Pressestimmen zum Bahnstreik "Andere Gewerkschaften sollten sich bei der GDL eine Scheibe abschneiden"

Menschen mit Koffern sitzen am Hamburger Hauptbahnhof vor einem leeren IC
Menschen mit Koffern sitzen am Hamburger Hauptbahnhof vor einem leeren IC und warten darauf, dass die Züge wieder fahren
© Markus Scholz / DPA
Die Lokführer der Deutschen Bahn wollen sechs Tage lang streiken – es wäre ein Rekord-Streik. Das geht zu weit, urteilen viele Zeitungen – doch es gibt auch andere Pressestimmen.

136 Stunden Streik – noch nie hat die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) während der Amtszeit ihres Chefs Claus Weselsky zu einem so langen Arbeitskampf auf der Schiene aufgerufen. Der bisher längste GDL-Ausstand im Personenverkehr legte im Jahr 2015 für 127 Stunden weite Teile des Bahnverkehrs in Deutschland lahm. Ab Mittwoch müssen sich Pendlerinnen und Pendler sowie Wochenendausflügler erneut fast volle sechs Tage lang auf erhebliche Einschränkungen einstellen. Im Güterverkehr beginnt der Streik bereits am Dienstagabend.

Es ist der vierte Arbeitskampf im laufenden Tarifkonflikt und der erste, der über ein komplettes Wochenende gehen soll. Erneut dürften Tausende Fahrten ausfallen. Der Konflikt zwischen der Bahn und der GDL läuft seit Anfang November. Schon nach der zweiten Verhandlungsrunde erklärte die GDL die Gespräche für gescheitert. Seit dem 24. November wurde nicht mehr verhandelt. Nach einer Urabstimmung unter den GDL-Mitgliedern sind auch unbefristete Streiks möglich.

Pendler in ganz Deutschland dürften die Nachrichten wenig erfreuen. Auch die Presse ist von dem erneuten Streik nicht begeistert – nimmt die GDL aber auch in Schutz. Das Presseecho:

"Andere Gewerkschaften sollten sich bei der GDL eine Scheibe abschneiden"

"Frankfurter Rundschau": "Sechs Tage Streik – bei solch massiven Arbeitskampfankündigungen würden die Streithähne in anderen Branchen wohl hinter den Kulissen hektisch verhandeln, um die Folgen des Streiks abzufedern: für das Ansehen von Bahn und GDL, aber auch für die Akzeptanz von Arbeitskämpfen allgemein. Das Streikrecht ist ein hohes Gut. Für viele Branchen gilt: Es wird selten in Anspruch genommen. Man könnte auch sagen: In Deutschland wird viel zu wenig gestreikt. Beschäftigte anderer Branchen und ihre Gewerkschaften sollten sich deshalb bei der GDL, die für ihre Leute in der Vergangenheit viel erreicht hat, eine Scheibe abschneiden. Aber die GDL muss aufpassen, dass sie nicht überzieht. Streiken sollte selbstverständlich sein, miteinander zu verhandeln aber auch. Die Verweigerungshaltung der GDL macht es dem Bahn-Vorstand leicht, die Verantwortung für den Stillstand an die Gewerkschaft weiterzureichen. Ob sich das bald ändert? Pendler:innen und Reisende sollten sich darauf nicht verlassen."

"Straubinger Tagblatt": "Es hilft nichts: Irgendwie muss eine Einigung gefunden werden, und das geht nur am Verhandlungstisch. Die Bahn wird Weselsky mehr anbieten müssen. Der Streikführer muss sich ebenfalls bewegen. Natürlich sind die Beschäftigten nicht schuld am Personalmangel der Bahn. Doch er ist ein Fakt, dem in einem Abschluss Rechnung getragen werden muss."

