Fußball-Wettskandal Der Verdacht spielt mit

Von Klaus Bellstedt
Die Öffentlichkeit hatte ihn schon fast verdrängt, doch nach René Schnitzlers Schilderungen im stern kommt neue Dynamik in den Fußball-Wettskandal. Tags darauf legte der berühmteste Wettpate nach und zeigte: der Sumpf ist tief.

Nie war der Fußball-Wettskandal so nah, so greifbar, so menschlich. Die Lebensbeichte von René Schnitzler im neuen stern gibt verstörende Einblicke in eine zwielichtige Szene, in der quasi im Vorübergehen 500 Euro verwettet werden und Zocken um mindestens vierstellige Beträge zur täglichen Routine gehört. Die Schilderungen des ehemaligen St.Pauli-Stürmers, der für 100.000 Euro fünf Spiele manipulieren sollte, holen den Wettskandal heraus aus grauen Amststuben und verqualmten Zockerbuden mitten hinein ins öffenltiche Bewusstsein.

Den ersten großen Knall gab es vor etwas mehr als einem Jahr. Ende 2009 kam heraus, dass die Staatsanwaltschaft Bochum bereits seit Jahresanfang gegen eine international agierende Bande ermittelte. Sie soll Sportler, Trainer und Schiedsrichter im großen Stile bestochen haben, um Spiele zu beeinflussen. Und die Erkenntnisse, die die Bochumer über Monate zusammengetragen haben, offenbaren ein Ausmaß, wie es der europäische Fußball bisher nicht gekannt hat. Über 300 Spiele aus den verschiedensten europäischen Ligen stehen unter Manipulationsverdacht. Es gibt mehr als 270 Tatverdächtige. Seit dem Oktober 2010 läuft in Bochum der Prozess. Es ist der größte Manipulationsskandal im europäischen Fußball.

Im Mittelpunkt stehen nicht nur Schnitzler und sein Auftraggeber, der Niederländer Paul Rooij. Auch Ante Sapina ist wieder dabei. Der Kroate stand am Mittwoch vor dem Bochumer Landgericht im Zeugenstand - und gestand seine Beteiligung. Seine Schilderungen wären bester Stoff für Mafiafilme: Er erzählte von einem Treffen mit dem korrupten Schiedsrichter des WM-Qualifikationsspiels zwischen Liechtenstein und Finnland auf einem Hotel-Parkplatz in Sarajewo. Das ging wie gewünscht 1:1 aus. "Ich habe ihn intensiv befragt, ob er das mit den zwei Toren in der zweiten Halbzeit überhaupt schaffen kann", schilderte der Kroate den Richtern. Ansonsten wäre es ihm wegen der hohen Wetteinsätze lieber gewesen, wenn er abgesagt hätte. Doch der Schiedsrichter habe zugesagt. Die Partie verlief sehr zäh verlaufen - bis aus heiterem Himmel Elfmeter gepfiffen wurde. Das zweite Tor sei dann allerdings zufällig gefallen. "Aber man hat trotzdem genau gesehen, dass der Schiedsrichter dazu beigetragen hat, dass unsere Wette gewinnt."

Sapina war schon vor gut fünf Jahren wegen Bestechung des DFB-Schiedsrichters Robert Hoyzer zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Als nun, im aktuellen Betrugsskandal, im November 2009 die Ermittlungslawine so richtig ins Rollen kam, stand er wieder im Mittelpunkt. Nach seiner Entlassung soll der Zocker sofort wieder die Arbeit aufgenommen haben. Ante Sapina, der vor seiner ersten Verhaftung 2005 so viel Geld gewann, dass Annahmestellen in Berlin, die Sportwetten ins Ausland vermitteln, ihm Lokalverbot erteilten, wurde am 19. November nach einer europaweiten Razzia gemeinsam mit 14 anderen Verdächtigen in Untersuchungshaft genommen. Er wurde zwar kurze Zeit später wegen fehlender Beweise wieder auf freien Fuß gesetzt, gehört aber nach den Worten der Bochumer Staatsanwaltschaft gemeinsam mit Marijo C. zu den beiden "Kernpersonen" des Skandals. In den kommenden Tagen soll gegen die mutmaßlichen Wettpaten Anklage erhoben werden. Es ist zu erwarten, dass sowohl Ante Sapina, Spitzname in der Szene "der Berliner", als auch Marijo C. viele Jahre ins Gefängnis müssen. Angeklagt und teilweise geständig sind bereits vier weitere Personen.

Freundschaften und Abhängigkeiten

Marijo C. sagte in Bochum Mitte Dezember 2010 schon als Zeuge aus. Bereits seine Schilderungen räumten mit der Vorstellung auf, nur "Wettpaten" seien die Zocker und Spieler eher passiv beteiligt. Der Richter solle es sich nicht so vorstellen, dass immer nur die Spieler angesprochen worden seien, so C. Auch umgekehrt seien Kontakte geknüpft worden, um die Gehälter aufzubessern oder Wettschulden zu drücken.

