Wettskandal "Ich bin sehr skeptisch"

Droht ein neuer Wettskandal in der Bundesliga? Ein malaysischer Betrüger soll zwei Spiele verschoben haben. stern.de sprach mit einem Kenner der deutschen Wettszene, Stefan Conen, über die Psychologie der Zocker. Conen war der Anwalt von Ante Sapina, dem Drahtzieher der Hoyzer-Affäre. Er äußerte Skepsis, dass sich der Betrug nachweisen lässt.

Der Fall klingt wie ein Drehbuch: Ein malaysischer Wettbetrüger namens William Bee Wah Lim soll ein Zweitliga-Spiel und auch, im November 2005, das Bundesliga-Spiel Hannover gegen Kaiserslautern (5:1) manipuliert haben. Das berichtete am Wochenende der "Spiegel". Der 1. FC Kaiserslautern, so der Verdacht, habe absichtlich hoch verloren, Lim selbst 2,2 Millionen Euro kassiert und seine Helfer großzügig entlohnt. Ist die Fußball-Bundesliga wirklich bestechlich?

stern.de sprach mit dem Berliner Rechtsanwalt Stefan Conen, 40, einem der profundesten Kenner der deutschen Wettszene. Während des Skandals um den Schiedsrichter Robert Hoyzer übernahm Conen die Verteidigung des Kroaten Ante Sapina und drang dabei tief in die Psychologie der Wetter ein.

Sapina, 31, war im Hoyzer-Skandal der Mann im Hintergrund, er setzte bei Fußballwetten jahrelang Hunderttausende Euro und zahlte Robert Hoyzer für die Manipulation von Spielen 67.000 Euro. Sapina war zu zwei Jahren und elf Monaten Haft und einer Geldstrafe in Höhe von 1,8 Millionen Euro verurteilt worden; er kam im Juli 2008 frei. Heute lebt er in Berlin, arbeitet in der Gastronomie und ist von seiner Spielsucht therapiert.

Herr Conen, halten Sie es für möglich, dass von Fußball-Profis in der Bundesliga Spiele verschoben werden?

Unwahrscheinlich. Aber ausgeschlossen ist natürlich nichts.

Bevor wir auf den Fall Lim eingehen: Wie muss man sich die Persönlichkeit eines Mannes vorstellen, der hunderttausende Euro setzt und dabei auch kriminell wird?

Wetter leben in ständiger Angst, selbst betrogen zu werden. Wenn sie völlig überzeugt von ihrem Tipp sind und dann zum Beispiel ein Elfmeterpfiff ausbleibt, glauben sie nicht an Zufall. In ihren Foren überschlagen sich die Gerüchte, wo gerade wieder Spiele verschoben werden. Ich habe mit Leuten gesprochen, die hatten soviel auf ein Spiel gesetzt, dass sie bei Verlust den Wettanbieter selbst der Schiebung verdächtigten.

Woher rührt das Misstrauen?

Diese Menschen setzen ja meistens nur deshalb so viel Geld, weil sie glauben, die Wahrscheinlichkeiten besser einzuschätzen als ihre Buchmacher. So war es übrigens auch bei Ante Sapina, bevor er Schiedsrichter bestach: Er war bestens informiert über die Stärken und Schwächen der Teams. Wenn zum Beispiel bei Werder Bremen II in der Regionalliga der Profi-Stürmer Nelson Valdez auflief, war das ein Grund, auf Sieg zu tippen. Nach meinen Erfahrungen versuchen Wetter vor allem deshalb immer, mit Spielern in Kontakt zu kommen: Sie wollen wissen, wie die Stimmung im Team ist, wie die Moral ist, ob man vielleicht gegen den Trainer spielt. Jedes Mehr an Informationen saugen sie auf. Das allein ist auch überhaupt nicht unlauter.

Ante Sapina war demnach ein erfahrener Wetter?

