Ob Klima- und Anti-Teuerungsgutscheine in Österreich, Energieschecks zur Linderung hoher Stromkosten in Frankreich oder Sozial-Bonus-Zuschüsse zu Heizkosten in Italien. Die Energiepreiskrise im Fahrwasser des Ukrainekriegs hat vor Augen geführt, was andere europäische Nachbarn schon lange können, Deutschland aber bislang unmöglich war: Haushalte mit direkten und gezielten Transfers entlasten.
Bei keiner der vorhandenen Transferstellen – nicht bei Finanzämtern, Familienkassen oder Krankenkassen – sind sämtliche Einwohner erfasst. Nirgendwo werden Bankverbindung, Einkommensdaten oder auch nur Adressen zentral gespeichert. Die Verknüpfung der verstreuten Informationen scheiterte stets am politischen Willen, an rechtlichen Hürden und der mangelhaften Digitalisierung der deutschen Verwaltung.
Onlinezugangsgesetz soll Amtsstuben digitalisieren
Wenn die Bundesregierung nun einen zweiten zentralen Anlauf macht, deutsche Amtsstuben zu digitalisieren, kann ein direkter Effekt daraus auch sein, diesen Weg künftig zu öffnen. Mit einem digitalen Bürgerkonto können sich nach dem jetzt im Kabinett beschlossenen Onlinezugangsgesetz 2.0 (OZG 2.0) alle Bürger online identifizieren. Dadurch erhält der Staat die Möglichkeit, finanzielle Hilfen direkt an die Betroffenen zu transferieren – womöglich auch bald das von den Grünen in der Ampel-Koalition propagierte "Klimageld".
Die Bundesregierung hat sich jedenfalls entschlossen, den Behörden von Bund, Ländern und Gemeinden eine einheitliche Bund-ID für ihre digitalen Dienste aufzuzwingen. Eine Art Großversuch führten die rund 3,5 Millionen Studentinnen und Studenten durch, die mangels zentraler Registrierung nicht an die versprochenen Energieentlastungen kamen. Die Anträge für die Auszahlung von 200 Euro pro Person erfolgen über die eigens eingerichtete Plattform Einmalzahlung200.de, mithilfe der Bund-ID – die es schon gab, nur mangels breiter Anwendungsoptionen führte sie ein Dasein quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Das soll sich ändern. Deutschlandweit kann die ID privaten Nutzern über das Bürgerkonto die Pforten zur digitalen Verlängerung des Personalausweises oder der An- und Ummeldung eines Kraftfahrzeugs aufstoßen. Nur zwei von 15 Dienstleistungen, die laut Innenministerin Nancy Faeser spätestens 2024 bundesweit angeboten werden sollen. Diese – und über 500 andere Services – waren schon Digitalisierungsziel des Onlinezugangsgesetzes vor fünf Jahren. Doch Bund, Länder und Kommunen verhedderten sich im Zuständigkeitschaos, wetteiferten darum, wer Standards setzen darf. Einwände von Datenschützern verlangsamten die Reform zusätzlich.
Zentrales Portal
Das OZG 2.0 ergänzt nun das erste Gesetz und soll die Umsetzung vor allem über das zentrale Portal beschleunigen: ein digitales Postfach, über das die Bürger mit der Verwaltung kommunizieren, bei Fachbehörden Anlagen einreichen oder Bescheide empfangen können. Das Elster-Zertifikat, das für die elektronische Steuererklärung entwickelt wurde, sollte ebenso wie die elfstellige Steuer-ID auch einmal eine zentrale Rolle spielen. Sie ist aber nur zur Identifikation für einige Anträge nutzbar, etwa für die Energiepreispauschale.
Was sonst noch wichtig ist, fasst Capital hier zusammen:
- 15 besonders wichtige Leistungen: Bund, Länder und Kommunen wollen sich unmittelbar auf 15 besonders wichtige Leistungen fokussieren. "Spätestens 2024 werden zum Beispiel die Kfz- oder Führerscheinanmeldung, die Ummeldung, die Eheschließung, eine Baugenehmigung und das Elterngeld deutschlandweit digital beantragt werden können. Das ist ein großer Gewinn für die Bürgerinnen und Bürger – und ein Meilenstein auf dem Weg zum digitalen Staat", sagte Ministerin Faeser.