So entstanden Freundschaften und Abhängigkeiten. In Belgien sollte sogar ein Zweitligist von der Wettmafia übernommen werden. Marijo C. nannte Spieler eines Schweizer Klubs seine "Angestellten". Ihnen sei für eine erfolgreiche Schiebung in der Regel eine Summe zwischen 5.000 und 8.000 Euro gezahlt worden. Bei Schiedsrichtern steht ein Betrag von 50.000 Euro im Raum. Und wenn die Aktiven mal nicht wollten, wurde nachgeholfen. So erklärte der Angeklagte Tuna A., dass ein unbestechlicher Torwart des NRW-Regionalligisten SC Verl in einer Disko außer Gefecht gesetzt werden oder gar vergiftet werden sollte. Ziele: Ein korrupter Ersatzmann sollte zwischen den Pfosten stehen.

Auch die neuesten Enthüllungen von Schnitzler bestätigen so ziemlich jedes Klischee, das gemeinhin mit der Mafia in Verbindung gebracht wird. Dies zeigt vor allem eins: Es geht beim Wettbetrug nicht nur Geld. Wer an die falschen Leute gerät, für den geht es auch schnell um Leben oder Tod.

Ob sich Thomas Cichon und Marcel Schuon über die Gefahren im Klaren waren? Sie sind die beiden prominentesten Spieler, die unter Verdacht stehen. Cichon, ehemals unter anderem Profi beim 1. FC Köln und dem VfL Osnabrück, bestreitet Manipulationen, gibt aber Kontakte zur Wettszene und auch hohe Wettschulden zu. Ante Sapina belastet Cichon schwer. "Cichon war für mich der Häuptling", sagte der Kroate am Mittwoch im Zeugenstand des Bochumer Landgerichts. Der Spieler beteuert aber, noch nie Kontakt zu Sapina gehabt zu haben. Zu "99,9 Prozent" habe er ihn noch nicht einmal von Angesicht zu Angesicht gesehen. Mit Cichon zusammen in Osnabrück spielte Marcel Schuon, der als einer von wenigen belasteten Spielern vom DFB schon gesperrt (bis August 2012) und auch zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten verurteilt wurde. Mit jedem neuen Verhandlungstag werden mehr Spieler erwähnt, die meisten Namen sagen selbst informierteren Zeitgenossen nichts. Thomas Cichon, Marcel Schuon und René Schnitzler sind da die Ausnahmen.

Ein bisschen geständig

Wie viele andere Verdächtige verfolgt auch dieses Trio eine ganz bestimmte Verteidigungstheorie: Die Spieler geben Kontakte zu, bestreiten aber, manipuliert zu haben. Das macht den Nachweis so schwierig. Interessant könnte es werden, wenn Spieler als Zeugen geladen und eventuell unter Eid aussagen müssen. Der Vorsitzende Richter Carsten Schwadrat kündigte an, dass es wahrscheinlich dazu kommen wird. Bis dahin aber weiß keiner, wie tief der Sumpf des Wettskandals wirklich ist.

Und man wird den Eindruck nicht los, dass vor allem seitens der Deutschen Fußball Liga auch nicht gerade mit Hochdruck daran gearbeitet wird, den Sumpf trockenzulegen. In Frankfurt, in den Zentralen von DFB und DFL, müssten spätestens nach Schnitzlers Aussagen im stern eigentlich die Alarmglocken läuten. Aber man reagierte eher gelassen. Nach dem Motto: Solange meine Liga nicht beschmutzt wird, ist alles gut. "Nach gegenwärtigem Stand sind uns keine Auffälligkeiten bekannt. Weder haben wir seitens Sportradar (das gemeinsame Frühwarnsystem von DFB und DFL, die Red.) Hinweise auf auffällige Wettbewegungen erhalten, noch hat der Spieler (Schnitzler), der bei drei der fünf angegebenen Partien auch gar nicht zum Einsatz gekommen ist, Spielmanipulationen zugegeben. Bis zum Beweis des Gegenteils kann daher nicht von einem Bundesliga-Wettskandal gesprochen werden", hieß es in einem Schreiben des Ligaverbandes.

Dennoch gab der Ligaverband am Dienstag bei Sportradar die erneute Prüfung der genannten Spiele in Auftrag. Bislang funktonierte die mit großem Getöse installierte Überwachung nach Expertenmeinung allerdings nicht sonderlich wirkungsvoll. Wenn in anderthalb Wochen die Bundesliga in die Rückrunde startet, ist einer daher auf allen Plätzen dabei - der böse Verdacht.

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