschränkt. Insgesamt fiel rund die Hälfte der Regionalzüge aus. Erst am Freitagmorgen wollten die Lokführer ihre Arbeit wieder aufnehmen.
Ein Eingreifen des Bundes schloss Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee mit Verweis auf die Tarifautonomie dennoch aus. In dem festgefahrenen Streit konzentriert sich das Augenmerk nun immer mehr auf Sachsens Landesarbeitsgericht: Es will kommende Woche darüber beraten, ob das Streikverbot im Fern- und Güterverkehr bestehen bleibt.
Oettinger fordert Nachbesserungen
Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger forderte den Bund als Eigentümer der Bahn auf, den Konzern zu einem nachgebesserten Angebot zu bewegen. Die Forderung nach Einkommenssteigerungen von 31 Prozent sei zwar völlig überhöht. "Ich halte aber eine nochmalige gewisse Nachbesserung und eine spezielle Betrachtung der Arbeitszeiten und der Verantwortung der Zugführer für denkbar", sagte er im Deutschlandfunk.
Tiefensee erteilte dem eine klare Absage. "Es bleibt dabei, die Politik mischt sich in die Verhandlungen nicht ein", sagte er Reuters TV. An die Bahn und die Lokführergewerkschaft GDL appellierte er, rasch an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Gesprächsbasis könne das Mediationsergebnis sein. Über dessen Auslegung streiten die Tarifpartner jedoch seit Wochen.
Hauptkonfliktpunkt ist die GDL-Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag. Die Bahn lehnt dies entschieden ab und pocht auf die Tarifeinheit im Konzern. Das Unternehmen befürchtet, von immer mehr kleinen Berufsgruppen unter Druck gesetzt zu werden.
Der Ausstand zwang Millionen Pendler zum Ausweichen auf andere Verkehrsmittel. Die Folge waren überfüllte U-Bahnen und Busse in den Großstädten, auf dem Weg in die Zentren bildeten sich größere Staus als sonst. In Leipzig und Rostock fuhren nach Angaben der Bahn sogar überhaupt keine S-Bahnen. Im Westen dagegen sei dank Notfallplänen die Hälfte der Züge gerollt. Ziel der GDL war es, 80 Prozent der Regionalzüge bundesweit lahmzulegen.
Die meisten Bahnkunden waren auf den Ausstand eingestellt und reagierten relativ gelassen, auch wenn sie für ein baldiges Ende des Konflikts plädierten.
Erst Freitagnachmittag wieder "normaler" Verkehr
Auch nach dem Ende des Streiks am Freitagmorgen um 8 Uhr ist nach Angaben der Bahn noch mit Behinderungen zu rechnen. Bis zum Nachmittag werde sich der Verkehr langsam normalisieren, ab Samstagmorgen würden dann alle Züge wieder planmäßig fahren.
Die GDL zeigte sich weiter kampfbereit. "Die Stimmung ist absolut hervorragend, die Streikmoral unserer Leute ist ungebrochen", sagte GDL-Vize Claus Weselsky Reuters TV. Auch die Lokführer im Güter- und Fernverkehr seien jederzeit zum Ausstand bereit. Er gehe davon aus, dass sich die Zahl der ausfallenden Züge bis zum Ende des Streiks noch erhöhen werde, weil die Lokführer abgelöst werden müssten.
Verärgert reagierte Weselsky auf eine halbseitige Bahn-Anzeige in der "Bild"-Zeitung. Der Konzern wiederholt darin sein Tarifangebot an die Lokführer und fügt hinzu: "Das ist das beste Angebot, das wir machen können". Weselsky sprach von einem Eigentor der Bahn, dass die Lokführer der GDL nur weiter für den Streik motiviere.
Die Bahn blieb trotz des Streiks hart
Die Bahn blieb trotz des Streiks hart. "Die GDL muss wissen, dass wir auf dieses Angebot nichts mehr drauflegen", sagte Personalvorstand Karl-Friedrich Rausch. Das Angebot entspreche dem Moderationsergebnis. "Wenn die GDL das Moderationsergebnis nicht akzeptieren will, dann soll sie uns das bitte sagen, dann haben wir eine neue Situation". Ein Streiktag im Regionalverkehr koste die Bahn zehn Millionen Euro. GDL-Sprecherin Gerda Seibert wollte auf Anfrage weitere Streiks in der kommenden Woche nicht ausschließen.
In der Bevölkerung nimmt die Unterstützung für den Lokführerstreik langsam aber sicher ab: Nur 46 Prozent der Bundesbürger halten die Arbeitsniederlegungen noch für richtig, wie eine aktuelle Forsa-Umfrage für den Nachrichtensender N-TV ergab. Anfang Oktober hatten noch 55 Prozent der Befragten den Streik als richtig bezeichnet. Knapp jeder Zweite hat laut der jüngsten Umfrage inzwischen kein Verständnis mehr für den Arbeitskampf. Vor allem Rentner und Schüler lehnen den Streik ab. Von ihnen halten rund 60 Prozent beziehungsweise 57 Prozent den Ausstand nicht für richtig.