Was sie unerwähnt lässt: Die meisten der erwähnten Dienste benötigen nicht die Zusammenarbeit verschiedener Behörden – etwa der Familienkasse und des Finanzamts für das Kindergeld. Wo das Kindergeld schon elektronisch beantragt werden kann, etwa in Hamburg, wurden dafür Ausnahmen genehmigt. Damit solche bislang nicht kommunizierenden Röhren auch standardmäßig für Bürgerleistungen kooperieren dürfen, muss parallel das Registergesetz modernisiert werden. - Kritik aus der Wirtschaft: Industrie-, Handels- und Handwerksverbände sowie die Arbeitgeber vermissen ein umfassendes Gesamtkonzept mit klaren Schwerpunkten, das sämtliche Verwaltungsebenen umfasst – im Sinne eines Masterplans. Damit die Digitalisierung das Potenzial ausschöpfe, ineffiziente Verwaltungsprozesse zu verbessern, müssten auch Abläufe entbürokratisiert werden. Ohne Fristsetzungen entfalle zudem jeder Anreiz zu einer beschleunigten Umsetzung. Allerdings wurde gerade für Unternehmen eine Frist eingezogen: In einer "Digital Only"-Regelung werden sie verpflichtet, das "Organisationskonto für Unternehmen" binnen fünf Jahren durchgängig zu nutzen.
Außerdem zeigen die Verbände mit dem Finger auf "bisher schwerfällige und ineffiziente Abstimmungsstrukturen": Um digitale Leistungen schneller zu entscheiden und bundesweit flächendeckend zu skalieren, wird eine "gesetzlich vorgegebene Gesamtsteuerung aus einem Guss" für dringend erforderlich gehalten. Will heißen, der Bund müsste sich mit mehr als "nur" dem einheitlichen Eingangsportal von Bürger- und Organisationskonten durchsetzen. - Werden Fristen überbewertet? Tatsächlich verzichtet die Neuerung auf neue Fristen oder eine "Nach-Frist", wie es heißt. Das kann eine Lehre daraus sein, dass bisherige zeitliche Zielsetzungen zum Leidwesen der Bürger krachend gescheitert sind. Stattdessen wird die Modernisierung der Verwaltung und der elektronische Zugang zu Leistungen nun als eine Daueraufgabe von Bund, Ländern und Kommunen bezeichnet. Das klingt trivial, ist es aber nicht: Die Umsetzung soll deswegen kontinuierlich evaluiert werden. Der Verzicht auf Fristen war von den Oppositionsparteien und von Vertretern der Grünen und der FDP bemängelt worden.
- Digitalwirtschaft wittert Mogelpackung: Der neue Gesetzentwurf stieß auf heftige Kritik in der Digitalwirtschaft. Die Bundesregierung verpasse mit den jetzt geplanten Änderungen die Chance, die Digitalisierung der Verwaltung wirklich konsequent voranzutreiben, sagte der Präsident des Branchenverbandes Bitkom, Achim Berg. "Der vorliegende Gesetzentwurf ist kein OZG 2.0, sondern allenfalls ein OZG 1.1." So wolle der Bund selbst sich noch einmal fünf Jahre Zeit lassen, bis seine eigenen Verwaltungsleistungen digital abgewickelt werden können.
- Aus Stückwerk ein Ganzes machen: Das OZG 2.0 ist ein Abschied von der bisherigen Linie, dass 17 Bundesländer parallel eigene Nutzer- oder Bürgerkonten und Postfächer betreiben. Wenn der Bund nun zentrale Basisdienste bereitstellt, ersetzt er damit landeseigene Entwicklungen – die etwa Bayern oder Baden-Württemberg schon geraume Zeit am Start haben. Für die Umstellung auf die bundesweit einheitliche Bund-ID haben die Bundesländer mit eigenen ID-Konten nun drei Jahre Zeit, sich von ihren Lösungen zu verabschieden. Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt haben angekündigt, mit der Bund-ID landeseigene Servicekonten abzulösen. Für den Unternehmensbereich gibt es bereits seit 2020 einheitliche Organisationskonten.