Ein erfahrener und, wenn Sie so wollen, ein sehr kompetenter. In den 90er Jahren verdiente er mit Briefwetten, schickte regelmäßig Banknoten nach England. In Deutschland machte er viel Geld, indem er die Wettquoten deutscher privater Anbieter für den US-Basketball mit den Angeboten amerikanischer Buchmacher verglich. Er nutzte einfach den Sachverstand der Amerikaner, die ja viel näher dran waren. Trotz seines Erfolges blieb er übrigens ein unauffälliger, eher bescheidener Typ, der weiterhin zu viert in einer Dreizimmer-Wohnung lebte und morgens seine Mutter zur Arbeit brachte, bevor er mit dem Motorroller seine Annahmestellen abklapperte. Er konnte gut rechnen, studierte Bauingenieurwesen und war spielsüchtig. Dass er dabei manchmal den Wert einer Eigentumswohnung einsetzte, war ihm gar nicht bewusst.

Wie kommt man als Wetter mit Fußballspielern in Kontakt?

Für Sapina war es nicht allzu schwer, da er für seine Wetten ja nur Kontakt zu Regionalligaspielern hatte - das waren keine Prominente. Mit dem Schiedsrichter Hoyzer war er befreundet. Der Fall Sapina ist nicht mit dem Fall Lim gleichzusetzen: Lim hatte offenbar Verbindungen zum asiatischen Wettmarkt. Und Lim musste Spieler der Bundesliga anwerben. Glücksspielsüchtige Spieler, und davon gibt es auch in den höheren Ligen in Deutschland wohl einige, trifft man immerhin an einschlägigen Orten. Als Zocker sind sie dann auch eher für einen Wettbetrug anzusprechen. Zu anderen Fußballern kann man sicherlich Kontakt aufnehmen, indem man falsche Tatsachen vorspiegelt: den Vermittler anrufen, sagen, man wolle seinen Klienten für einen Werbeauftritt buchen, und oft wird man dann schon in Besitz der Handynummer des Spielers sein. Fußballspieler sind es ja gewohnt, dass bis zum Fan alle möglichen Leute etwas von ihnen wollen. Jemanden allerdings zu überzeugen, gegen seine Mannschaft zu spielen, wird sicherlich etwas dauern. Man wird kaum mit der Tür ins Haus fallen können.

Was sind das für Typen, die sich kaufen lassen?

Bei jener Mannschaft des 1. FC Kaiserslautern wird ja darauf verwiesen, dass sie aus sehr vielen Spielern unterschiedlicher Länder zusammen gesetzt gewesen sei. Die soziale Entwurzelung von Fußball-Migranten scheint mir aber kein taugliches Indiz zu sein. In den Hoyzer-Skandal waren ja auch einige Spieler verwickelt - ausnahmslos deutsche. Ante Sapina hatte Steffen Karl angesprochen, einen ehemaligen Bundesliga-Kicker, der nun in der Regionalliga und am Abend seiner Karriere war. Karl hatte in diesen Jahren nie lange für denselben Klub gespielt, wahrscheinlich auch nicht mehr so etwas wie Treue zum Verein empfunden, er war wohl das, was Fans einen Söldner nennen. Und er wollte noch mal abkassieren.

Auch der Torwart Georg Koch soll damals von Wettbetrügern angesprochen worden sein, auf ihn trifft Ihre Beschreibung zu: ein älterer Spieler, der schon in vielen Vereinen spielte.

Aber an Koch sieht man, wie schwierig es ist, den richtigen Spieler zu finden. Er meldete den Korruptionsversuch.

Wie beurteilen Sie die Indizien, die bisher im Fall Lim bekannt sind?

Ein Betrug ist natürlich nicht ausgeschlossen, Misstrauen ist immer angebracht. Aber ich bin bisher doch sehr skeptisch, dass der Verdacht sich auch nur verdichten lässt. Bei jener 5:1-Niederlage fällt auf, dass es das erste Spiel des neuen Kaiserslauterer Trainers war, eine Partie, in der sich Spieler neu beweisen müssen und nicht einfach mal extraschlecht spielen. Man kann auch nicht das Ergebnis des Spiels als überraschend werten. Kaiserslautern hatte vorher zuhause klar gegen Nürnberg verloren, ebenfalls eine Mannschaft aus dem Tabellenkeller, und verlor anschließend munter weiter. Hannover siegte nach dem Spiel auch in Dortmund.

