Für Julia Reuss bedeutet der neue Job zweifellos einen lukrativen Karriereschritt. Die 37-Jährige war bisher Büroleiterin von Staatsministerin Dorothee Bär (CSU), die im Kanzleramt als Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung fungiert. Nun wechselt Reuss direkt aus dem Kanzleramt als Lobbyistin zu Facebook. Als "Public Policy Director, Central Europe" für den mächtigen Digitalkonzern dürften auf ihrem Gehaltszettel künftig ganz andere Zahlen auftauchen.
Öffentliche Glückwünsche zum neuen Job erhält Reuss, die pikanterweise auch noch die Lebensgefährtin von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist, derzeit aber eher nicht. Im Gegenteil: Dass die zentrale Mitarbeiterin von Merkels Digitalbeauftragter sich von einem der umstrittensten Digitalkonzerne abwerben lässt, um künftig die Gegenseite zu vertreten, sorgt für Irritationen und Kritik. "Natürlich ist es problematisch, wenn die Büroleitung der Beauftragten der Bundesregierung für Digitalisierung im Kanzleramt direkt in die Lobby-Abteilung von Facebook wechselt", sagte etwa Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linken im Bundestag, dem "Business Insider".
Wenn die Digital-Staatsministerin es zulasse, dass "besonderes Wissen aus der Arbeit der Bundesregierung in der Wirtschaft versilbert wird, schadet sie dem Vertrauen in demokratische Institutionen", sagt Korte. Und FDP-Generalsekretär Volker Wissing erklärte im Handelsblatt. "Der nahtlose Wechsel von der kontrollierenden zur kontrollierten Instanz deutet darauf hin, dass eine wirksame Kontrolle von Facebook seitens der Bundesregierung nicht zu erwarten ist."
Dort wurde man vom Frontenwechsel der eigenen Mitarbeiterin offenbar selbst überrascht. Reuss habe sich auf eigenen Wunsch für eine berufliche Veränderung entschieden, sagte ihre bisherige Chefin Bär. Sie selbst sei von ihrer Büroleiterin erst nach vollzogener Unterschrift unter den Arbeitsvertrag über den neuen Arbeitgeber informiert worden. Daraufhin habe sie unverzüglich die Übergabe der operativen Tätigkeiten von Frau Reuss veranlasst. Zudem beteuert Bärs Büro, dass zu Reuss' Aufgaben "nicht die inhaltliche Betreuung von Themen, die ihren neuen Arbeitgeber betreffen", gehörte.
Böhmermanns deutliche Worte
Die leitende Mitarbeiterin der Digitalbeauftragten der Regierung soll also rein gar nichts mit Facebook zu tun gehabt haben? Das klingt nicht sonderlich glaubwürdig. "Wer soll denn diesen Mist glauben?", empört sich Moderator Jan Böhmermann via Twitter. "Facebook frisst die Behörde, die Facebook regulieren muss – weil die sich ethisch, moralisch und politisch aufgegeben hat", so Böhmermanns harsches Urteil. "Diese Personalie stinkt von Berlin über München in die Welt."
Für Reuss ist es nicht der erste Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft. 2012 war sie bereits aus dem Bundesverkehrsministerium zur Deutschen Bahn gewechselt und 2018 wieder zurück. Im Frühjahr 2019 zeigten sich Reuss und Verkehrsminister Scheuer erstmals der Öffentlichkeit als Paar. Reuss bleibt also nicht nur in ihrer Funktion als Facebook-Lobbyistin eng an der Regierung dran.