Drohungen gab es in den vergangenen Monaten reichlich. Jetzt wird es ernst: Im Tarifkonflikt um die Einführung der 35-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie sollte es am späten Sonntagabend und am Montag die ersten Warnstreiks geben. Wenn man IG Metall und Arbeitgeberverband Gesamtmetall glauben darf, ist dies nur der Auftakt für einige heiße Wochen. Die Gewerkschaft bereitet für Ende Mai bereits die Urabstimmung über einen Streik vor, die Arbeitgeber drohen jetzt schon mit Aussperrungen. Für beide sind drei Stunden Unterschied zwischen Ost und West zur Grundsatzfrage geworden.
18 Tage pro Jahr mehr arbeiten
Die IG Metall will durchsetzen, dass die 310.000 Ost-Metaller künftig genau so lange arbeiten müssen wie ihre Kollegen im Westen: 35 Stunden die Woche. Derzeit sind es - bei nahezu gleichem Gehalt - noch 38 Stunden. Der Unterschied hört sich zunächst einmal nicht besonders groß an. Aufs Jahr gerechnet beträgt die Differenz aber fast 18 Tage. Und damit will sich die Gewerkschaft nicht länger abfinden - zumal es vielen Ost-Betrieben nicht schlechter geht als denen im Westen.
Grund für hohe Abwanderung?
In diesen Tagen nimmt IG-Metall-Verhandlungsführer Hasso Düvel deshalb gern den deutsch-deutschen Einigungsvertrag zur Hand. Darin wurde 1990 festgeschrieben, dass "in den nächsten Jahren die gleichen Lebens- und Arbeitsbedingungen in ganz Deutschland hergestellt werden". Nach zwei gescheiterten Versuchen 1998 und 2002 meint Düvel nun: "13 Jahre nach dem Ende der Teilung ist die Zeit für die 35-Stunden-Woche jetzt wirklich reif." In der unterschiedlichen Bezahlung sieht der IG-Metall-Bezirkschef auch einen der wichtigsten Gründe für die anhaltend hohe Abwanderung in den Westen.
Angst vor Arbeitslosigkeit ist größer
Im Gegenzug antworten die Arbeitgeber, dass der Osten nicht auf seinen wichtigsten Standortvorteil verzichten dürfe, die niedrigeren Kosten. Die Mehrbelastung durch eine 35-Stunden-Woche beziffern sie auf 8,6 Prozent. "Die Menschen wandern aus dem Osten ab, weil sie überhaupt keine Arbeit bekommen und nicht, weil sie pro Tag eine halbe Stunde länger arbeiten müssen", sagt Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser. In der Tat ist die Angst vor Arbeitslosigkeit in vielen Betrieben größer als der Wunsch nach kürzerer Arbeitszeit. Das weiß auch die IG Metall.
Zahlenmaterial für die eigene Sache
Deshalb haben beide Seiten in den vergangenen Monaten kräftig Zahlen gesammelt, um für ihre Sicht der Dinge zu werben. Gesamtmetall rechnet vor, dass die kürzere Arbeitszeit bis zu 20.000 Stellen kosten würde. Die IG Metall hält dagegen, dass bei einer stufenweisen Einführung 15.000 neue Stellen geschaffen würden. Unstrittig ist, dass die ostdeutsche Metall- und Elektrobranche im Vergleich zum Westen noch kräftig aufholen kann. Bei einem Jahresumsatz von 45,6 Milliarden Euro (West: 659 Milliarden) liegt ihr Marktanteil derzeit gerade bei 6,5 Prozent.
Lage des Unternehmens ist entscheidend
Keinen Streit gibt es auch darüber, dass es zwischen den Ost- Betrieben erhebliche Unterschiede gibt. Die IG Metall schlägt deshalb vor, die Angleichung der Wochenarbeitszeit von der wirtschaftlichen Lage der Unternehmen abhängig zu machen. Die Arbeitgeber lehnen das ab. Wie es überhaupt in den bislang neun regionalen Verhandlungsrunden keinerlei Fortschritte gab. Beide Seiten sind nun überein gekommen, Mitte Mai erstmals für den gesamten Osten zu verhandeln - nicht mehr nur für einzelne Bezirke.
Gewerkschaft hat noch wenig Rückhalt
Bis dahin muss die IG Metall mit ihren Warnstreiks beweisen, dass sie für ihre Forderung genug Beschäftigte hinter sich hat. Schauplätze der ersten Warnstreiks werden Brandenburg und Sachsen sein, wo am Montag in einem Dutzend Betriebe die Arbeit ruhen soll. Bis zur Verhandlungsrunde Mitte Mai soll es dann an wechselnden Orten jeden Tag Proteste geben. Allerdings hat die Gewerkschaft in Sachen Mobilisierung noch einiges zu tun. Zur Auftakt-Kundgebung in Berlin mit Düvel und dem künftigen Gewerkschaftschef Jürgen Peters kamen am Vorabend des 1. Mai gerade mal 200 Mitglieder.