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Dieses mächtige Werkzeug ließe sich salopp beschreiben als riesiger, mobiler Zettelkasten. Die App sammelt so gut wie alles: von der Textnotiz, Sprachmemos, Bilder, Webseiten, Artikelausschnitte, Visitenkarten bis zu Volltextscans von Dokumenten. Der Clou: Alles lässt sich anschließend durch Stichwortsuche wieder auffinden – saubere Verschlagwortung vorausgesetzt. Eher etwas für stark engagierte Helikoptereltern.
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- Hürde Schriftform fällt: Statt auf den elektronischen "Zugang" – also etwa das Ausfüllen von Formularen auf einer Online-Plattform – legt der zweite Anlauf größeren Wert auf tatsächliche digitale Abläufe in den Amtsstuben. Dafür musste die Schriftformerfordernis – also die Notwendigkeit einer händischen Unterschrift etwa für urkundliche Dokumente – weichen. Sie soll nun einfach und einheitlich elektronisch ersetzt werden. Durch ein sicheres Verfahren zur Identifizierung und Authentifizierung am Organisationskonto sollen künftig Leistungen rechtssicher mit der Onlinefunktion des Personalausweises digital beantragt werden. "Es ist keine händische Unterschrift mehr notwendig", versprach Faeser.
- Once Only-Prinzip durchgesetzt: Überflüssige Zettelwirtschaft soll auch endgültig durch die gesetzliche Verankerung des sogenannten Once-Only-Prinzips abgeschafft werden: vorzulegende Nachweise für einen Antrag – zum Beispiel eine Geburtsurkunde – müssen nach diesem Prinzip nur einmal (once only) vorgelegt werden. In der Folge dürfen sie – mit Einverständnis des Antragstellers – auf elektronischem Wege bei anderen zuständigen Behörden und Registern abgerufen werden. Lange hatten Datenschutzbedenken verhindert, dass getrennte Röhren unterschiedlicher Ämter so kommunizieren dürfen.
- Hilfe für überforderte Kommunen: Ein Kernziel der Digitalisierung ist die Entlastung der Verwaltungen, die auf allen Ebenen unter Personalmangel leiden – zu wenig Nachwuchs, zu viele Renteneintritte. Um besonders die Gemeinden zu entlasten, nimmt das neue Gesetz stärker als bisher die Bundesländer in die Pflicht, die Kommunen zu unterstützen: Sie sollen technisch und organisatorisch die Voraussetzungen schaffen, damit Kommunen sich an Landesportale – und damit dem Portalverbund – anschließen können.

- Gebremste Skalierung: In den bisherigen OZG-Bemühungen waren von den mehr als 500 zu digitalisierenden Verwaltungsleistungen die vorrangigen an unterschiedliche Bundesländer zur Entwicklung verteilt worden. Hamburg begann, das Kindergeld umzustellen, Bremen das Elterngeld, Mecklenburg-Vorpommern den Bauantrag, usw. Dabei sollte der Online-Prozess so gestaltet werden, dass andere Bundesländer ihn nachnutzen können: durch sogenannte Einer-für-Alle-Antragsassistenten (EfA). Diese in der Neuerung als "Onlinedienste" umrissenen Komponenten sollen nun auch datenschutzrechtlich leichter länderübergreifend übertragbar werden.
- Kritik vom Beamtenbund: Zweifel an der Durchsetzbarkeit des Strategiewechsels meldet nicht zuletzt der Deutsche Beamtenbund an. Inwieweit die neue Strategie des Gesetzes aufgehen werde, die Behörden von Bund, Ländern und Kommunen bei ihren digitalen Angeboten zur Nutzung der einheitlichen Bund-ID zu zwingen, bleibe abzuwarten, erklärte DBB-Chef Ulrich Silberbach. "Der einheitliche Ansatz ist richtig, das Bund-ID-Konto muss aber endlich raus aus seinem Schattendasein."
Vertreter von Studierenden hielten die neue Eintrittskarte zur Verwaltung wiederum weder für niedrigschwellig noch datenschutzfreundlich. Es würden eher neue Hürden eingebaut, so der Studierendenverband zur Lösung für die Energiepauschale. Die Studierenden würden zur Anmeldung mit der Bund-ID "genötigt", das sei "alles andere als datensparsam und unbürokratisch".