Jeder Mensch liebt. Man kann einen Menschen lieben - einen anderen oder sich selbst. Man kann Gegenstände lieben, sein Auto zum Beispiel, oder sein Haus. Und man kann natürlich abstrakte, nicht direkt greifbare Dinge lieben: ein Hobby vielleicht oder seine Arbeit. Und natürlich kann man einen Fußballverein lieben.
Das Problem mit der Liebe ist nur, sie ist flüchtig, sie unterliegt dem Schicksal des Seins: der Veränderung. Mal ist sie stärker, mal ist sie schwächer. Mal sorgt sie für Euphorie, mal für Ärger. Und manchmal, da ist sie so stark, dass man alles um sich herum vergisst. "Blind vor Liebe" nennen viele diesen Zustand auch.
"Blinde Liebe" in Dortmund
Bei Borussia Dortmund scheint sich die blinde Liebe gerade auszuprägen. Ein Verein, der die "echte Liebe" im Slogan trägt, muss wohl dazu neigen, sich durch Liebe in Schwierigkeiten zu bringen. Wenn man eine Krise durchlebt, dann rückt man im Idealfall noch näher zusammen und hält einfach durch. Das ist die derzeitige Vorstellung von Liebe beim BVB. Manchmal allerdings muss der Liebe neues Leben eingehaucht werden, damit sie wieder funktioniert, damit sie überhaupt weiter existieren kann.
Natürlich verehren sie in Dortmund Jürgen Klopp, wie sollte es auch anders sein. Der Mann hat den Verein in sieben Jahren vom Niemandsland zurück in die internationale Spitze geführt, seine Mannschaft hat jahrelang für wahre Fußball-Liebesszenen gesorgt. Geiles Tempo. Schöne Tore. Alles unbezahlbar. Echte Liebe also.
Der BVB besteht nicht nur aus Klopp
Ist doch klar, dass eine Trennung schwerfällt. Und nein, Klopp sollte ja auch nicht sofort gefeuert werden. Es sind noch 15 Spiele, die Situation ist nicht aussichtslos. Und doch steht am Nachmittag beim SC Freiburg das wohl wichtigste Spiel der Saison an. Wenn der BVB auch dort nicht gewinnen kann, dann wäre es unverantwortlich, nicht zumindest einmal über einen Trainerwechsel zu sprechen.
Dortmunds Boss Hans-Joachim Watzke betont immer wieder, dass er Klopp nicht entlassen werde. Das könne der nur selbst. Aber sollte Dortmund auch in den kommenden Wochen verlieren, sollte der BVB in ernsthafte Abstiegsgefahr geraten - es wäre ein fatales Zeichen an die Fans und den Verein, an Klopp festzuhalten. Watzkes Geste mag dann zwar romantisch sein, aber verantwortungsvoll wäre sie nicht. Borussia Dortmund ist größer als Jürgen Klopp. Der Verein, die "echte Liebe", besteht nicht nur aus einem Menschen. Sie besteht aus Millionen Fans und Hunderten Mitarbeitern.
Liebe zum Verein größer als zu einer Einzelperson
"Bis dass der Tod uns scheidet", das darf bei einer Fußball-Ehe zwischen Trainer und Verein nicht gelten. Sonst leidet die Liebe aller. Es gibt keine Garantie dafür, dass der BVB - wenn er denn die Klasse mit Jürgen Klopp hält - im kommenden Jahr wieder automatisch Spitzenteam ist. Die Psychologie ist häufig komplexer. Da können die Dortmunder bei anderen Vereinen nachfragen, bei Werder Bremen zum Beispiel. Dort hielt man lange Zeit an Thomas Schaaf fest. Er hatte ja schließlich eine Ära geprägt. Seither folgte permanenter Abstiegskampf. Nach Jahren mit Champions-League-Millionen. Vielleicht ist die derzeitige Situation also ein Zeichen dafür, dass die Ära Klopp zu Ende geht. Dass sie bald - so oder so - zu Ende sein muss.
Noch hat Dortmund die Chance, dafür zu sorgen, dass aus der "echten Liebe" keine dumme, blinde Liebe wird. Im Idealfall klappt das einfach sportlich. Dann nämlich, wenn der BVB einfach mal wieder gewinnt. Dann könnte Klopp am Saisonende friedlich und feierlich abtreten. Doch wenn es wochenlang weitergeht mit der Misere, dann muss er gehen, dann muss die Liebe zum Verein größer sein als die zu einer Einzelperson. Auch wenn diese Person einem noch so viele schöne Momente gegeben hat.