"Rheinpfalz": "Die im Grundgesetz festgeschriebene Tarifautonomie ist ein hohes, schützenswertes Gut. Sie gibt Gewerkschaften und Arbeitgebern das Recht, frei von staatlichem Einfluss oder gar Zwang über Lohn- und Arbeitsbedingungen von Beschäftigten zu verhandeln. Wie bei jedem Recht geht auch mit der Tarifautonomie Verantwortung einher. (...) Mit verantwortungsvoller Tarifpolitik, die gerade in einem Bereich wie dem Bahnverkehr auch die Folgen für die Allgemeinheit im Blick haben sollte, hat das Agieren der GDL immer weniger zu tun. Auf dem Rücken von Millionen Bahnkunden und ohne Rücksicht auch auf die wirtschaftlichen Folgen versucht die GDL mit gnadenloser Härte, ihre Positionen – insbesondere die Forderung nach einer kürzeren Wochenarbeitszeit für Schichtbedienstete – durchzusetzen. Die Rückkehr an den Verhandlungstisch wird ebenso verweigert wie ein von vielen Seiten gefordertes Schlichtungsverfahren. Wer so agiert, setzt sich dem Verdacht aus, den Konflikt vor allem um des Konflikts willen zu suchen."

"GDL bestraft Menschen, die mit der Branche nichts zu tun haben"

"Die Glocke": "Selbstverständlich ist das Streikrecht ein hohes Gut, und Streiks müssen wehtun, sonst wären sie nutzlos. Im Fall des GDL-Ausstands ist es jedoch wieder einmal nicht in erster Linie der 'Tarifpartner' – das Wort klingt angesichts der gegenseitigen herzlichen Abneigung wie Hohn – DB, der Schmerzen erleidet. Es sind vielmehr Millionen Pendler, Urlauber, Wochenendreisende. Dass GDL-Chef Weselsky gleich mal sechs Tage lang den Bahnverkehr weitgehend lahmlegt, ist hanebüchen. Soll das jetzt ewig so weitergehen? Nach dem Motto: Die DB erfüllt in einem Angebot nicht all unsere Forderungen – also streiken wir!? Womöglich bald wochenlang? Ohne überhaupt zu verhandeln?"

"Mitteldeutsche Zeitung": "Der GDL-Chef nimmt unzählige Menschen in Mithaftung, die mit seiner Branche gar nichts zu tun haben. Und wenn das Unternehmen seine Wünsche weitgehend erfüllen sollte, macht sie seinen Nachfolger schon jetzt größer. Denn er wird aus dem Schatten des GDL-Chefs heraustreten wollen. Weselsky vergisst: Arbeitgeber sind grundsätzlich keine Feinde. Nicht nur bei der Bahn werden Arbeitskräfte gesucht. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich passt schwer in eine Zeit, die angesichts eines massiven Reformstaus nach neuem Aufbruch schreit. Auch darüber sollte sich die GDL einmal Gedanken machen."

"Leipziger Volkszeitung": "Über zehn Prozent mehr Lohn, eine Stunde weniger arbeiten ohne Einkommenseinbußen – fehlen noch zwei Stunden zur GdL-Forderung. Aber die Weichen werden von der kleinen GdL abermals auf Streik gestellt. Das ist maßlos. Hier nimmt der Sachse unzählige Menschen in Mithaftung, die mit seiner Branche gar nichts zu tun haben, sondern nur von A nach B kommen wollen."

"Volksstimme": "Not und Elend sind Geschwister bei der Deutschen Bahn. Wegen des neuerlichen GDL-Streiks muss gerade wieder an Notfahrplänen gebastelt werden, diesmal gleich für sechs Tage - von Mittwoch bis Montag. Dennoch werden hunderttausende Bahnkunden schwer in Not geraten. Sie wissen die bei ausgedünntem Angebot nicht, wie sie von A nach B kommen sollen. Das übliche Elend der Bahn nimmt so eine kurze Auszeit: Das desolate Schienennetz, die grauenhafte Pünktlichkeitsrate, das fehlende Personal. Das passiert, weil die Bahner Macht und Möglichkeit haben, in ihrem Tarifstreit aufs Ganze zu gehen. Geführt von einem Gewerkschaftsboss, für den die Bahn ohnehin ein «Saftladen» ist. Hauptstreitpunkt im Bahn-Tarifkosmos ist eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohnausgleich. In Ostdeutschland arbeiten zwei Drittel aller Beschäftigten ohne Tarifverträge. Auf sie muss dieser Arbeitskampf wirken wie aus einer anderen Welt."

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