Bei dem Zweitliga-Spiel Karlsruhe gegen Siegen soll der Mann, der den Kontakt zu Lim hatte, um möglicherweise den Sieg des KSC sicherzustellen, der Siegener Torwart gewesen sein.

Grundsätzlich ist der Torwart interessant für Wettbetrüger. Aber im Fachblatt "kicker" erhielt dieser Torwart eine 2 - die beste Note seiner Mannschaft. Ich kann mir daher nicht vorstellen, dass er auch nur versuchte, zu deren Nachteil zu agieren.

Lim soll die Spiele verschoben haben, als Deutschland eigentlich sensibilisiert war - direkt im Jahr des Hoyzer-Skandals. Er müsste sich einiges getraut haben.

Und er müsste sein Handwerk perfekt beherrscht haben. Für Ante Sapina war es schon schwierig, über einen Schiedsrichter ein Spiel unbemerkt zu beeinflussen. Mehrfach unterließ Hoyzer es, spielentscheidend im Sinne von Sapina zu pfeifen. Was meinen Sie, wie schwierig die Manipulation für einen einzelnen Spieler ist, wenn schon der Schiedsrichter Probleme hat? Fußball ist ja nicht Tennis, das Resultat hängt von 1000 Dingen ab.

Wie meinen Sie das?

Für den Spieler selbst ist es ja erstmal ein attraktives Angebot: Er bekommt je nach Liga ein paar hundert, ein paar tausend oder ein paar zehntausend Euro, wenn das Spiel so ausgeht, wie er es seinem Auftraggeber zugesagt hat. Gut möglich, dass das Spiel wie gewünscht endet, ohne dass er seine Mannschaft absichtlich schwächen muss. Dann kassiert er ab, ohne schlecht bewertet zu werden und seinen Platz im Team zu gefährden. Aber wenn das Spiel anders läuft, müsste er eingreifen, dem Gegner beim Toreschießen helfen. Ist er dazu im Ernstfall auch wirklich bereit? Er verliert ja nichts, wenn er es nicht tut. Und wie viel kann er eigentlich tun, ohne aufzufallen und ausgewechselt zu werden? Einem Stürmer mal durch einen vermeintlichen Lapsus eine Chance zu gestatten, garantiert noch lange keinen Torerfolg. Letztlich verschiebt der Wetter bestenfalls also nur die Wahrscheinlichkeiten zu einem gewissen Grad. Den Wettausgang erkauft hat man mit einem Spieler auf seiner Seite gewiss nicht.

Aber es können mehrere Spieler bestochen sein.

Möglich, ja. Der Betrüger erhöht damit aber nicht nur seinen finanziellen Einsatz, sondern auch das Risiko aufzufliegen. Er hat ja so viel mehr Mitwisser.

Ist es eigentlich nur das Geld, das Wettsüchtige in die Illegalität treibt?

Bei Spielsüchtigen wahrscheinlich nicht. Es ist mit Sicherheit auch der Kick zu versuchen, den Zufall zu beherrschen. Ante Sapina liebte es auch, in die Stadien zu fahren, er war ja ein absoluter Sport-Freak. Bei jenem verschobenen Pokalspiel in Paderborn stand er in der Kurve. Dort erlebte er wohl die Sternstunde im Leben eines Zockers, der immerzu gegen die vermeintliche Allmacht der Buchmacher kämpft: Die Paderborn-Fans lagen sich und ihm freudetrunken in den Armen, weil sie einen Bundesligisten rausgeworfen haben, und nur er und der Schiedsrichter wussten, warum es so gekommen war.

Interview: Christian Ewers, Wigbert Löer

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